| # taz.de -- Nato-und G7-Beschlüsse: Viel Militär, wenig für Ziviles | |
| > Die Nato setzt auf Aufrüstung und mobile Truppen. Das ist angesichts der | |
| > russischen Aggression nötig. Doch der Politik des Westens fehlt etwas. | |
| Bild: Ein Soldat der finnischen Armee während einer Übung in Rovajarvi im Mai… | |
| Nach 1990 war die [1][Nato] eine leere Hülle, ein Relikt des Kalten | |
| Krieges. Den blutigen Krieg gegen den Terror führten die USA nach 2001 mit | |
| einer „Koalition der Willigen“, die Nato war dabei überflüssig. Dass der | |
| Militärpakt je wieder ein zentraler Akteur werden würde, glaubten nur | |
| gesinnungsfeste Transatlantiker – und deren Konterpart, gesinnungsfeste | |
| linke Nato-Kritiker. Ihren Machtverlust ignorierten beide entschlossen. | |
| Putins Angriffskrieg hat der Nato eine erstaunliche Rückkehr beschert. | |
| Schweden und Finnland treten dem Bündnis bei. Die Nato erscheint in Europa | |
| als einzig verlässliche Versicherung gegen die imperiale Bedrohung aus | |
| Russland. Putin will Osteuropa, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer, mit | |
| Gewalt zur russischen Einflusssphäre machen. Die USA und Westeuropäer | |
| werden deshalb mit 260.000 zusätzlichen SoldatInnen als mobile | |
| Eingreiftruppe Osteuropa, und vor allem die baltischen Staaten, schützen. | |
| Angesichts der rohen Brutalität des russischen Krieges in der Ukraine und | |
| wüster Drohungen aus Moskau, die sogar die Unabhängigkeit Litauens in Frage | |
| stellen, ist diese Aufstockung richtig. | |
| Nicht erfreulich, aber besser als alles andere. Diese Erkenntnis ist bitter | |
| für alle, die zu Recht skeptisch auf Militär blicken und zivile Lösungen | |
| fordern. Was aber wäre die Alternative? Nichts zu tun? Die Aufrufe für | |
| einen Waffenstillstand in der Ukraine mögen gut gemeint sein – angesichts | |
| des ungebrochenen russischen Expansionsdrangs sind sie beklemmend hilflos. | |
| Dass die [2][Nato] wieder eine Hauptrolle spielt, hat Schattenseiten. | |
| Erdoğan versucht sich sein Ja zur Norderweiterung mit einem scharf | |
| antikurdischen Kurs bezahlen zu lassen. Falls das gelingt, wird der | |
| Beitritt von Schweden und Finnland einen giftigen Beigeschmack haben. Die | |
| 300.000 SoldatInnen umfassende Eingreiftruppe dürfte zudem auch bei | |
| weitherziger Auslegung die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verletzen. Dort | |
| ist fixiert, dass im Nato-Gebiet von Estland bis Bulgarien keine | |
| „substanziellen Kampftruppen“ stationiert werden dürfen. Die Nato-Verbände | |
| rotieren deshalb dort. | |
| Das soll zwar im Prinzip auch mit mehr westlicher Militärpräsenz so bleiben | |
| – aber nicht nur die Bundeswehr wird dauerhaft schwere Waffen im Baltikum | |
| stationieren. Ja, seit dem 24. Februar ist alles anders. Als russische | |
| Panzer auf Kiew rollten, haben sie auch diese Grundakte zermahlen. Für die | |
| Zeit nach dem Ukrainekrieg wäre es wichtig, dass der Westen und Russland | |
| wenigstens die Grundakte gemeinsam anerkennen würden. Die militärische | |
| Logik ist derzeit alternativlos. Sie demoliert als unvermeidlicher | |
| Kollateralschaden zivile Chancen. | |
| Diese kritische Erkenntnis drängt sich noch stärker auf, wenn man vom | |
| Nato-Gipfel in Madrid zurück auf den [3][G7-Gipfel] in Elmau schaut. Die | |
| G7-Staaten versorgen Kiew mit mehr Waffen und Geld. Das ist nötig, um den | |
| russischen Imperialismus einzuhegen. Kanzler Scholz hat aber zu Recht | |
| darauf beharrt, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur mit Panzern | |
| entschieden wird, sondern auch mit Narrativen. Putin versucht die Erzählung | |
| durchzusetzen, dass der Westen in der Südukraine gegen den Rest der Welt | |
| kämpft, der unter dessen Sanktionen zu leiden habe. | |
| Scholz hat bewusst Indien, Indonesien, Senegal, Südafrika und Argentinien | |
| nach Elmau eingeladen – als Symbol, dass Demokratie mehr ist als der | |
| Westen. Der Versuch, Indien und Südafrika für die Sanktionspolitik des | |
| Westens zu gewinnen, fruchtet indes nicht. Auch der Versuch, den Preis für | |
| russisches Öl zu deckeln, wird wohl erfolglos bleiben. | |
| Wo ist die zivile Initiative des Westens? Wo ist das Angebot an den | |
| globalen Süden? Senegal Gasförderung anzubieten, ist zu wenig. Scholz wirkt | |
| wie ein Klempner, der weiß, wo die Leitung leckt, aber nicht, wo der | |
| Werkzeugkasten steht. Deutschland gibt 100 Milliarden Euro für die | |
| Bundeswehr aus, die G7 helfen der Ukraine mit 28 Milliarden Euro und einem | |
| Marshallplan. Doch für die Bekämpfung der auch wegen des Kriegs drängenden | |
| globalen Hungerkrisen haben sie keine fünf Milliarden übrig. | |
| Die Nato antwortet auf die russische Bedrohung militärisch überzeugend. | |
| Doch als politischer Akteur wirkt der Westen unschlüssig. Das Militärische | |
| funktioniert, das Zivile nur schleppend. Das ist gefährlich. | |
| 1 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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