# taz.de -- Foto-Ausstellungen über Herbert List: Das Geheimnis hinter dem Bild | |
> Hamburg zeigt zwei Ausstellungen über den Fotografen Herbert List. | |
> Bekannt war der bekennende Homosexuelle für die „Fotografia Metafisica“. | |
Bild: Genial surreal: Herbert Lists „Goldfischglas“ von 1937 (Ausschnitt) | |
HAMBURG taz | „OK, fotografier mich. Ach nein, lieber nicht. Na gut, aber | |
bitte mir gemäß.“ So ungefähr lässt sich der misstrauisch-ängstliche Bli… | |
Jean Cocteaus deuten, den der Hamburger Schwarzweiß-Fotograf Herbert List | |
1936 in Paris ablichtete. Es ist eines von etlichen sehr ehrlichen | |
KünstlerInnenporträts, die List, dem derzeit eine Retrospektive im | |
Hamburger [1][Bucerius Forum] gilt, schuf. | |
Ein anderes: Alexander Calder mit halb verletzlichem, halb verschlagenen | |
Blick – oder Pablo Picasso, Nägel kauend, beobachtet von einer selbst | |
gemalten Eule. Sein Alter Ego? Graue Eminenz? | |
Man weiß es nicht, und dieser Mix aus Humor und Spiel zieht sich durch das | |
ganze Werk des 1975 verstorbenen Fotografen, der eigentlich Kaufmann werden | |
sollte und zunächst in die Kaffeefirma seines Vaters eintrat. Auf | |
Geschäftsreisen nach Mittelamerika fing er an, sich für Fotografie zu | |
begeistern. | |
Zurück in Hamburg, begann er unter dem Einfluss des Fotografen [2][Andreas | |
Feininger] mit Street Photography. Und in der Tat, er hatte den Blick: für | |
die Hafenarbeiter, die beim Schichtwechsel vom Anleger zur Elbtreppe | |
strömen und auf geheimnisvolle Weise choreographiert wirken wie mäandernde | |
Magnetspäne – dabei war das Foto nicht gestellt. | |
## Der Surrealismus Magrittes | |
Das Geheimnisvolle hinter dem Sichtbaren faszinierte List von Anfang an; | |
für seine „Fotografia Metafisica“ in den Stillleben aus den Jahren vor 1939 | |
wurde er unter anderem bekannt. Den Surrealismus René Magrittes umd Max | |
Ernsts zitiert zum Beispiel der „Geist des Lykabettos“ aus Athen: ein weiß | |
gewandeter Mensch zwischen Felsen, das Gesicht von einem Spiegel verdeckt. | |
Seine rechte Hand ist im Gewand versteckt, die linke hält er vorm Spiegel | |
und erzeugt so eine „neue“ zweite Hand. Ein feines Spiel mit Schein und | |
Sein und Illusion. Der weibliche Halbtorso auf einer Art Käfig-Drahtgerüst | |
wiederum erinnert an die bizarren Wesen in der Pittrua Metafisica [3][de | |
Chiricos] oder Dalis. | |
Auch Lists jetzt erstmals im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe | |
gezeigtes Fotobuch-Projekt „Präuschers Panoptikum“ mit Bildern aus dem | |
Wachsfigurenkabinett des Hermann Präuscher auf dem Wiener Prater zählt, | |
obwohl später entstanden, zu dieser Serie. Masken, Figuren, Skulpturen | |
erwachen im Foto zum Leben und erstarren, sobald man die Illusion bemerkt. | |
Was der bekennende Homosexuelle List sonst noch fotografierte? Junge | |
Männer. Freunde und Bekannte seines Umfeldes hat er tagebuchartig verewigt, | |
in Hamburg sowie auf Reisen nach Italien, Griechenland, Frankreich, | |
Tunesien. Es sind sehr private Fotos geworden – erotisch, aber nicht | |
voyeuristisch übergriffig – weder für die Porträtierten noch für die | |
Betrachtenden. Schlafend, aufwachend, lachend, am Wasser tobend findet man | |
sie, auch den berühmten „Amor“ aus Hammamet in Rückenansicht. | |
## Kein NS-Männlichkeitsideal | |
Diese Männer sind attraktiv und verletzlich zugleich und entsprechen so gar | |
nicht dem damals gängigen heroischen Männlichkeitsideal, schon gar nicht | |
dem der Nationalsozialisten. Und auch wenn der schwarzhaarige Jüngling | |
„Unter dem Poseidontempel“ den muskulös markigen Typen des NS-Bildhauers | |
Arno Breker am ehesten nahekommt: Er ist kein nordischer Typ und passt so | |
gar nicht in die „Arier“-Ideologie. | |
Verdächtig war dem NS-Regime dagegen der bekennend homosexuelle List mit | |
seinen jüdischen Großeltern. 1936 floh er, von Freunden gewarnt, in die | |
Schweiz, nach Italien, dann nach Paris, wo ihm andere Künstler halfen, | |
finanziell Fuß zu fassen, ihm Aufträge bei Zeitschriften vermittelten. | |
Das war nötig, denn im selben Jahr hatte List die Teilhaberschaft an der | |
Firma seines Vaters aufgegeben, um ganz von der Fotografie zu leben. Sein | |
lebenslanger Sehnsuchtsort wurde dann allerdings Griechenland, wo er von | |
1937 bis 1941 großteils lebte. Das besondere Licht dort galt ihm als Symbol | |
einer idealisierten [4][Antike], in der Homosexualität gesellschaftlich | |
akzeptiert war. Wie Heroen wirken Reste antiker Säulen auf Lists Fotos, als | |
Arkadien erscheint der „Heilige Hain“ mit Resten der Echohalle in Olympia �… | |
Steine, verstreut zwischen Bäumen wie Kalligraphen des Vergangenen. Gelebt | |
hat List damals von Architekturfotos im Auftrag der Stadt Athen. | |
Kurz vor dem deutschen Einmarsch in Griechenland forderte ihn das NS-Regime | |
allerdings zur Ausreise nach Deutschland auf; andernfalls drohe Haft. In | |
Deutschland wiederum fürchtete er – neben der Verfolgung als Homosexueller | |
und Halbjude – die Einberufung zur Wehrmacht und versuchte einen „Deal“ m… | |
dem System: bewarb sich als Bildjournalist im Reichsverband der Deutschen | |
Presse, wurde aber abgelehnt. Auch ein Auftrag des Ostministeriums für | |
„künstlerische Bildberichte“ in den besetzten Ostgebieten wurde nach | |
einigen Wochen zurückgezogen, weil er kein „Arier“ sei. | |
## Wunderbare Irreführung | |
Darüber hinaus passierte ihm allerdings nichts, und auf Intervention der | |
nicht dem NS-Propagandaministerium unterstellten Zeitschrift Tele wurde er | |
bis 1944 vom Wehrdienst zurückgestellt, danach von der Wehrmacht als | |
Verwalter nach Norwegen geschickt. Warum er letztlich unbehelligt blieb, | |
ist nicht ganz klar; es mag am seinem Lavieren, vielleicht auch an | |
persönlichen Kontakten gelegen haben. Generell galt List als unpolitischer | |
Mensch, der nur fotografieren und publizieren wollte, etwa sein Buch „Licht | |
über Hellas“, das 1953 erschien. | |
Einige wichtige politische Aufnahmen machte er allerdings doch: 1945 hat er | |
im Auftrag der Alliierten die Entdeckung von NSDAP-Mitgliederkarteikarten | |
unter Papierbergen in einer Fabrikhalle dokumentiert. Es waren Tausende; | |
und die Papierberge erinnerten zynisch an die Leichenberge aus den | |
[5][befreiten KZ]. | |
Abgesehen davon aber begab sich List seit den 1950er-Jahren wieder auf | |
Reisen, inzwischen mit einer Leica-Kleinbildkamera, mit der er spontaner | |
und unauffälliger Straßenszenen einfangen konnte als bis dato. Heraus kam | |
zum Beispiel das Foto weinender Frauen beim Abschied im Hafen von Neapel – | |
in Mimik und Kleidung ähnlich und individuell zugleich. Oder die elegante | |
Alte in Rom, die mitten auf einer Straße vorm Kühler eines Autos steht und | |
deren Blick sagt: „Was bist du für ein fremdes Geschöpf? Und übrigens, die | |
Straße gehört mir.“ | |
Spielerisch wirkt auch das „Spiel mit dem Reifen“ aus der Serie „Blick aus | |
dem Fenster“. Ein Motorrad fährt dort an einem Jungen vorbei, der in | |
entgegengesetzter Richtung hinter einem Reifen her rennt. Unwillkürlich | |
denkt man, das Motorrad habe den Reifen verloren. Ist natürlich Unsinn. | |
Aber welch wunderbar irreführende Suggestion. | |
10 Jul 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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