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# taz.de -- Die Wahrheit: Wie weit ist es noch bis 1G?
> Auch im Handynetz ist jetzt 2G Pflicht. Ein Ex-DDR-Techniker dient dabei
> Deutschland flächendeckend, denn er verfügt über Knowhow von einst.
Bild: 2G bis in den letzten Winkel Deutschlands – so die Devise des Chefmobil…
„Na siehste, jeht doch“: Horst-Dieter Brunkmann ist zufrieden. Mehrfach hat
er mit der flachen Hand gegen den stabförmigen Kasten gehämmert. Die
brandneuen 5G-Antennen am Sendemast in Berlin-Köpenick sausen hinab und
zerschellen auf dem Betonboden.
Fachmann Brunkmann kramt einen Drahtknipser und eine handgroße 2G-Antenne
aus seiner ledernen Gürteltasche hervor. „Klaro, 2G auch hier. Wir woll’n
ja schließlich keenen Ärger mit den Behörden“, stellt er fachkundig fest.
Mit dem 71-Jährigen ist nicht zu spaßen. Seit Kurzem ist er
Chefmobilbeauftragter der neuen Ampelkoalition. Brunkmanns Herkulesaufgabe:
Die strengen 2G-Regeln endlich auch im Mobilfunkbereich umsetzen.
Volker Wissing, frischgekürter FDP-Verkehrsminister, hat Brunkmann
eigenhändig aus dem verdienten Ruhestand geholt. Bei der Videoschalte aus
seinem Firmen-Tesla hat Wissing die Krawatte gelockert und den Hemdkragen
offen. So pseudoleger kannte man den 51-Jährigen zuletzt eigentlich nur vom
Sondierungs-Selfie mit den Grünen.
Der neue Minister ist aufgebracht: „Es kann nicht sein, dass sich die
Menschen in Kölner Fußballstadien wegen Corona einschränken müssen, der
Mobilfunk aber eine Art Sonderstatus genießt“, sagt Wissing. Er will mit
einer schnellen, aber auch epidemiologisch sicheren Infrastruktur
besonders die Jungwählerinnen und Jungwähler mitnehmen. „Wir sind ja
schließlich nicht von vorgestern.“
## TikTok lädt Clips innerhalb weniger Stunden hoch
2G, ursprünglich 1992 in Deutschland eingeführt und so schnell wie ein
Modem von 1996 – genau das soll, so der Pfälzer, künftig für „ganz gut“
stehen. Tiktok-Clips ließen sich damit sogar innerhalb mehrerer Stunden
hochladen, der Handyempfang sei stabil, „und sogar SMS werden pfeilschnell
verschickt“, frohlockt Wissing begeistert, bevor die Verbindung in seinem
Firmen-Tesla abbricht.
Für das Umrüsten auf 2G im Mobilfunknetz wurde, es ist noch nicht so lange
her, zuerst die Telekom beauftragt. Weil jüngere Techniker heutzutage aber
gar nicht mehr wissen können, wie so eine 2G-Sendeanlage überhaupt
funktioniert, musste man Haudegen Brunkmann anrufen, studierter Ingenieur
des früheren VEB Funkwerk Köpenick. Der hatte eigentlich gar keine Lust
darauf, den Wessis aus der Patsche zu helfen, „aber was soll man machen“.
In seiner Bastlergarage in Berlin-Plänterwald zeigt Brunkmann stolz auf
seine Erfindungen. Eine Antenne in Fernsehturmoptik für das sauschwere
allererste DDR-Handy sowie, in einer beleuchteten Glasvitrine, den
1-Megabit-Chip, der Erich Honecker 1988 damals als der heiße Scheiß
verkauft wurde. Brunkmann lötete auch Schaltungen am DDR-Heimcomputer
KC85/3, auf dem er heute und entschleunigt das freie Betriebssystem Linux
Debian betreibt.
## Der neue Wissing
Seit Wochen hätten ihm erst Andi Scheuer, dann die Telekom und nun auch
„der neue Wissing“ im Nacken gesessen. Brunkmann kramte schließlich seine
alten 2G-Module zusammen, die er schon Anfang der Neunziger verlegt hatte.
Und jetzt? Jetzt fährt der Chefmobilbeauftragte der neuen Ampelkoalition
eben quer durch Gesamtdeutschland. Damit auch noch der letzte Winkel der
Republik in den Genuss des 2G-Empfangs kommt.
In einschlägigen Telegram-Kreisen sorgen die neuen 2G-Regeln bereits für
Aufregung. Weil Paint-Collagen und Hitler-Emojis nun bis zu einer Stunde
zum Upload brauchen, sattelt man um und nutzt wieder analoge Smileys.
Verfolgte Intellektuelle wie der Wendler oder Ulf Poschardt rufen via
Ketten-SMS derweil dazu auf, wieder aufs Faxgerät zu setzen.
Die Ampelkoalition behält sich indes vor, die 2G-Maßnahmen nach einer
dreimonatigen Übergangsfrist zu evaluieren und die Daumenschrauben
womöglich noch weiter anzuziehen. Im Raum steht 1G. „Analoge Telefonnetze
sind nicht schön, aber wir müssen uns alle Maßnahmen ergebnisoffen
anschauen“, sagt Postminister in spe Wissing.
Horst-Dieter Brunkmann kratzt sich derweil am Kopf, als er die 1G-Nachricht
hört, und zuckt mit den Schultern. „Nutzt ja nix“, sagt er und sucht in
seiner Garage nach der Broschüre von 1958 zum 1G-Netz. Sein Drahtknipser
baumelt wie stets einsatzbereit am Gürtel.
1 Dec 2021
## AUTOREN
Denis Gießler
## TAGS
Die Wahrheit
Ampel-Koalition
Telekommunikation
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