# taz.de -- Ex-Menschenrechtsbeauftragte der Ukraine: Fehlende Beweise | |
> Ludmila Denisowa soll Fälle sexualisierter Gewalt durch russische Truppen | |
> erfunden haben. Das wirft ihr eine Journalistin vor. | |
Bild: Ludmila Denisowa war Ende Mai ihres Amtes erhoben worden | |
KIEW taz | Die Ukraine hat einen neuen Menschenrechtsbeauftragten: Am | |
Freitag berief das ukrainische Parlament den parteilosen Abgeordneten | |
Dmitri Lubinez auf diesen Posten, der seit Ende Mai vakant gewesen war. Bis | |
dato war Lubinez Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Menschenrechte | |
gewesen und kümmerte sich vor allem um die „Reintegration“ der besetzten | |
Gebiete wie Luhansk und Donezk. Er tritt die Nachfolge von Ludmila Denisowa | |
an, die am 31. Mai ihres Amtes enthoben worden war. | |
Denisowa sorgte auch in dieser Woche wieder für Schlagzeilen. Sie soll | |
Menschenrechtsverletzungen der russischen Besatzer erfunden haben. Dies | |
behauptet die ukrainische Journalistin Sonja Lukaschowa in der Ukrainska | |
Prawda. Sie habe, so Lukaschowa, Angaben über [1][sexualisierte Gewalt | |
durch russische Soldaten an ukrainischen Frauen und Kindern] ungeprüft | |
veröffentlicht. | |
Auf dem Weltwirtschaftsforum im Mai in Davos, so Lukaschowa, habe Denisowa | |
detailliert und „fragwürdig in Bezug auf die Privatsphäre der Opfer“ | |
berichtet. Journalisten, die anschließend selbst hierzu recherchierten, | |
hätten indes keine Beweise für die von Denisowa angeführten Verbrechen | |
gefunden. | |
Außerdem, so Lukaschowa, habe eine von Denisowa eingerichtete Hotline für | |
Gewaltopfer, die von Denisowas Tochter, der Psychologin Olexandra Kwitko, | |
geleitet wurde, sehr „undurchsichtig“ gearbeitet. Während man in der | |
Behörde über die Arbeit der anderen Hotlines des Büros informiert sei, man | |
auch mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeite, wisse man im Büro | |
der Ombudsfrau nichts über die Arbeit von Olexandra Kvitko. | |
## Amnesty International zeigt, dass es auch anders geht | |
Als die Staatsanwaltschaft von Denisowa Quellen ihrer Informationen wissen | |
wollte, sei Denisowa sehr wortkarg gewesen. Gleichzeitig habe Olexandra | |
Kvitko angegeben, bei ihrer Hotline seien in anderthalb Monaten etwa 1.040 | |
Anrufe eingegangen, bei denen es in 450 Fällen um Vergewaltigung von | |
Kindern gegangen sei. Tatsächlich sei jedoch bei einer Ermittlung | |
festgestellt worden, dass im fraglichen Zeitraum nur 92 Anrufe eingegangen | |
seien. Nichts, so die Ukrajinska Prawda, deute darauf hin, dass diese Opfer | |
tatsächlich existierten. | |
Nichts liege Lukaschowa ferner, als russische Menschenrechtsverletzungen | |
abzustreiten. Fehlende Beweise in konkreten Fällen könnten der Ukraine | |
[2][vor internationalen Gerichten] jedoch zum Schaden gereichen, | |
argumentiert die Journalistin. | |
Dass es auch anders geht, zeigt die Arbeit von Amnesty International. | |
Allein in den Kiewer Vororten Butscha, Borodyanka und Andrivka hatten | |
Experten der Organisation 12 Tage zu den dortigen Gewalttaten recherchiert | |
und anschließend die Hinrichtungen von Zivilisten und Bombenangriffen auf | |
Wohngebiete durch russisches Militär dokumentiert. Amnesty kommt zu dem | |
Schluss, dass die russischen Gräueltaten kein Zufall, sondern vielmehr ein | |
Muster der russischen Feindseligkeiten von Beginn an gewesen seien. | |
Auch wenn niemand die Ukrajinska Prawda, die unter anderem von der NATO und | |
dem US-Kongress finanziert wird, in die Nähe des Russischen Fernsehens | |
rückt, wurde Kritik laut, Lukaschowa würde Russlands Präsidenten Wladimir | |
Putin in die Hände spielen. Sofort nach Erscheinen des Artikels setzte die | |
Datenbank „Mirotworez“ die Journalistin auf ihre Liste. | |
## „Elektronischer Pranger“ | |
An diesem „elektronischen Pranger“ stehen Personen, oft mit Adresse und | |
Telefonnummer, die in den Augen dieser Internetplattform der Ukraine | |
schadeten. Erstmals war das Portal nach dem Mord an dem Journalisten Oles | |
Busina und dem Politiker Oleg Kalaschnikow 2015 in die Kritik geraten. | |
Beide waren in der Datenbank von Mirotworez geführt worden. | |
Tragisch an Lukaschowas Artikel findet der Journalist Sergej Wysozkij auf | |
dem Portal Censor.net, dass er suggeriere, die russische Armee sei gar | |
nicht so schlimm. Die Russen, so Wysozkij, würden mit Freuden diesen | |
Artikel für ihre Zwecke nutzen. „Es ist nicht das erste Mal“, so Wysozkij, | |
„dass Journalisten, die sich für die letzte Instanz halten, der Ukraine mit | |
ihrem Ego und ihres eigenen Ruhmes wegen einen Schlag versetzen“. | |
2 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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