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# taz.de -- Spielfilm „Moneyboys“ in den Kinos: Die Kraft des kühlen Blicks
> Eine Geschichte von zwischenmenschlichen Beziehungen und Sexarbeit in
> China: „Moneyboys“ ist das kluge Filmdebüt von C. B. Yi.
Bild: Zwischenmenschliches wird in „Moneyboys“ beim Essen ausgehandelt
In einem Schwimmbad in einer chinesischen Großstadt zieht der junge Fei
seine Runden. Aufgewachsen in einem Dorf auf einer Insel, lebt er als
„Moneyboy“ von illegaler Prostitution. Vor dem Treffen mit dem nächsten
Freier telefoniert er auf der Terrasse mit Panoramablick über die Stadt mit
seiner Schwester daheim in der Provinz, lässt sich von ihr auf den Stand
bringen, wie es der Familie geht.
Fünf Jahre zuvor war Feis damaliger Liebhaber schwer verletzt worden, als
er einen brutalen Freier verprügeln wollte. Der zertrümmerte dann das Knie
des Liebhabers. Trotz aller Gefahren ist Prostitution für Fei und sein
männliches Umfeld der Weg, um ihre Familien auf dem Land zu unterstützen
und zugleich ein materiell halbwegs komfortables und selbstbestimmtes Leben
in den Großstädten zu führen.
Der österreichisch-chinesische Regisseur C. B. Yi zeigt in seinem Debütfilm
„Moneyboys“ ein Leben zwischen Träumen und harter Wirklichkeit, zwischen
käuflichem Sex und einem Weg aus der Einsamkeit. Auch Feis Familie
akzeptiert das Geld, schwingt aber moralische Tiraden gegen seine
Homosexualität. Seine Freunde, die wie er als Sexarbeiter leben, sind
Kollegen und Wahlfamilie zugleich. Xiangdong nimmt als erster der Freunde
seinen Abschied vom bisherigen Leben und heiratet – wenn auch zunächst nur
seinen Eltern zuliebe und auf dem Papier.
Wenig später wird Fei beinahe Opfer der Polizei. Ein vermeintlicher Freier
rennt in seinem Appartement sofort zur Tür, als es klingelt, und lässt die
Kollegen in Uniform herein. Fei wird durch die eigene Wohnung geschubst,
muss mit ansehen, wie die Polizisten seine Zimmer durchsuchen. Im Anschluss
setzt er sich ab und fährt zu seiner Familie aufs Land. Der Großvater
erkennt ihn nach einem Schlaganfall kaum wieder, und Feis wortkarger Vater
wagt es nicht, ihn beim Abendessen gegen seine homophoben Brüder zu
verteidigen. Das Essen endet in einem Handgemenge. Die Einzige, der sich
Fei verbunden fühlt, ist seine Schwester. Am Ende des Besuchs sitzt Fei
melancholisch im Bus, der ihn zurück in die Großstadt bringt. An den
Fenstern zieht die regnerische Landschaft vorüber.
Der Film verortet seine Handlung nur vage. Changsha, Yiwu, Shenzhen – die
Städte, die im Film genannt werden, sind von der Mitte bis an die Ostküste
des Landes verstreut. Der Unterschied zwischen den Möglichkeiten der Stadt
und der Enge auf dem Land ist bestimmend. Welche Stadt und wo auf dem Land,
bleibt unbenannt und ist nicht wichtig. Es „ist für mich eine universelle
Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen, die an vielen Orten auf
der Welt so passieren könnte“, kommentiert Yi im Pressematerial.
## Zwischenmenschliche Aushandlung am Fonduetopf
Als Fei in die Stadt zurückgekehrt ist, dauert es nicht lange, bis ihm sein
Jugendfreund Long folgt. Fei belauert ihn bei einem Abendessen, um zu
erfahren, warum er gekommen ist. Er versucht Long auszureden, ebenfalls
Sexarbeiter zu werden. „Wenn du deinen Körper verkaufst, blicken alle auf
dich herab. Deine Familie wird dich immer verachten.“ Long erwidert
nüchtern: „Mich verkaufen? Mein Onkel hat sein ganzes Leben in einer
Gerberei gearbeitet. Er ist alleine, weit weg von zu Hause an Krebs
gestorben. Verkauft man da nicht seinen Körper?“ Die beiden werden ein Paar
und verbringen eine glückliche Zeit miteinander bis zu dem Moment, an dem
Fei seinen ersten Liebhaber wieder trifft.
Wiederholt bringt Yi in seinem Film Menschen an Tischen zusammen. Auf dem
Land nimmt Fei seine erste Mahlzeit alleine zu sich, das Abendessen mit der
Familie eskaliert. Bei der Hochzeit von Xiangdong sitzen Fei und seine
Freunde am Nebentisch. Nach der Hochzeit diskutieren sie in einer Bar über
ihre Leben. Essen und Tische sind in „Moneyboys“ Knotenpunkte
zwischenmenschlicher Aushandlungen. An den Tischen wird Zusammengehörigkeit
zelebriert, werden Ausschlüsse zementiert, Brüche besiegelt. Noch bevor
„Moneyboys“ ein politischer Film wird und die gesellschaftlichen Strukturen
analysiert, ist er ein sozialer Film.
Gemeinsam mit Bildgestalter Jean-Louis Vialard hat Yi den Film in langen
Einstellungen angelegt. Die Bewegung findet in der Regel vor der Kamera
statt. Yi erläutert zu dieser Entscheidung im Pressematerial: „In einer
Plansequenz können kleine Verschiebungen der Distanz zwischen den Personen
ganz andere Stimmungen erzeugen: eine subtile Macht ausüben, erotische
Anziehung, Scham oder Angst auslösen. Die Entscheidungen, die wir im Leben
treffen, ergeben sich aus diesen Feldern von Macht und Affekt, Anziehung
und Abstoßung: aus einer unerwarteten Nähe, einem plötzlichen Schweigen
oder dem Gefühl der Kälte, das sich zwischen Personen ausbreitet, die
einander nichts mehr zu sagen haben.“
## Die subtile Spannung der Bilder
Vialard unterstreicht diesen Fokus auf die Interaktion durch Einstellungen,
die sich als Innenraumtotale beschreiben lassen. Die Bilder erfassen alle
handelnden Personen im Raum, auch wenn die Einstellungsgröße sie nicht von
Kopf bis Fuß zeigt. Viele der Aufnahmen fallen leicht aus dem
Gleichgewicht, um nicht zu starr zu wirken. Als die Freunde in der zweiten
Hälfte des Films um einen Fonduetopf sitzen, ist der Topf Ankerpunkt der
Kamerabewegung, steht aber nicht in der Bildmitte. Die Bilder erzeugen eine
subtile Spannung, indem sie Bewegung erwarten lassen.
C. B. Yi verbrachte seine Kindheit in China und folgte mit 13 Jahren seinem
Vater nach Österreich. Er studierte an der Wiener Filmakademie bei Michael
Haneke und Christian Berger. „Moneyboys“ entstand als
österreichisch-französisch-taiwanesisch-belgische Koproduktion und feierte
seine Premiere 2021 bei den Filmfestspielen von Cannes. Gedreht wurde
überwiegend in Taiwan, wohl auch, weil „Moneyboys“ seines Themas wegen
Probleme mit der chinesischen Filmzensur bekommen hätte. Bei den
Darsteller_innen finden sich jedoch sowohl taiwanesische Schauspieler wie
Hauptdarsteller Kai Ko (Fei) oder J. C. Lin (Feis erste Liebe Xiaolai) als
auch Schauspieler_innen aus der Volksrepublik China wie Bai Yufan (Long)
oder Chloe Maayan, die gleich drei weibliche Nebenrollen spielt.
„Moneyboys“ ist ein kluger Film über zwischenmenschliche [1][Beziehungen
und Sexarbeit] unter den Bedingungen des chinesischen Kapitalismus. Fei und
seine Freunde opfern sich für ihre Familien auf, ernten Verachtung und
versuchen zwischen alldem, sich ein halbwegs selbstbestimmtes Leben in
sicherer Entfernung von ihren Familien aufzubauen. Yi hält die Empathie mit
seinen Figuren in der Balance mit einer Distanz, die er braucht, um
gesellschaftliche Strukturen sichtbar zu machen.
Mitte der 1980er Jahre drehte die Regisseurin Mabel Cheung eine Reihe von
[2][Filmen über die Emigration aus Hongkong] in die USA. Am Ende dieser
Reihe von Filmen steht „Eight Taels of Gold“ von 1989. Ein Mann kehrt nach
Jahren aus den USA zurück, um seine Familie auf dem Land in China zu
besuchen. Eine hoffnungslose Liebschaft entwickelt sich, doch die
gesellschaftlichen Strukturen spielen gegen die Liebe.
Yi wie Cheung nutzen ihre Figuren, um gesellschaftliche Strukturen von
unten her sichtbar zu machen. Anders als Yi setzt Cheung auf emotionale
Involvierung der Zuschauer, gleitet vom Melodram in die Komödie und zurück.
„Moneyboys“ ist ein deutlich kühlerer Film, der seine Kraft aus der
Präzision seiner Beobachtung schöpft. Das ist manchmal anstrengend, wird
aber vom Film reich mit zwischenmenschlicher Komplexität belohnt.
27 Jul 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Tietke
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