# taz.de -- Russische Oppositionelle: Kein Deutschlandbezug, kein Visum | |
> Für geflüchtete Russ:innen werden zu wenig Aufenthaltsgenehmigungen | |
> ausgestellt. Ein Grund: fehlende Beziehungen zu Deutschland. | |
Bild: Seit dem Ende Februar hat das Auswärtige Amt 510 Visa an besonders gefä… | |
BERLIN taz | Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Ende Mai | |
angekündigt, russischen Oppositionellen, Medienschaffenden und | |
Wissenschaftler:innen, die in Russland von Repressionen betroffen sind, | |
Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen. Von März bis zum 30. Juni 2022 | |
wurden 16 solcher Visa nach Paragraf 22 Satz 2 im Aufenthaltsgesetz an | |
russische Staatsbürger:innen und ihre Familien ausgegeben. | |
Das sind Visa, die nach Einzelfallprüfung „zur Wahrung politischer | |
Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ vergeben werden. In 136 Fällen | |
erklärte die Bundesregierung die Aufnahme weiterer russischer | |
Staatsangehöriger. Dabei handelt es sich um 86 individuell gefährdete | |
Personen und 50 Familienangehörige. Bevor das Verfahren für die Beantragung | |
eben dieses Visums am 18. Mai beschleunigt wurde, vergab das | |
Innenministerium seit Kriegsausbruch acht solcher Visa an russische | |
Staatsbürger:innen. | |
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion sagt, sie freue | |
sich über die Aufnahmezusagen. Es seien aber zu wenige, denn: „Es scheint | |
zugleich viele Ablehnungen zu geben. Das habe ich zumindest von betroffenen | |
Aktivist:innen gehört, mit denen ich in Kontakt stehe. Von einem | |
großzügigen Schutzangebot, das dringend erforderlich wäre, kann daher aus | |
meiner Sicht keine Rede sein.“ Menschen, die sich in Russland offen gegen | |
den Krieg in der Ukraine äußern, [1][drohen bis zu 15 Jahre Haft]. | |
## Visa-Voraussetzung: Kontakte nach Deutschland | |
Was die russischen Antragstellenden irritiert: Einige Betroffenen | |
berichten, sie müssten für ein Visum Verbindungen nach Deutschland | |
nachweisen. Viele können das nicht und erhalten deshalb eine Ablehnung. Für | |
Clara Bünger ist das nicht nachvollziehbar: „Wo sollen denn Menschen hin, | |
die in Russland beispielsweise gegen den Krieg in der Ukraine protestiert | |
haben, denen es aber an Kontakten in europäische Länder fehlt?“ | |
Zwei Geflüchtete, die sich in ihrer Not an die Bundestagsabgeordnete | |
gewendet haben, sind Timofei Andronow (25 Jahre alt) und seine Mutter | |
Marina Perechoschenzewa (60 Jahre). Seit drei Monaten sind sie in Georgien. | |
Sie leben in einem Hostel in der Hauptstadt Tiflis. „Als wir eine Wohnung | |
mieten wollten, sagten sie uns, sie vermieten nichts an Russen“, erzählt | |
Marina im Video-Telefonat. Sie und ihr Sohn organisierten seit Jahren | |
Proteste in ihrer Heimatstadt Wolgograd. Sie waren Teil einer | |
Regionalgruppe der Verbündeten von [2][Alexej Nawalny], dem inhaftierten | |
russischen Oppositionellen. Im Juni 2021 stufte das Moskauer Stadtgericht | |
diese Gruppierungen der öffentlichen Bewegung Nawalnys als extremistisch | |
ein. Schon seit 2018 wurde Timofei Andronow von der Polizei verfolgt, | |
berichtet er. | |
## Keine Lösung für ablaufende Tourist:innen-Visa | |
In Georgien fühlen sich die beiden nicht willkommen. „Wir sind überall | |
Verstoßene“, sagt Marina und muss weinen. Die Ansage von Nancy Faeser macht | |
ihr neue Hoffnung. Am Mittwoch können sie ihren Fall in der Botschaft | |
vorstellen. Denn am Montag kam endlich nach zwei Monaten die erste | |
Rückmeldung: Eine Einladung zu einem halbstündigen Gespräch. Alexej | |
Schwarz, russischer Oppositioneller und seit einem Jahr politischer | |
Geflüchteter, erklärt, dass das der normale Ablauf ist: „Erst schreibt man | |
der Botschaft, dann soll man den eigenen Fall genauestens in einem Gespräch | |
erklären.“ Das Innenministerium bestätigt dieses Verfahren. Sobald es keine | |
weiteren Nachfragen zu den Einzelfällen gibt und die Visa bewilligt wurden, | |
werden sie innerhalb weniger Arbeitstage ausgestellt. | |
Doch die Berichte über Visa-Absagen anderer Geflüchtete aufgrund fehlender | |
Verbindungen zu Deutschland verunsichern auch Marina Perechoschenzewa und | |
Timofei Andronow. Sie können keine Kontakte nachweisen. Alexej Schwarz, der | |
selbst seit Januar in Deutschland lebt, versteht das auch nicht: „Was hat | |
eine Verbindung zu Deutschland damit zu tun, dass sie politische | |
Geflüchtete sind?“ Er berichtet, dass er einiger solcher Absagen | |
mitbekommen hat. Das Innenministerium erklärt dies mit der Formulierung des | |
Gesetzes. | |
Seit dem 24. Februar 2022 hat das Auswärtige Amt 510 Schengenvisa an | |
besonders gefährdete russische Staatsangehörige vergeben. Mit diesem | |
konnten sich Russ:innen drei Monate in Deutschland aufhalten. Diese | |
Aufenthaltstitel laufen demnächst ab. Die geflüchteten Russ:innen könnten | |
mit Ablauf des Visums ihre Arbeitserlaubnis verlieren. Clara Bünger sagt | |
dazu: „Hunderte Betroffene, deren Tourist:innen-Visa bald ablaufen, | |
werden so absehbar ins Asylverfahren gedrängt. Das möchten sie aber nicht, | |
weil sie dann vorerst nicht arbeiten können – oder sie müssen wieder | |
ausreisen.“ Viele der Betroffenen sind Journalist:innen und andere | |
Medienschaffende. Bei einem Asylverfahren müsste die Aufenthaltsgenehmigung | |
neu geklärt werden, aber die Betroffenen wollen weiterarbeiten. Denn gerade | |
jetzt wollen sie für russische oppositionelle Medien Berichte erstatten. | |
12 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anne-Frieda Müller | |
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