# taz.de -- E-Roller als Stolperfallen: Hindernisse der Mobilitätspolitik | |
> E-Roller sind ein Ärgernis für GehwegnutzerInnen. Der Senat bekommt das | |
> Problem bisher nicht in den Griff – auch zum Ärger der Bezirke. | |
Bild: Wild abgestellte Leihroller am Berliner Hauptbahnhof | |
BERLIN taz | Tausende von Miet-E-Scootern stehen und liegen an und auf | |
Berlins Gehwegen. Für viele FußgängerInnen, gerade solche mit Behinderung, | |
sind sie ein Ärgernis, für die Verkehrswende sind sie fragwürdig – und für | |
das Land eine ungelöste Aufgabe. Die Verkehrsverwaltung arbeitet [1][seit | |
geraumer Zeit an Lösungen], größere Veränderungen wird es aber erst ab 2023 | |
geben. | |
Vor Kurzem ließ das Haus von Bettina Jarasch (Grüne) wissen, dass mit dem | |
[2][Inkrafttreten des novellierten Berliner Straßengesetzes am 1. September | |
die „Sharing Mobility“ neu organisiert werde]: Es gebe für sie dann „kla… | |
Regelungen“. Im Falle der E-Scooter, die im Alltag mit Abstand die meisten | |
Probleme machen, bedeutet das, dass sie nur noch auf speziell ausgewiesenen | |
Abstellflächen am Straßenrand zurückgegeben werden können. In deren Umfeld | |
müssen die Anbieter dann das Abstellen technisch verhindern. | |
Letzteres ist durchaus lösbar: Die Roller werden ständig exakt geortet, | |
schon jetzt gibt es Bereiche wie Grünanlagen, wo die App den NutzerInnen | |
eine Rückgabe des Fahrzeugs verwehrt. Mit der Novelle des Straßengesetzes | |
wird das Abstellen von Sharing-Fahrzeugen zur Sondernutzung öffentlichen | |
Straßenlands, wobei Gebühren, aber eben auch räumliche Auflagen fällig | |
werden können. | |
Der Anbieter TIER plant nach eigenen Angaben schon Abstell-Tabuzonen in | |
einem Radius von „100 bis 150 Metern um die Parkflächen herum“. Man arbeite | |
auch an einer höheren Genauigkeit bei der Positionsbestimmung der | |
Fahrzeuge, sagte eine Sprecherin der taz. | |
## Rückgabeorte eingeschränkt | |
Klingt erst mal gut – allerdings mahlen die Mühlen in Berlin alles andere | |
als schnell: Wie die Senatsverwaltung der taz bestätigte, wird derzeit noch | |
am Neuentwurf der sogenannten Sondernutzungsgebührenverordnung gearbeitet, | |
die die Verbotsradien für die Rückgabe von Scootern enthalten wird. Man | |
entwickle die neue Fassung „im breiten Dialog“ mit den Sharing-Anbietern. | |
In Kraft treten soll sie aber erst zum kommenden Jahreswechsel. | |
Die Voraussetzungen dafür, dass ab dem 1. Januar das Rollerchaos endet, | |
müssen im Übrigen die Bezirke schaffen: Ihre Straßen- und Grünflächenämter | |
müssen die konkreten Abstellflächen festlegen. Wie die Verkehrsstadträtin | |
von Mitte, Almut Neumann (Grüne), der taz sagte, gibt es in ihrem Bezirk | |
bereits 25 solcher Flächen auf ehemaligen Kfz-Parkplätzen, 8 weitere seien | |
in Vorbereitung. Damit das neue Konzept funktioniere, werde aber das | |
Zehnfache benötigt. | |
Bis das flächendeckend ausgerollt ist, wird also noch einige Zeit vergehen. | |
So lange hat Neumann noch ein anderes Problem, das sie „total nervt“: | |
[3][E-Scooter, die auf Gehwegen herumliegen und PassantInnen gefährden], | |
werden vom Ordnungsamt immer wieder „händisch umgesetzt“. Ein Job, den die | |
Stadträtin den Anbietern in Rechnung stellen möchte – aber den | |
entsprechenden Gebührentatbestand gibt es noch nicht. | |
Denn dazu muss erst eine weitere Rechtsnorm angepasst werden: die | |
Polizeibenutzungsgebührenordnung. Das ist Sache der Innenverwaltung, „aber | |
die sieht das Problem nicht so dringlich wie wir“, so Neumann. „Wir | |
brauchen das so schnell wie möglich, wir leisten schließlich jetzt einen | |
Dienst, der von der Allgemeinheit bezahlt wird.“ | |
Für Roland Stimpel, Vorstand des FUSS e. V,. ist all das höchst ärgerlich. | |
Seiner Lesart nach hätte der Senat spätestens mit Inkrafttreten der | |
Straßengesetz-Novelle am 1. September eine rechtliche Grundlage dafür, das | |
E-Scooter-Sharing vorerst komplett zu verbieten. Denn Sondernutzungen von | |
Straßen sollen laut dem Gesetz dann versagt werden, wenn behinderte | |
Menschen durch sie erheblich beeinträchtigt werden. Dass das so ist, daran | |
gibt es für den Fußverkehrslobbyisten keinen Zweifel. | |
## Anti-Roller-Bündnis | |
Der FUSS e. V. hat sich mittlerweile mit anderen Organisationen wie dem | |
Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverband und dem Landesseniorenbeirat | |
zu einer Art Anti-Roller-Bündnis zusammengeschlossen. Behindertenverbände | |
können gegen Verwaltungshandeln klagen – und behalten sich das ausdrücklich | |
vor. Ein vorläufiges Totalverbot der Roller halten sie auch deshalb für | |
verhältnismäßig, weil deren Mobilitätsbeitrag „selbst bei Anrechnung der | |
vielen Spaßfahrten im Promillebereich aller Wege liegt“. | |
Diese Skepsis ist begründet: Das Umweltbundesamt (UBA) hat Ende 2021 | |
mehrere Studien zur Sharing Mobility ausgewertet. Dabei verweist es unter | |
anderem auf eine Untersuchung in Berlin und Dresden, laut der nur 5,5 | |
Prozent der E-Scooter-Fahrten – nach Einschätzung der NutzerInnen selbst – | |
eine Autofahrt ersetzten. Alle anderen hätten sonst den ÖPNV, das Fahrrad | |
oder die eigenen Füße benutzt. Knapp ein Drittel der Befragten gab darüber | |
hinaus an, sie hätten die Fahrt gar nicht unternommen, wenn der E-Scooter | |
nicht herumgestanden hätte. | |
Nachhaltig ist das nicht, [4][zumal wenn man die Produktion der Roller | |
ebenso in Betracht zieht wie die Autofahrten, mit denen die sie oder ihre | |
Batterien zum Aufladen herumkutschiert werden]. Darum kommt das UBA zu | |
einem eindeutigen Fazit: „Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze | |
gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuß und Fahrrad zurückzulegen | |
sind, bringen die Roller eher Nachteile für die Umwelt“, heißt es dort, | |
„und drohen als zusätzlicher Nutzer der bereits unzureichend ausgebauten | |
Infrastruktur das Zufußgehen und Fahrradfahren unattraktiver zu machen.“ | |
Roland Stimpel formuliert es so: „Die Senatorin hat offenbar noch nicht | |
verstanden, dass sie die Interessen einer kleiner Minderheit über die von | |
Schwächeren stellt.“ Noch will er ihr zugestehen, dass es sich bei der | |
geltenden Rechtslage um eine politische Altlast handelt, aber „jeder | |
E-Scooter, der ab September im Weg herumliegt, ist einer von Frau Jarasch“. | |
18 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Abgeordnetenhaus/!5663629 | |
[2] https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitteilu… | |
[3] /Nachhaltige-Mobilitaet-und-E-Scooter/!5619227 | |
[4] /Sharing-Angebote-in-Berlin/!5743794 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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