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# taz.de -- Afghanistan unter Taliban-Herrschaft: Allahs Ordnung auf Erden
> Vor einer Versammlung von Geistlichen und Ältesten proklamiert
> Taliban-Chef Hebatullah den islamistischen Gottesstaat. Frauenrechte
> erwähnt er nicht.
Bild: Ihre Bildung blieb auf der Zusammenkunft unerwähnt: junge Mädchen in Af…
Berlin taz | Mit der Formel Scharia plus Einheit und Autarkie haben die
Taliban die Weichen für einen islamischen Gottesstaat gestellt, ungedämpft
durch parlamentarische Elemente, wie sie etwa im benachbarten Iran
existieren. Dazu beriefen sie ab Donnerstag fast 5.000 höhere Geistliche,
Stammesälteste und Geschäftsleute aus dem ganzen Land ein – alles Männer.
Sie wurden von den Taliban-Verwaltungen in den Provinzen und Distrikten
ausgewählt.
Taliban-Chef Hebatullah Achundsada wurde per Hubschrauber eingeflogen. Bei
seiner Ankunft erneuerten die Anwesenden durch Handheben ihren
Gefolgschaftseid für ihn, den Amir-ul-Momenin, „Oberhaupt der Gläubigen“
und des Islamischen Emirats der Taliban.
Der wohl etwa 70-jährige Geistliche erklärte, Allah habe den Heiligen Krieg
gegen die „Ungläubigen“ zum Sieg geführt. Deshalb werde nun dessen
göttliche Ordnung auf Erden errichtet. Das sei der Wunsch des Volkes. Das
Emirat musste so nicht einmal mehr offiziell proklamiert werden.
Hebatullah warnte, der Westen sei zwar „weggelaufen“, führe den Krieg aber
weiter, indem er versuche, „Zwietracht“ zu säen und
Anti-Taliban-„Propaganda“ zu betreiben. In Worten, die an [1][Samuel
Huntingtons These vom Zusammenstoß der Kulturen] erinnern, sagte er, dieser
Konflikt werde „bis zum Tag des Jüngsten Gerichts“ weitergehen. Es werde
„keinen Kompromiss“ geben. Afghanistan sei nun unabhängig. Aufforderungen,
die Einheit der Taliban-Bewegung nicht durch öffentliche Diskussionen zu
gefährden, zogen sich deshalb als roter Faden durch seine Ausführungen.
## Afghanische Geschäftsleute sollen investieren
Hebatullah hielt trotzdem nicht die erwartete politische Grundsatzrede. Es
war eher eine Predigt, wie sie freitags in Afghanistans Moscheen zu hören
ist. Er sagte, Afghanistan solle sich „nicht auf die Hilfe der Welt“
verlassen. Stattdessen sollten die afghanischen Geschäftsleute investieren.
Ähnlich simpel hörte sich sein Vorschlag an, wie den [2][Opfern des
Erdbebens] von Ende Juni zu helfen sei: „Wenn ihr zwei Fladen Brot habt,
lasst ihnen eines und esst selbst nur das andere.“ Eine Absage erteilte
Hebatullah auch Forderungen nach einer inklusiveren Regierung.
Die Diskussion um Frauenrechte und Mädchenbildung tangierte er nicht
einmal. Im Plenum wagte ein einziger Teilnehmer, die Wiedereröffnung der
Mädchenschulen vorzuschlagen. Die offenbar vorgefertigte
11-Punkte-Schlussresolution der Versammlung, die nur verlesen und pauschal
durch Handheben bestätigt wurde, verwässerte dieses Thema unter
„Notwendigkeit moderner Bildung“. Vorher hatte Taliban-Sprecher Sabihullah
Mudschahed bei einer Pressekonferenz klargemacht, dass Hebatullah dabei das
letzte Wort haben werde.
Nach seinen harschen Zurückweisungen der Weltgemeinschaft ist kaum mehr zu
erwarten, dass er sich in dieser Frage revidieren wird. Obaidullah Bahir,
ein afghanischer Hochschuldozent, der nun im Exil lebt, sagte der BBC: „Wir
dachten, diese Versammlung könnte ein Mechanismus sein, aus der Sackgasse
zu kommen. Wir haben uns geirrt. Wir haben weniger als nichts für unsere
hungernde Nation erreicht.“
## Meinungsunterschiede wurden nur angedeutet
Nur einige prominente Taliban-Führer konnten latente interne
Meinungsunterschiede andeuten. „Ratet uns, wie man eine Außenpolitik
formulieren kann, die zur Anerkennung unserer Regierung führen kann“, sagte
Verteidigungsminister Muhammad Jakub, Sohn des Taliban-Gründers Mullah
Omar.
Innenminister Seradschuddin Hakkani mahnte, die Expertise von Mitarbeitern
der alten Regierung zu nutzen. Niemand wagte es, generellen Dissens zu
Hebatullahs isolationistischem Kurs zu äußern. Unklar bleibt, welche
Debatten bei den Taliban hinter den Kulissen weiterlaufen und in welcher
Schärfe.
Der afghanische Analyst [3][Rahmatullah Amiri,] der in Kabul und zeitweilig
in Berlin lebt, glaubt, dass die Ultra-Islamisten um Hebatullah nur eine
Minderheit darstellten. Dass Außenminister Amir Chan Mutaki parallel zur
Kabuler Versammlung in Katar mit US-Vertretern über die Freigabe von
Auslandsguthaben des afghanischen Staates verhandelte, zeigt, dass die
Taliban nicht ganz ohne „die Welt“ auskommen. Gleichzeitig machte der
Taliban-Chef in Kabul deutlich, dass er seinen Verhandlern in die Parade
fahren könne, sollten rote Linien überschritten werden.
3 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunk.de/clash-of-civilizations-huntingtons-kampf-der…
[2] /Humanitaere-Not-in-Afghanistan/!5860930
[3] https://twitter.com/rahmat_amiri
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
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