# taz.de -- Odessa im Krieg: Auf dem Trockenen | |
> Odessa lebt vom Meer, aber jetzt fahren keine Schiffe mehr. Die Strände | |
> sind verwaist, die Lokale leer. Einblicke in eine tief getroffene Stadt. | |
Bild: Baden wegen Minengefahr verboten: Abgesperrter Strand in Odessa | |
Odessa taz | In dem griechisch angehauchten Ausflugslokal an den Klippen | |
über Odessas Schwarzmeerküste müsste zu dieser Jahreszeit eigentlich | |
Hochbetrieb sein. Doch Oksana und ihre vier Kolleg:innen müssen sich nur | |
um die Gäste an vier Tischen kümmern, dabei hat das „Santorini“ rund | |
hundert Tische. Es ziehen Wolken auf. | |
Oksana, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte, richtet | |
einen Schirm neu aus. Dann erzählt sie. Anfang März sei sie mit ihren | |
Kindern in den Westen der Ukraine geflohen. Sie hätten Angst gehabt, dass | |
auch in [1][Odessa] gekämpft werden würde. Die russischen Kriegsschiffe | |
habe man zwar nicht gesehen, aber doch gewusst, dass sie hinter dem | |
Horizont kreuzen. | |
Ende April sei sie dann zurückgekehrt. „Hier ist meine Wohnung, meine | |
Arbeit, Familie und Freunde.“ Außerdem sei es doch schließlich Odessa. Da | |
könne sie nicht lange wegbleiben. Angst habe sie natürlich immer noch, aber | |
nicht mehr so viel. Finanziell sehe es allerdings schlecht aus, sagt | |
Oksana. | |
Im Restaurant arbeite nur ein Bruchteil der Belegschaft aus dem Vorjahr. | |
„Warum auch? Es sind praktisch keine Touristen da“, sagt sie. Sie deutet | |
über die Terrasse zu den wenigen Gästen. „Das sind alles Menschen, die hier | |
in der Nähe wohnen.“ Es wird Kaffee getrunken, mal ein Kuchen gegessen. | |
Viel Umsatz bringe das nicht. Am Wochenende sei es etwas voller. | |
## Die Smartphones vibrieren, die Sirenen hört man nicht | |
Als Oksana kassiert, beginnt der zweite Luftalarm des Tages. Die | |
Smartphones mit der Warn-App vibrieren. Sirenen hört man am Strand wegen | |
des Meeresrauschens nicht. | |
In einer Ecke der Terrasse haben eine Polizistin und ein Polizist Platz | |
genommen, die wohl gerade Pause von ihrer Patrouille auf dem Uferweg | |
machen. Sie tragen die figurbetont geschnittenen schwarzen Uniformen, die | |
der ukrainischen Polizei vor einigen Jahren als Teil einer Reform verpasst | |
worden sind, um sie von der früheren Miliz abzuheben. | |
Seitdem sehen die Polizist:innen nicht mehr aus wie in der Sowjetunion, | |
sondern wie aus einer amerikanischen Cop-Serie. Sie löffeln den Schaum vom | |
Kaffee und stecken die Köpfe zusammen. Die Kalaschnikows lehnen derweil an | |
ihrer Sitzbank. | |
Von der Terrasse kann man fast die ganze Bucht von Odessa überblicken: | |
links die Silhouette des Stadtzentrums und die Hafenanlagen, rechts öffnet | |
sich das Schwarze Meer nach Süden und an der Küste ragen die Hochhaustürme | |
von Hotels empor. Kein einziges Schiff ist auf der Reede zu sehen. | |
Es ist nur scheinbar friedlich. Der Krieg drückt der Millionenstadt die | |
Luft ab. Der [2][Tourismus] und der Hafen sind die zwei wichtigsten | |
Branchen der Stadt. Beide stehen so gut wie still. Russlands Krieg gegen | |
die Ukraine ist auch ein Krieg gegen ihre Wirtschaft. Das macht, neben der | |
Angst um sich selbst und andere Menschen, den Odessiten zu schaffen. | |
## Einige Badende trotzen dem Verbot | |
Ein Stückchen weiter putzen sich Wasservögel auf den Klippen in der | |
Brandung ungestört das Gefieder. Das Wasser sieht klar aus. Der Sandstrand | |
wurde in diesem Jahr nicht von Zehntausenden Badegästen aufgewühlt. Denn | |
auch die Einheimischen dürfen den Strand eigentlich nicht betreten, | |
geschweige denn dort baden gehen. Das ist wegen der Minen verboten, die im | |
Sand liegen sollen und im Meer treiben, um einen russischen Landungsversuch | |
zu vereiteln. An manchen Stellen ist das Meer jetzt durch einen Zaun | |
abgesperrt. | |
Aber ein Rest der viel gerühmten Odessa-Anarchie ist noch übrig. Eine | |
Anwohnerin verrät, dass sie schon schwimmen war. An der beschriebenen | |
Stelle liegen dann tatsächlich vier Badegäste verteilt auf hundert Metern | |
Strand. Eine planscht im seichten Wasser, einer schwimmt fünfzig Meter | |
hinaus. Nach ein paar Minuten packen die Badegäste zusammen und gehen. Es | |
fängt an zu regnen. | |
Einen Kilometer weiter südlich würde in einem normalen Jahr der Tourismus | |
brummen. Arkadia heißt das Viertel aus Hochhäusern im Süden Odessas mit | |
seinen vielen Hotels und Ferienwohnungen. Am Ufer reihen sich noble | |
Nachtklubs und teure Strandbars an Biergärten und Imbissbuden. Arkadia ist | |
sozusagen der Ballermann der Ukraine. Doch nun sind nur wenige Geschäfte | |
geöffnet und deren Angestellte vertreiben sich mit Gesprächen gegenseitig | |
die Zeit. Nur die Strandklubs mit Pool haben ein paar Besucher. Jede zehnte | |
der Liegen ist belegt. | |
## Flughafen, Museen, Nachtclubs: alles geschlossen | |
Einen Überblick über die wirtschaftlichen Schäden hat Petro Obukhov. Der | |
37-Jährige ist Mitglied des Stadtrats für die Partei „[3][Europäische | |
Solidarität]“ des früheren Präsidenten Poroschenko. Damit ist er sowohl | |
landesweit als auch in der Stadt in der Opposition. Obukhov leitet den | |
Ausschuss für Transportwesen. Der beschäftigt sich sowohl mit dem Hafen als | |
auch mit dem Tourismus. Gerade hat er etwas Zeit, weil durch das geltende | |
Kriegsrecht viele Kompetenzen an die Verwaltung übergegangen sind. | |
Obukhov ist auch ein Unternehmer. Er betreibt die Taxi-App mit dem Namen | |
Bond, in die ein Lieferdienst integriert ist. „Derzeit sind wir in Odessa | |
und Kiew aktiv“, erklärt er und zeigt auf sein Smartphone. Eine Karte | |
Odessas poppt auf. Darauf sieht man viele kleine Dreiecke in | |
unterschiedlichen Farben durch das Straßennetz fahren. 117 sind gerade mit | |
einem Fahrgast unterwegs, 235 sind frei. Für den Unternehmer Obukhov sind | |
das keine guten Zahlen. Ab Juni herrsche eigentlich Hochsaison. Der | |
Fahrdienst müsste reichlich Kundschaft haben. Stattdessen ist weniger los | |
als in der Nebensaison. | |
Etwa jeder Fünfte der rund eine Million Einwohner soll aus Odessa geflohen | |
sein. Obukhov hält das für plausibel, denn das decke sich mit seiner | |
Kundendatenbank. Allerdings sei von den Stammkunden, die sich im März und | |
April nicht mehr eingeloggt hätten, inzwischen fast die Hälfte wieder | |
zurückgekommen. | |
Ein weiterer Indikator dafür, was der Stadt an Einnahmen entgeht, ist der | |
Flughafen. Seit einigen Jahren hat ein neues Terminal das alte | |
Abfertigungsgebäude aus der Sowjetzeit ersetzt. Erst im vergangenen Jahr | |
wurde eine neue Start- und Landebahn fertig. „Nun sollten für eine | |
Milliarde Hrywnja die Rollbahnen erneuert werden“, sagt Obukhov. | |
## Der zivile Luftverkehr ist eingestellt | |
Das sind etwa 33 Millionen Euro. Doch die Investitionen liegen auf Eis. Im | |
vergangenen Jahr zählte der Flughafen rund 1,5 Millionen Passagiere. Damit | |
sei man fast schon wieder auf dem Niveau vor der Pandemie gewesen, sagt | |
Obukhov. „In diesem Jahr hätten es erstmals zwei Millionen werden können.“ | |
Stattdessen ist der Airport geschlossen, der zivile Luftverkehr in der | |
gesamten Ukraine eingestellt und die Start- und Landebahn seit April durch | |
einen russischen Marschflugkörper zerstört. | |
Seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 war die Region im | |
Nordwesten des Schwarzen Meeres auch bei ukrainischen Gästen immer | |
beliebter geworden. „Das vergangene Jahr war wahrscheinlich das beste | |
überhaupt“, schätzt Obukhov. Die Touristen mieten nicht nur Zimmer und | |
fahren Taxi, sie kaufen ein, gehen essen. Nun können Gäste aus dem Ausland | |
nicht mehr mit dem Flugzeug anreisen. Kreuzfahrtschiffe kommen auch nicht. | |
Wer will schon mitten im Krieg Urlaub machen? | |
Auch Gäste aus dem Inland sind rar. Mal abgesehen davon, dass die meisten | |
Ukrainer nun andere Dinge als Ferien im Kopf hätten: „Die Strände sind | |
gesperrt, die Museen und Nachtklubs geschlossen. Warum sollte man nach | |
Odessa kommen?“, sagt Obukhov. Wegen der ab 23 Uhr geltenden Ausgangssperre | |
machen die meisten Gaststätten spätestens eine Stunde vorher dicht, damit | |
die Mitarbeiter noch rechtzeitig nach Hause kommen. Last Order meist um | |
neun. | |
Mehrmals täglich heulen die Sirenen in der Stadt. Mehrere Raketen sind | |
schon in Odessa eingeschlagen, in Wohngebiete, aber auch in ein | |
Treibstofflager. Es gab Todesopfer. Die Innenstadt, dieses architektonische | |
Juwel, ist bisher verschont geblieben. Schutzräume existieren zwar, aber | |
kaum jemand eilt bei einem Alarm in einen Bunker. Die meisten Menschen | |
ignorieren inzwischen die täglichen Luftalarme. Es gebe so oft Alarm, dass | |
man den Alltag einstellen müsste, würde man jedes Mal in einen Keller | |
eilen, erzählen die Menschen. | |
## Der Hafen steht still | |
Auch der zweite wichtige Teil der städtischen Wirtschaft steht still. Wegen | |
der Blockade durch die russische Marine ist seit Monaten kein Schiff mehr | |
in den größten Hafen der Ukraine ein- oder ausgelaufen. Erst im vergangenen | |
Jahr war der Stadthafen um ein neues Containerterminal des Hamburger | |
Unternehmens HHLA erweitert worden. | |
Im Stadtgebiet sind die meisten Wege in Richtung Hafen mit Sperren aus | |
Betonblöcken, Eisenbahnschienen und Sandsäcken verbarrikadiert. Bewaffnete | |
Soldat:innen erklären mal mehr, mal weniger höflich, dass niemand dort | |
hindurchgehen darf. Ausgenommen sind nur die Anwohner. Selbst der Weg zur | |
berühmten Treppe, die Sergei Eisensteins Film „[4][Panzerkreuzer Potemkin]“ | |
ihren Namen verdankt, ist blockiert. Vom Primorski Boulevard an ihrem | |
oberen Ende hätte man sonst einen guten Überblick über die Hafenanlagen. | |
Einheimische kennen natürlich die Stellen, von wo man trotzdem etwas sieht. | |
In einem benachbarten Viertel führt ein Fuß- und Radweg an der Kante des | |
Steilufers entlang. Am Zaun sind Schilder angebracht, auf denen steht, dass | |
Fotografieren verboten ist. Schauen ist also erlaubt. Schiffe sieht man | |
jedoch keine, viele Lastwagen auch nicht. | |
Das Flaggschiff der ukrainischen Marine, die Fregatte „Hetman | |
Sahaidatschnyj“, ist von ihrem früheren Ankerplatz verschwunden. Es liegt | |
halb versunken im Hafen von Mykolajiw hundert Kilometer südöstlich von | |
Odessa, von der eigenen Besatzung versenkt, damit es nicht Russland in die | |
Hände fällt. | |
Was man in Odessa sehen kann, sind die beeindruckend großen | |
[5][Getreidesilos]. In ihnen lagert, was vielen Ländern in Afrika und im | |
Nahen Osten nun fehlt. „Wir hatten ja keine Ahnung davon, wie wichtig unser | |
Hafen für die Welt ist“, sagt Obukhov. „Dass von hier aus 400 Millionen | |
Menschen ernährt werden.“ | |
Doch die Blockade nimmt auch in der Stadt vielen Menschen die | |
Existenzgrundlage. Zwar bezahle der Staat bisher die rund 5.000 Mitarbeiter | |
seines Hafens weiter. Aber Zehntausende andere, die in privaten Firmen, bei | |
Dienstleistern und Lieferanten mit dem Hafen zusammengearbeitet hatten, | |
stünden ohne Einkommen da, sagt Obukhov. Dazu kommen die Seemänner. Die | |
haben vor dem Krieg in der Regel für internationale Reedereien gearbeitet. | |
Wer bei Kriegsbeginn in der Stadt war, komme nun wegen des Kriegsrechts | |
nicht mehr aus der Ukraine heraus. | |
Kleine Unternehmen versuchen sich umzustellen, erzählt Obukhov. So habe | |
eine Modeschneiderei früher Abendkleider gefertigt. Nun produziere man dort | |
Schlafsäcke und die textilen Träger für kugelsichere Westen. Ein anderer | |
Mann berichtet, dass seine Firma statt dezentraler Solarmodule für | |
Automaten nun Solargeneratoren fürs Militär baut. | |
## Aljona und Margo warten vergeblich auf Touristen | |
Die touristische Tristesse lässt sich in der Fußgängerzone in der Altstadt | |
beobachten. Die Straßen verlaufen von Bäumen gesäumt im Schachbrettmuster. | |
Odessa ist keine Stadt der Wolkenkratzer – maximal 18 Meter Höhe lassen die | |
Bauvorschriften in der Innenstadt zu, auch wenn das offenbar nicht jeder | |
Architekt wörtlich genommen hat. Barock, Klassizismus oder Jugendstil, | |
Odessa steht voller Kunstwerke. Prunkstück ist das [6][Opernhaus], das wie | |
eine steingewordene Sahnetorte über der Steilküste thront. Die Wohnblocks | |
aus der Sowjetzeit finden sich in den Randbezirken. | |
Die Flaniermeile Deribasywska ist benannt nach José de Ribas, einem | |
spanischen General in Diensten von Katharina der Großen. Sie ist gesäumt | |
von Cafés, Restaurants und Klubs. Normalerweise stehen dort im Sommer gut | |
besetzte Tische auf dem breiten Bürgersteig. Dazwischen spazieren | |
Einheimische und Touristen über das Kopfsteinpflaster. Für ein paar Hrywnja | |
kann man auf einem Pferd reiten oder ein Foto mit jemandem in einem | |
Comicfigurenkostüm machen. Doch nun ist jedes zweite Geschäft geschlossen | |
und die Tische sind spärlich besetzt. | |
Am Nachmittag trägt Aljona ein Einhornkostüm, Margo ist als Pink Panther | |
unterwegs. „Wir bringen den Menschen gute Laune“, sagt Aljona. „Besonders | |
den Kindern.“ Allerdings bringe der Ferienjob weit weniger ein als im | |
vergangenen Jahr. „Es sind ja keine Touristen da“, sagt Margo. Aber | |
wenigstens hätten sie Arbeit. Einige Meter weiter wirbt eine Frau mit einem | |
Megafon um Kunden für eine Stadtrundfahrt in einem Elektromobil. Doch | |
Kundschaft kommt nicht. | |
Wie viele Touristen genau nach Odessa kamen und nun fehlen, lasse sich | |
indes nicht sagen, sagt Unternehmer Oleksandr Dovgopol. Er ist aus Odessa | |
und betreibt eine Kette von Reisebüros mit 150 Niederlassungen im ganzen | |
Land, genannt XO. Eine belastbare Statistik führe die Stadt nicht. Und auch | |
die Einnahmen aus der Übernachtungssteuer seien kein guter Anhaltspunkt, | |
weil viele private Kleinvermieter Zimmer einfach an der Steuer vorbei | |
vermieten. Eine Million Touristen im Jahr seien es aber mindestens gewesen, | |
schätzt er. Etwa zehn Prozent der Einwohner arbeiten direkt im Tourismus. | |
Und auch andere profitieren indirekt von den Umsätzen der Branche. | |
Die Lockdowns infolge der Coronapandemie hätten gezeigt, dass sich die | |
Branche anpassen und eine Weile überleben könne, sagt Dovgopol. | |
Anschließend habe es eine rasche Erholung gegeben. Doch nun sei die | |
Situation weitaus kritischer. Juni, Juli und August sind die | |
umsatzstärksten Monate. Viele Einwohner verdienten in dieser Zeit das Geld, | |
das sie durch den Rest des Jahres bringt. Nun seien viele selbst geflohen. | |
Arbeitslosigkeit werde ein großes Problem, nicht nur in Odessa. Er erwarte, | |
dass sich viele andere Jobs suchen, je länger der kriegsbedingte Stillstand | |
andauert. | |
## Bleiben, um zu kämpfen | |
Geblieben ist Maverick, der eigentlich anders heißt, aber lieber nur mit | |
seinem Codenamen genannt werden möchte. Vor seiner Nachtschicht an einer | |
Straßensperre holt er sich einen Kaffee und erzählt, wie sich sein Alltag | |
von einem auf den anderen Tag geändert hat. Vor dem 24. Februar hat er | |
einen gut gehenden Baustoffhandel geleitet. Da gebe es immer etwas zu tun, | |
sagt er und zeigt auf einen eingerüsteten Altbau auf der anderen | |
Straßenseite, der offenbar saniert werden sollte. Nun gebe es weniger | |
Nachfrage und weniger Material. | |
Aber der 51-Jährige hatte sich ohnehin für einen anderen Weg entschieden. | |
„Am 25. Februar wollte ich mich freiwillig zur Armee melden“, sagt er. | |
„Doch sie haben mich weggeschickt.“ Es gebe genug jüngere Freiwillige. Er | |
habe zwar keine militärische Erfahrung, könne als Jäger aber gut schießen, | |
erzählt er. Und so wurde er schließlich ehrenamtlicher Helfer bei der | |
Grenzbehörde. Die bewacht in Odessa auch Hafenanlagen. | |
Dabei gehe es vor allem um den Schutz vor Saboteuren, die möglicherweise | |
Ziele für Luftangriffe markierten oder das Areal ausspionierten. In den | |
ersten Wochen seien solche Checkpoints auch angegriffen worden. Vor einem | |
benachbarten Checkpoint sei eine Handgranate explodiert. „Die wollten | |
testen, ob wir vorbereitet sind“, sagt er. | |
Als die ukrainische Armee im April bei Mykolajiw in einer schwierigen Lage | |
war, wurden die Freiwilligen als Verstärkung in Richtung Front geschickt, | |
erzählt er. Russische Panzer seien dort schon am Stadtrand gewesen. Seine | |
Einheit habe eine Brücke über den Südlichen Bug bewacht. | |
## Natürlich hatte er Angst | |
Zum Glück seien die Angreifer gestoppt worden, Odessa wäre sonst das | |
nächste Ziele gewesen, ist sich Maverick sicher. Natürlich habe er Angst | |
gehabt. „Aber wir haben keine Wahl. Wir müssen unsere Heimat schützen, | |
sonst macht das niemand.“ Erst recht nach allem was passiert sei in | |
Butscha, in Irpin, in Mariupol, sei klar, dass unter russischer Herrschaft | |
kein Leben möglich sei. Er habe Kinder und Enkel, die eine Zukunft haben | |
sollen. | |
Sprachlehrerin Anna hat noch gute Erinnerungen an das vergangene Jahr. So | |
gut sei das Geschäft noch nie gelaufen. Sie hat sich vor 16 Jahren mit | |
ihrer Sprachschule „New Life“ selbstständig gemacht. Die Räume befinden | |
sich in einem Altbau zwischen der Fußgängerzone und einem Einkaufszentrum. | |
Die Kellerfenster sind mit Sandsäcken präpariert. Nebenan befindet sich vor | |
einem Polizeirevier eine Straßensperre. Tarnnetze flattern im Wind über | |
Betonblöcke. | |
In ihrer Schule konnten Einheimische Englisch und Deutsch in Kleingruppen | |
lernen. Gutes Geld wurde auch mit dem Russisch- und Ukrainisch-Unterricht | |
für Ausländer gemacht. Im November seien sie und ihre drei Mitarbeiterinnen | |
noch mit neun Stunden am Tag ausgebucht gewesen. Nun gebe sie noch zweimal | |
in der Woche eine Stunde Unterricht, die Mitarbeiterinnen seien gekündigt. | |
Ein paar Stammkunden aus dem Ausland hätten immerhin Fernunterricht | |
gebucht, sagt sie. Sie komme derzeit halbwegs über die Runden, weil sie in | |
den besseren Jahren ihre Wohnung kaufen konnte. Eine weitere könne sie | |
vermieten. Und man schränke die Ausgaben ein. | |
Als die Invasion begann, so erzählt Anna, habe sie befürchtet, dass die | |
russische Armee die Stadt schnell einnehmen könnte. Geblieben seien sie und | |
ihre Familie trotzdem. Schließlich sei alles, was sie sich in ihrem Leben | |
aufgebaut habe, hier in Odessa. | |
13 Jul 2022 | |
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[1] /Krieg-in-der-Ukraine/!5846427 | |
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[5] /Weizenkrise-durch-Ukraine-Krieg/!5861198 | |
[6] /Hochkultur-in-Odessa/!5863564 | |
## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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