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# taz.de -- Regierende Koalitionen: Schwarz-Grün treibt Blüten
> In Düsseldorf und Kiel regiert die CDU jetzt mit den Grünen. Im Bund
> rumpelt es in der Ampel. Ist Schwarz-Grün ein Vorbild für Berlin?
Bild: Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen) unterzeich…
Mittwochvormittag: Der Kieler Landtag hat gerade Daniel Günther als
Ministerpräsidenten wiedergewählt, jetzt steht der CDU-Mann am Mikrofon im
Plenarsaal und dankt „Bernd und Heiner“ für die gute Zusammenarbeit. Bernd
und Heiner, das sind der bisherige Wirtschaftsminister Bernd Buchholz und
Heiner Garg, der bislang das Gesundheitsressort geführt hat.
Beide sind in der FDP – und sitzen seit Mittwoch in der Opposition. Denn
Günther, der zuletzt eine Jamaikakoalition angeführt hat und nach seinem
Wahlsieg nur noch einen Partner braucht, hat sich gegen die FDP und für die
Grünen entschieden. Jetzt sagt er: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit
im neuen Team.“
Mit einem neuen Team [1][regiert seit dieser Woche auch Hendrik Wüst],
Günthers Parteifreund aus NRW. Noch vor der Wahl hatte Wüst betont,
Schwarz-Gelb sei „echte Liebe“. Die aber scheint verflogen zu sein. Für
eine Koalition mit der FDP hat es nach der Landtagswahl nicht mehr
gereicht, die Freidemokraten haben dafür zu schlecht abgeschnitten.
Auch in NRW regiert die CDU jetzt mit den Grünen, erstmals in diesem großen
und wichtigen Bundesland. Nach seiner Wahl betont Wüst im Landtag, [2][der
Schutz des Klimas] und die Bewahrung der Schöpfung seien „die größten
Aufgaben unserer Zeit“. Später lächelt er mit der Grünen Mona Neubaur,
seiner künftigen Stellvertreterin, in die Kameras.
Vier Bundesländer mit insgesamt 38 Millionen Menschen werden jetzt
gemeinsam von CDU und Grünen regiert, neben NRW und Schleswig-Holstein auch
Hessen und – unter Führung der Grünen – Baden-Württemberg. In den Lände…
liegt Schwarz-Grün im Trend, nicht zuletzt, weil die Öko-Partei ihre
Berührungsängste abgelegt hat. Koalitionen mit der CDU polarisieren intern
nicht mehr, zumal dann, wenn es ohne sie keine Machtoption gibt.
Die Ansicht, dass man sich nicht länger an die SPD ketten sollte, hat sich
durchgesetzt. Gute Erfahrungen mit den Konservativen in den gemeinsamen
Landesregierungen haben mittlerweile auch den linken Parteiflügel
überzeugt. Abgesehen von der Grünen Jugend leistet kaum noch jemand
Widerstand.
Wäre Schwarz-Grün also auch eine Option für den Bund? Möglicherweise die
bessere? Von der Aufbruchstimmung der Berliner Ampel aus den Anfangstagen
ist jedenfalls kaum noch etwas zu merken. Stattdessen zanken sich die
Grünen mit der FDP, zuletzt um den Verbrenner. Zuvor tobte der Streit mal
um die Atomkraft, mal um die Schuldenbremse oder die Impfpflicht. In der
Bundesregierung läuft es nicht rund, man könnte auch sagen: Es holpert.
„Natürlich haben die beiden neuen Koalitionen eine Signalwirkung ins ganze
Land“, sagt Jens Spahn am Telefon. „Wenn es im Industrieland
Nordrhein-Westfalen geht, geht es prinzipiell überall.“ Spahn, zuletzt
Gesundheitsminister, ist im Bundestag jetzt stellvertretender Fraktionschef
der Union mit den Schwerpunkten Klima und Wirtschaft – und nach der
Wahlniederlage der Union gewiss nicht in der Politik geblieben, um in der
Opposition zu verharren. Spahn hat den Koalitionsvertrag in Düsseldorf
mitverhandelt, bei Wüsts Wahl im Landtag saß er auf der Tribüne. Die neuen
Bündnisse, sagt er, zeigten auch: „Es gibt eine weitere Machtoption
jenseits der Großen Koalition.“
Personell hat sich die CDU [3][mit Friedrich Merz an der Spitze] neu
aufgestellt, eine inhaltliche Neubestimmung nach der Niederlage bei der
Bundestagswahl steht noch aus. Um zurück an die Macht zu kommen, muss sie
aber auch einen Partner aus der Ampel herauslösen. Dass es in naher Zukunft
mit der FDP für eine Mehrheit reichen könnte, ist derzeit unwahrscheinlich,
die Zustimmung zur FDP schwindet. Die alte Bindung zu den Liberalen hat
sich ohnehin gelockert, auch weil diese das Lager gewechselt hat. Bleiben
also die Grünen – die wie die CDU derzeit im Aufwärtstrend sind.
„Es gibt keine natürlichen Partner mehr, das gilt auch für die FDP“, sagt
auch CDU-Vize Andreas Jung. „Schwarz-grüne Bündnisse bringen die Chance,
weit in die Gesellschaft hineinreichen zu können.“ Ökonomie und Ökologie
zusammenzuführen, Nachhaltigkeit in der ganzen Breite, das stehe jetzt im
Mittelpunkt. Genau so hatten vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr
viele argumentiert, die noch von einer schwarzen-grünen Koalition mit dem
CDU-Mann Armin Laschet als Kanzler ausgegangen waren.
Bei den Grünen im Bund schwärmt kaum noch jemand von einem Bündnis mit den
Schwarzen. Als eine Machtoption unter vielen bleibt Schwarz-Grün zwar auf
dem Zettel. Aber trotz der neuen Landeskoalitionen und der Querelen in der
Ampel hält sich die grüne Sehnsucht nach der Union in Grenzen.
Für den Geschmack vieler Grüner verhält sie sich in der Opposition zu
oppositionell. Als sich die Ampel im Winter nicht auf eine gemeinsame
Position zur Impfpflicht einigen konnte, hofften die Grünen vergeblich auf
Stimmen aus der Union. Als die Koalition mit CDU und CSU über das
Bundeswehr-Sondervermögen verhandelte, fielen die Wünsche der Grünen unter
den Tisch. Die Erkenntnis: Inhaltlich wäre es mit der Union im Moment auch
nicht einfacher als mit den Liberalen.
Dazu kommen Attacken, die die Grünen den Konservativen übel nehmen – vor
allem, wenn es um Krieg und Krise geht. „Die Gaskrise zeigt, dass die
Energiepolitik der Grünen massiv gescheitert ist“, twitterte vergangene
Woche zum Beispiel Fraktionsvize Dorothee Bär (CSU).
„Die Union hat nach 16 Jahren in der Regierung in vielen Bereichen einen
Scherbenhaufen hinterlassen“, sagt der grüne Haushaltspolitiker
Sven-Christian Kindler, der dem linken Parteiflügel angehört. „Es ist
krass, mit wie wenig Demut und Selbstkritik sie jetzt in der Opposition
plump draufhaut.“
Auch Fraktionsmitglieder, die Schwarz-Grün eigentlich sehr offen
gegenüberstehen, sind zunehmend genervt. „Wer hat denn 16 Jahre lang
regiert und viel zu wenig gegen all die Krisen gemacht, sie faktisch weiter
verschärft, so dass wir jetzt hart gegensteuern müssen?“, sagt
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die als Fraktionschefin
vor noch nicht allzu langer Zeit die Nähe zur Union gesucht hat. „Wenn ich
mir Debatten der CDU und CSU anhöre, kommt kein Weitblick, kein
Fortschritt. Kritik gehört dazu, klar, doch kluge Opposition ist
konstruktive Kritik, also in Krisen mithelfen und nicht nur meckern“, sagt
sie jetzt.
Schon länger verschwunden ist der Glanz um die geheimnisumwobene
Pizza-Connection, dem einst legendären Gesprächskreis von
Nachwuchspolitiker:innen aus Union und Grünen, der sich in den
1990ern bei dem Bonner Italiener Sassella traf, dann einschlief und später
wiederbelebt wurde. Seit einigen Jahren koordiniert die stellvertretende
CDU-Chefin Silvia Breher den Kreis auf Seiten der Union, sie will über die
Treffen nicht sprechen. Nur so viel: „Am Ende geht es darum, sich
kennenzulernen und auszutauschen.“
Zur inhaltlichen und strategischen Vorbereitung einer künftigen
Zusammenarbeit dient der Kreis seit Langem nicht mehr. „Das ist aktuell
etwas eingeschlafen“, sagt Spahn, der den Kreis gemeinsam mit dem heutigen
Grünen-Chef Omid Nouripour im Oktober 2013 neu aufgelegt hatte, als
Minister aber dann bald ausschied. Als „langweilig und sinnlos“ bezeichnet
die Treffen ein Grüner, der in den vergangenen Jahren regelmäßig
teilgenommen hat. „Das waren totale Laberrunden. Inhaltlich hat uns das
überhaupt nicht näher gebracht.“
Für manche Grüne ist auch der neue starke Mann in der CDU, Partei- und
Fraktionschef Friedrich Merz, ein Problem. Obwohl es mit Impfpflicht und
Sondervermögen viel zu besprechen gegeben hätte, musste die
Fraktionsführung der Grünen nach der Bundestagswahl lange auf einen ersten
Gesprächstermin mit dem CDU-Chef warten. Inhaltlich nehmen viele Grüne den
Sauerländer ohnehin als konservativen Knochen wahr, projizieren auch ihren
Unmut über die Union auf ihn.
Dabei versucht Merz, sein altes Image abzustreifen und sich als
integrativer Parteichef neu zu erfinden. Zum Befürworter der Frauenquote
ist er schon mutiert. Seit einigen Wochen trägt er sogar eine neue Brille,
die ihn weicher erscheinen lässt. Könnte in Zukunft mit ihm vielleicht doch
noch was gehen?
„Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein machen die Tür für Schwarz-Grün
weit auf“, sagt der Ur-Grüne Rezzo Schlauch, der schon vor fast vierzig
Jahren in Baden-Württemberg eine Koalition mit der Union gefordert hat und
die Politik heute von der Seitenlinie verfolgt. „Ob das irgendwann auch im
Bund trägt, hängt aber massiv von dem Kurs ab, den die Union einschlägt.“
Berlin sei nicht Kiel, wo mit Daniel Günther ein liberaler CDU-Mann
regiert. Wohin sich die Union im Bund entwickelt und ob der Kurswechsel von
Friedrich Merz anhält, müsse man abwarten.
Offen ist, ob die Union überhaupt mit Merz in den nächsten
Bundestagswahlkampf zieht. Läuft Schwarz-Grün in Düsseldorf gut, könnte ihm
der 20 Jahre jüngere Wüst die Kanzlerkandidatur wegschnappen. Und die grüne
Stellvertreterin Wüsts, Mona Neubaur, vielleicht mit ihm nach Berlin gehen.
1 Jul 2022
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## AUTOREN
Sabine am Orde
Tobias Schulze
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