| # taz.de -- Die Wahrheit: Jetzt kommt der Kohlausstieg | |
| > Wahrheit investigativ: Russland kappt und kappt das Gas. Deutsche | |
| > Kohlkraftwerke sollen es nun richten. | |
| „Jetzt schau’n Sie sich doch mal den Salat an.“ Gerda Müller ist | |
| verzweifelt. Die 76-Jährige steht in ihrer Wohnstube. Umzingelt ist sie von | |
| Dutzenden und Aberdutzenden Weißkohlköpfen, die sich bis an die Decke | |
| stapeln. „Dieser junge Mann da ist außer Rand und Band wegen seiner neuen | |
| Kraftwerke“, schnaubt die gestandene Landwirtin. | |
| Mit einem lauten Rumms kullert an diesem Vormittag der grüne | |
| Bundeswirtschaftsminister [1][Robert Habeck] aus einer Ecke Kohl. Hinter | |
| ihm her kriechen vier Leibwächter. Eilfertig buckeln sie wenig später | |
| kohlgefüllte Säcke auf ihre muskulösen Schultern. | |
| Draußen wird unterdessen auf dem Müller’schen Acker eilig ein Pult für eine | |
| Pressekonferenz gezimmert. In wenigen Minuten wird Habeck hier im | |
| norddeutschen Dithmarschen zum Thema „Mit Kohl durch den Winter“ sprechen. | |
| Und mittendrin Gerda Müller. Das Leben der Schleswig-Holsteinerin hat sich | |
| binnen Wochen schlagartig verändert. | |
| Züchtete sie bis vor Kurzem noch Kohl als ungeliebtes Gemüse, verantwortet | |
| sie nun zu einem Gutteil mit, dass Deutschland im kommenden Winter nicht | |
| frieren muss. Kürzlich, im Juni war es, das weiß die Dithmarschnerin noch | |
| genau, als Habeck verkündete, Deutschland müsse ob [2][gedrosselter | |
| russischer Gaslieferungen] Energie sparen. Die Nachrichtenagentur AFP | |
| tickerte daraufhin: „Bei einer Gasknappheit im Winter wäre der erste | |
| naheliegende Schritt, Heizkraftwerke mit Kohl statt mit Gas zu befeuern.“ | |
| ## Auf Kohl sind alle heiß | |
| Nun hat Gerda Müller seither den Salat. Denn das widerspenstige Gemüse Kohl | |
| wächst vorrangig eben in Schleswig-Holstein. Genauer gesagt: Rund um | |
| Müllers Hof in Dithmarschen, dem größten zusammenhängenden Anbaugebiet für | |
| Weißkohl in Europa. Und auf den sind nun alle heiß, besonders der | |
| Wirtschaftsminister höchstpersönlich. | |
| An diesem trüben Tag trudeln immer mehr Reporter auf Müllers Weißkohlfeld | |
| ein, auch Vertreter von Wissenschaft und Handwerk sind vor Ort. Stürmische | |
| Böen und leichter Nieselregen sorgen für einen angenehmen norddeutschen | |
| Sommertag. Verträumt hält Robert Habeck zwei Kohlköpfe in seinen Händen, | |
| der Minister muss abwägen: „Als Grüner ist es besonders bitter, Kohl für | |
| die Energiegewinnung zu nutzen, denn das Gemüse ist sehr gesund für uns | |
| alle. Aber aktuell muss Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen.“ | |
| Denn Habeck darf nun die von Merkel und Konsorten komplett verschlafene | |
| Energiewende ausbaden. Auf einem kohlförmigen Chart präsentiert er den eng | |
| getakteten Kohl-Zeitplan. Noch 2022 sollen drei neue Kohlkraftwerke in | |
| Schleswig-Holstein entstehen. Rote Fähnchen stecken in den Orten | |
| Diekhusen-Fahrstedt, Brunsbüttel und Bokhorst. | |
| Dort haben sich laut Habeck, bereits neue Protestbewegungen mit | |
| wohlklingenden Namen wie „Kein Bock auf Kohldampf“ und „Verkohlen können | |
| wir uns selbst“ gegründet. | |
| „Alter“, ist hier die Antwort des stark öffentlichkeitsaffinen Habeck, der | |
| sich geschmeidig an sein kohlförmiges Pressekonferenzpult lehnt, „wir | |
| garantieren den betroffenen Menschen auf alle Kohl, nein, auf alle Fälle, | |
| dass es bei ihnen nicht so aussehen wird wie in den vermeintlich blühenden | |
| Kohllandschaften im Osten Deutschlands.“ | |
| Doch allein der Weißkohl, das weiß nicht nur Habeck, kann den | |
| bundesdeutschen Energiebedarf für den kommenden, möglicherweise oder sehr | |
| wahrscheinlich harten Winter nicht decken. | |
| In einer „konzentriert konzertierten Aktion“, so Martin Zinsfuß vom | |
| deutschen Kohl- und Handwerksverband, der nach Habeck zu den versammelten | |
| Journalisten auf dem Kohlacker spricht, hätten sich deshalb der Deutsche | |
| Kohlverband, das Handwerk und die Wissenschaft „an einem strunkförmigen | |
| Tisch ausgetauscht“. | |
| Die ersten Ergebnisse würden „den Kohl schon ordentlich fett machen“. In | |
| einem „Freiwilligen Ökologischen Kohljahr“ könnten sich junge Menschen | |
| „einbringen“, führt Zinsfuß aus. „In speziellen Kompostmeilern ertücht… | |
| sich die jungen Leute körperlich durch Kohlschippen. Und sie erzeugen | |
| Energie durch Verrottungswärme.“ Auch solle die Ausbildung des Kohlers | |
| wiederbelebt werden. | |
| ## Von Habeck signierte Kohlköpfe | |
| Die Pressekonferenz am kohlförmigen Pult und auf dem Kohlacker von Gerda | |
| Müller neigt sich dem Ende entgegen. Robert Habeck verschenkt, vorwitzig | |
| wie stets, und ohne die Bäuerin zu fragen, einfach und schnell ein paar | |
| signierte Kohlköpfe. | |
| Weiter geht es für den Pressetross noch am selben Tag an die Universität | |
| für Energie zu Oldenburg in Oldenburg, kurz O. i. O. Dort begrüßt Professor | |
| Dr. Dr. Rolf Daumen. Der 53-Jährige ist Leiter des Sonderforschungsprojekts | |
| „Kohl ist unsere Heimat“. | |
| Mit Hochdruck arbeite, so Daumen, die Wissenschaft daran, „die Brenndauer | |
| und den Heizwert der Kohlsorten zu verbessern“. Stolz schreitet der | |
| Kohlologe durch das mit Teppichboden ausgelegte Labor. Dann zeigt er auf | |
| die in Vitrinen ausgestellten Grünkohlexponate. | |
| „Grünkohl hat eine Brennleistung von mehr als 10,6 Kilowattstunden pro | |
| Kilogramm, ist pure norddeutsche Energie und brennt bis zu sechsmal länger | |
| als Holz“, rechnet der zweifach promovierte Professor zur Gänze überzeugt | |
| vor. Für den „Behaglichkeitskoeffizienten“, also Raumtemperatur mal | |
| Quadratmeterzahl geteilt durch die Körpergröße der anwesenden Menschen, sei | |
| das „eine sehr gute Nachricht“. | |
| Daumen führt uns in die brandneue Fertigungsanlage für Kohlbriketts. Darin | |
| wird das Kraut in einem Knetwerk fein gemahlen und mit Grünkohlteerpech | |
| vermengt. Heraus plumpst ein dunkelgrünes Brikett. „Das ist die Zukunft“, | |
| sagt der zweifach promovierte Plantologe stolz. „Auch hier können sich | |
| idealistische junge Menschen, etwa all die von Fridays for Future, | |
| ordentlich austoben.“ | |
| Die Pressetour rund um den Kohl ist beendet, da klingelt das Handy des | |
| Wahrheit-Reporters. Eine aufgeregte Gerda Müller ist am anderen Ende. „Der | |
| Habeck“, ruft die Kohlbäuerin durch, „der hat so viele Kohlköpfe signiert, | |
| ich musste ihm den Filzstift wegnehmen.“ Traurig sei der Minister daraufhin | |
| zurück nach Berlin gefahren. | |
| Trotz wirklich immenser Fortschritte bei den Kohlbriketts und überhaupt, | |
| bleibt die Dithmarscherin auch am Telefon weiter recht skeptisch. Am Ende, | |
| so fürchtet sie, „stehe ich ohne Kohl da und muss dann trotzdem frieren“. | |
| Deshalb sattelt sie jetzt um. Gerda Müller hebt derzeit einen kleinen | |
| Tagebau für den Eigenbedarf aus. Hinter ihrem Hof. | |
| 23 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Die-Wahrheit/!5750871 | |
| [2] /Energieversorgung-in-Deutschland/!5866532 | |
| ## AUTOREN | |
| Denis Gießler | |
| ## TAGS | |
| IG | |
| Robert Habeck | |
| Kohleausstieg | |
| GNS | |
| Karl Lauterbach | |
| Nordstream | |
| IG | |
| Gasknappheit | |
| Ampel-Koalition | |
| Dammbruch | |
| Zimmerpflanzen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Lauterbachs Gelee-Banane | |
| Wahrheit investigativ: Viel Schokokram, der im Umlauf ist, wird ewig schon | |
| nicht mehr produziert. Wie das? | |
| Die Wahrheit: Ein Herz für Turbi | |
| Wahrheit nachgehakt: Einsam steht die von Russland abgelehnte Gasturbine | |
| weiter in Nordrhein-Westfalen. Ein Werksbesuch. | |
| Die Wahrheit: „Die Zukunft heißt SchülerVZ“ | |
| Wahrheit exklusiv: Der bei Twitter gefeuerte und von Bundesverkehrsminister | |
| Wissing angeheuerte Tech-Star Rick Steves über das Silicon Saxony-Anhalt. | |
| Die Wahrheit: Heißluftballonflotten für die Nato | |
| Im ungewöhnlich milden November quellen die Gasspeicher derzeit fast über. | |
| Was wird erst im bullig warmen Dezember? | |
| Die Wahrheit: Wie weit ist es noch bis 1G? | |
| Auch im Handynetz ist jetzt 2G Pflicht. Ein Ex-DDR-Techniker dient dabei | |
| Deutschland flächendeckend, denn er verfügt über Knowhow von einst. | |
| Die Wahrheit: Der Biber ist geil | |
| Kommen in Berlin Nager auf die Idee, einen Damm in die Spree zu bauen, muss | |
| ein neuer Castor-Transport her. Aber schnell, die beißen sonst alles weg. | |
| Die Wahrheit: Grüner Daumen, abgebissen | |
| Der Lockdown bereitet immer mehr Zimmerpflanzen psychische Probleme. So | |
| manche fleischfressende Pflanze soll schon ihre Besitzerin verputzt haben. |