# taz.de -- Ermittlungen zu Kriegsverbrechen: Europas Justiz für die Ukraine | |
> Immer mehr EU-Staaten teilen ihre Erkenntnisse zu Kriegsverbrechen direkt | |
> mit ukrainischen Ermittlern. Deutschland ist noch nicht ganz dabei. | |
Bild: Ukraine, Butscha: Gerichtsmediziner und Polizisten untersuchen im April d… | |
„Noch nie hat die Rechtsgemeinschaft so schnell und so entschlossen auf | |
einen bewaffneten Konflikt reagiert wie jetzt in der Ukraine.“ Das sagte | |
Ladislav Hamran, der slowakische Präsident der EU-Justizbehörde Eurojust an | |
diesem Dienstag in Den Haag. Dem Joint Investigation Team (JIT, gemeinsames | |
Ermittlungs-Team) von Eurojust gehören nun sechs Staaten und der | |
Internationale Strafgerichtshof (IStGH) an. | |
Das JIT war bereits im März von drei Staaten – Litauen, Polen und Ukraine – | |
gegründet worden. Im April schloss sich der IStGH-Chefankläger, der Brite | |
Karim Khan, erstmals einem JIT an. Jetzt folgten Estland, Lettland und die | |
Slowakei. | |
In einem JIT haben die Ermittler gemeinsamen Zugang zu allen | |
Zeugenaussagen, Fotos und Expertenberichten. Eurojust sorgt dafür, dass | |
alles in englische Sprache übersetzt wird. „Der Ukraine-Konflikt ist der | |
best dokumentierte bewaffnete Konflikt aller Zeiten“, sagte | |
Eurojust-Präsident Hamran. | |
Außerdem hilft Eurojust dem JIT auch materiell, indem es Reisen, | |
Hotelkosten und Dolmetscher für Zeugen-Befragungen finanziert. | |
## Mehr Geld, mehr Personal | |
Am 1. Juni tritt eine kurzfristig beschlossene Änderung der | |
Eurojust-Verordnung in Kraft, die die zentrale Speicherung und Analyse der | |
Ukraine-Daten bei Eurojust in Den Haag erlaubt, ebenso die Weitergabe an | |
den Internationalen Strafgerichtshof. „Die EU-Gremien haben das in | |
Rekordzeit beschlossen“, freute sich Hamran. Erst vorige Woche hatte das | |
Europäische Parlament zugestimmt. | |
Mit den neuen Aufgaben bekommt Eurojust auch mehr Geld und Personal. | |
Eurojust wurde 2002 gegründet und ist die EU-Behörde für die Zusammenarbeit | |
in Strafsachen. Seit 2018 arbeitet Eurojust auch mit der Ukraine zusammen. | |
„95 Prozent der Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine müssen von | |
den ukrainischen Ermittlern gemacht werden“, betonte die ukrainische | |
Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa in Den Haag. „Aber wir haben | |
Erfahrung mit Kriegsverbrechen. Die russische Aggression hat bereits 2014 | |
begonnen“, sagte sie mit Blick auf die russische Annektion der Krim und die | |
von Russland unterstützte Bildung von separatistischen „Volksrepubliken“ in | |
Donezk und Luhansk. | |
Laut Wenediktowa werden in der Ukraine derzeit rund 15.000 Fälle | |
untersucht. „Und jeden Tag kommen 200 bis 300 neue Fälle hinzu“, betonte | |
die Generalstaatsanwältin. Etwa 1.000 Verfahren beträfen Vorfälle im | |
russisch besetzten Donbass. „Dort können unsere Ermittler zwar nicht vor | |
Ort arbeiten, aber sie können zum Beispiel Flüchtlinge befragen“, so | |
Wenediktowa. | |
Fünf Personen wurden bereits verurteilt, so die oberste ukrainische | |
Anklägerin, drei Soldaten wegen Mordes und aktuell zwei Russen wegen | |
Zerstörung zivilen Eigentums. Weitere 80 Verdächtige sind den ukrainischen | |
Ermittlern bereits bekannt. In den kommenden Tagen werde es Urteile zur | |
Folter ukrainischer Zivilisten durch russische Soldaten und zur | |
Vergewaltigung einer ukrainischen Frau durch einen russischen | |
Armee-Angehörigen geben. | |
Ein niederländischer Journalist fragte, ob es nicht zu früh sei, solche | |
Prozesse zu führen, während im Land noch Krieg herrsche. „So etwas fragen | |
nur Ausländer“, schüttelte Wenediktowa den Kopf, „zu Hause werden wir | |
gefragt, warum alles so lange dauert“. Man bringe die Fälle einfach dann | |
vor Gericht, wenn sie ausermittelt seien. | |
Wenediktowa betonte, dass die ukrainischen Ermittlungen aus dem | |
ukrainischen Haushalt finanziert werden. „Wir freuen uns aber über die | |
Hilfe von ausländischen Experten.“ Auch Ausrüstung wie Computer, Drucker, | |
Helme und schusssichere Westen seien willkommen. „Unsere Ermittler arbeiten | |
nahe der Front“, sagte sie zur Begründung. | |
## Kooperation, nicht Wettbewerb | |
Derzeit sind Ermittler-Teams aus Litauen, der Slowakei und Frankreich in | |
der Ukraine tätig und unterstützen die örtlichen Ermittler. Außerdem hat | |
IStGH-Ankläger Khan jüngst ein Team mit 42 Ermittlern geschickt, von denen | |
dreißig aus den Niederlanden stammen. Polen hat schon 1100 der rund 3,5 | |
Millionen aus der Ukraine gekommenen Flüchtlinge als Zeugen möglicher | |
Kriegsverbrechen befragt. | |
Laut Khan haben jenseits der JIT-Staaten weitere 13 Staaten eigene | |
Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen. Etwa die | |
Hälfte davon sind EU-Staaten, fügte Eurojust-Chef Hamran hinzu. Vermutlich | |
ist hier auch Deutschland mitgezählt, wo Generalbundesanwalt Peter Frank | |
bisher aber nur Strukturermittlungen ohne konkrete Beschuldigte durchführt. | |
„Das Wichtigste ist, dass alle zusammenarbeiten“, sagte IStGH-Chefankläger | |
Khan, „es geht um Kooperation, nicht um Wettbewerb.“ | |
31 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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