| # taz.de -- Die Wahrheit: Ein Herz für Turbi | |
| > Wahrheit nachgehakt: Einsam steht die von Russland abgelehnte Gasturbine | |
| > weiter in Nordrhein-Westfalen. Ein Werksbesuch. | |
| Bild: Was macht eigentlich Turbi? Nach dem Kanzlerbesuch? Olaf Scholz im Augu… | |
| „Ganz ruhich, allet wird gut“, flüstert Herbert Weck zärtlich in die | |
| hydraulische Öffnung. Der untersetzte Turbinenmechaniker kramt ein rotes | |
| Fasertuch aus der Hosentasche. Damit poliert er das Messingschild, auf dem | |
| in Schnörkelschrift „Turbi“ steht. Turbi, das ist eine 20 Tonnen schwere | |
| Gasturbine, die wie ein Düsentriebwerk aussieht, an das einfallslos Rohre, | |
| Armaturen und seltsame schwarze Zylinder geschweißt wurden. | |
| Olaf Scholz hatte sich im Sommer 2022 vor dem Riesengerät knipsen lassen, | |
| da kochte gerade der Streit um russische Gaslieferungen und die | |
| Nord-Stream-Turbine hoch. Eigentlich sollte Turbi, die damals von der | |
| Reparatur in Kanada zurückgekehrt war, über Deutschland nach Russland | |
| weitergeschickt werden. Doch der Kriegstreiber Russland weigert sich | |
| seitdem, den Verdichter anzunehmen. | |
| Für ein paar Stunden nur konnten wir jetzt bibbernd das Werk von Siemens | |
| Energy im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr besichtigen. Das | |
| Ergebnis: Fassungslosigkeit. Denn ein derart bedingungsloser Einsatz für | |
| ein Ding, eine Maschine, also Turbi, ist in Deutschland sonst nur bei der | |
| samstäglichen Autowäsche zu erleben. Es sind folglich Menschen wie der | |
| schnauzbärtige Mechaniker Herbert Weck und seine Hingabe an Turbi, die | |
| einen hoffen lassen für Deutschland, für dieses zutiefst | |
| technologiefeindliche Land: „Hömma, dat is unser Baby hier“, betont Weck | |
| und streichelt liebevoll Turbi. | |
| In der brandneuen Werkshalle von Siemens Energy schrauben Mechanikerinnen | |
| und Mechaniker an dicken Generatoren, eine Lichterkette hängt um einen | |
| Turbinen-Monstertruck in Flammenoptik. „Show Me the Meaning of Being | |
| Lonely“ von den Backstreet Boys läuft dröhnend über die Werkslautsprecher. | |
| ## Astreines Funktionieren | |
| „Die Playlist ham wir extra angelegt für Turbi, dann fühlt die sich nich so | |
| einsam“, sagt Vorarbeiter Weck und startet den Song „I’m Still Standing“ | |
| von Elton John auf seinem Tablet. Seit Anfang August steht die Gasturbine | |
| nun schon hier, dabei gehört sie eigentlich in eine Kompressorstation im | |
| russischen Portowaja. Nach all den Wochen kennt Weck die Turbine in- und | |
| auswendig, hat alle Leitschaufeln, Axialkompressoren und Diffusoren auf | |
| falsche Fuffziger und fehlende Nieten geprüft. „Die Kleine funktioniert | |
| astrein, egal, wat Moskau so sacht. Ich zeich et Ihnen mal“, sagt Weck | |
| aufgeregt und drückt behutsam auf den fetten roten Turbinenknopf. | |
| Plötzlich flutet ein grelles Licht die Halle, es rauscht ganz | |
| ungeheuerlich. Mehrere Mechaniker wirbeln durch die Luft. Weck hakt uns und | |
| sich selbst an Stahlseilen ein. „Wir ham unsere Stromleitung mit die | |
| Turbine verbunden, jetz fließt ordentlich Saft. Nutzen wir die nicht | |
| regelmäßich, rostet die ein“, schreit er und drückt uns in Richtung Küche. | |
| Der Backofen zeigt 550 Grad und beginnt zu schmelzen, Kaffeemaschinen | |
| sprühen Kaffee aus allen Ritzen. „Hier in dat Werk sind wir total autark“, | |
| brüllt Weck. Er schaltet die Turbine aus, zwei Mechaniker klatschen zurück | |
| auf den Fußboden. | |
| Fragt man den engagierten Vorarbeiter nach seiner größten Schwäche, zeigt | |
| er in die rechte Hallenecke. Der gestandene Fan von Rot-Weiss Essen hat | |
| über die Jahre neben Turbi allerlei Technik angesammelt, die keiner mehr | |
| will. Dort in der Ecke liegt etwa das lose Ende des 5.741 Kilometer langen | |
| transatlantischen Siemens-Unterseekabels von 1873. Weck hat das Kabel | |
| hunderte Male um die Werkshalle und um das ganze Ruhrgebiet gewickelt. | |
| Nicht überraschend also, dass er unbedingt die herrenlose Turbine nahe an | |
| seinem Herzen, hier im Mülheimer Werk, haben wollte. Mehrfach wollte Wecks | |
| Chef Turbi schon loswerden und zu den rostigen, abgehalfterten | |
| Wasserkraftkollegen abschieben. Aber nicht mit Weck. | |
| ## Schmutziger Bluff | |
| Und dann kam Anfang August der Kanzler. Herbert Weck erinnert sich noch | |
| genau an dessen unmöglichen Auftritt. Scholz war extra mit dem Helikopter | |
| nach Mülheim geflogen, wollte Moskaus Bluff um angebliche „technische | |
| Probleme“ auffliegen lassen. Pressefotos zeigen den Kanzler | |
| schlumpfig-grinsend vor der Turbine. Doch die Bilder zeigten nicht die | |
| ganze schmutzige Wahrheit, meint Weck. | |
| Kurz vor dem Termin sei Scholz nämlich auf die Turbine geklettert, hätte | |
| wie ein wild gewordener Siebenjähriger alles angetatscht und gefragt, ob | |
| denn auch der Stecker eingestöpselt sei. Während der Rede soll ein lauter | |
| Doppelwumms zu hören gewesen sein. „Zwei Tage hab ich gebraucht, um dat | |
| ganze Chaos wegzumachen und Turbi sauber zu kriegen“, sagt Weck mit | |
| bebender Stimme. Als der Kanzler dann noch eine Runde in Robert Habecks | |
| Turbinen-Monstertruck drehen wollte, setzte Wecks Boss Scholz kurzerhand | |
| vor die Werkstür. Seitdem ist Vorarbeiter Weck der Einzige, der sich der | |
| Gasturbine überhaupt noch nähern darf. | |
| Nach all den Monaten hat sich aber womöglich nun doch noch ein Interessent | |
| für Turbi gefunden: George Lucas. Der Regisseur aus Hollywood meldete sich | |
| Weck zufolge vor drei Tagen via Festnetz. „Er braucht noch 'ne Turbine fürn | |
| neuen Star-Wars-Film“, so Weck. Angeblich soll Turbi darin den röchelnden | |
| Darth Vader mit geballter Strömungskraft vom Todesstern fegen. | |
| Wecks Stimme wird tonlos, er atmet laut aus, er kann sich sichtlich schwer | |
| von seiner Turbine trennen. „Nächste Woche kommt der Lucas zu Besuch. Dann | |
| kann er kucken, dass Turbi total fit is. Hömma, Sternenzerstörer bei dat | |
| Imperium macht die mit links!“, meint der Vorarbeiter traurig und stolz | |
| zugleich. In diesem Moment startet auf Turbis Playlist das Star-Wars-Thema, | |
| während Herbert Weck zärtlich seine Hand auf Turbi legt und schwer atmend | |
| Darth Vaders Stimme nachahmt: „Ich bin dein Vatter.“ | |
| 13 Dec 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Denis Gießler | |
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