# taz.de -- Experte über das Kartellrecht: „Hohe Hürden für Zerschlagung“ | |
> Wirtschaftsminister Robert Habeck will die Regeln für die Bekämpfung von | |
> Kartellen verändern. Warum das sinnvoll ist, erklärt Jurist Rupprecht | |
> Podszun. | |
Bild: Wegen laxer Kontrollen beim Schieneneinkauf musste die Deutsche Bahn scho… | |
taz: Herr Podszun, wie zerschlägt man ein Unternehmen? | |
Rupprecht Podszun: Das ist eine gute Frage, weil wir nicht so viel | |
Erfahrung damit haben. | |
Wieso haben wir damit wenig Erfahrung? | |
Momentan sind die Hürden für eine Zerschlagung sehr hoch. Das | |
Bundeskartellamt müsste nachweisen, dass es dauernd zu Marktmissbrauch | |
kommt und dass dieser nur durch eine Zerschlagung abgestellt werden kann. | |
Das ist eine doppelt hohe Hürde: Man muss erstens einen Missbrauch von | |
Marktmacht nachweisen. Das ist schon schwierig in der kartellrechtlichen | |
Praxis. Und zweitens müsste man dann noch nachweisen, dass es keine andere | |
Möglichkeit gibt, diese Missbräuche abzustellen, als ein Unternehmen zu | |
zerschlagen. Dass also etwa Auflagen nicht ausreichen würden. Das ist in | |
der Praxis nicht zu leisten. Dazu kommt noch ein zweiter Punkt: Die | |
Anforderungen daran, was genau Marktmissbrauch ist, wurden in den | |
vergangenen Jahren immer weiter verschärft. | |
Wie kommt das? | |
Seit den 1980er Jahren ist, zuerst in den USA, eine sehr | |
wirtschaftsliberale Schule stark geworden, die Chicago School. Die ist nach | |
Europa und auch nach Deutschland geschwappt. Sie hat die | |
Kartellrechtsanwendung zurückgedrängt. Verlangt werden seither aufwendige | |
ökonomische Nachweise, und manche Gerichte fordern immer noch mehr. Jetzt | |
gibt es dafür quasi die Quittung, weil man sieht: Die Konzentration in | |
Märkten steigt. Mich überrascht immer, dass wir es dazu haben kommen | |
lassen. Denn die [1][Ordoliberalen], die in Deutschland prägend waren in | |
den 1950er, 60er Jahren, alles Männer, die man dem liberal-konservativen | |
Spektrum zuordnen würde, haben klar benannt, dass Machtkonzentrationen | |
aufgebrochen werden müssen. Die Idee, wirtschaftliche Macht zu brechen, ist | |
auch in einer liberalen Sicht auf Wirtschaft angelegt. | |
Was wäre denn nach dem aktuellen Verständnis ein solcher Missbrauch? | |
Ein krasser Fall aus dem Baltikum: Da hat die litauische Bahngesellschaft | |
19 Kilometer Schienen abgebaut, weil ein Unternehmen seine Güter nicht mehr | |
mit dieser Bahngesellschaft transportieren wollte, sondern mit einer | |
anderen. Das Unternehmen hat auf seine pure Macht als integrierter | |
Bahnkonzern gesetzt, statt mit einem besseren Angebot zu konkurrieren. Aber | |
solche eindeutigen Fälle sind selten. Meist wird wirtschaftliche Macht | |
subtiler ausgespielt. Dementsprechend dauern alleine die Ermittlungen | |
Jahre, gefolgt von jahrelangen Gerichtsverfahren. Die Unternehmen werden | |
angehört, und natürlich werden sie von Spitzen-Anwält*innen vertreten, die | |
alles für sie rausholen. | |
Und wie können die Pläne der Bundesregierung die Situation ändern? | |
Das Bundeswirtschaftsministerium zielt offenbar darauf ab, eine | |
Entflechtung auch ohne konkreten Nachweis eines Missbrauchs zu ermöglichen. | |
Man müsste dann nachweisen, dass der entsprechende Markt nicht mehr so | |
funktioniert, wie er sollte. Die genauen Kriterien muss die Bundesregierung | |
nun erarbeiten. | |
Spielen wir doch mal eine Zerschlagung mit den gesenkten Hürden durch: Was | |
wäre denn der erste Schritt? | |
Als Erstes wird es eine Anordnung der Behörde geben. Das ist dann eine | |
Verfügung des Bundeskartellamts, ich schätze mal, die ist ein paar hundert | |
Seiten, vielleicht 1.000 Seiten dick. Die entsteht nicht von heute auf | |
morgen, die Ermittlungen werden also wohl ein paar Jahre dauern. In dieser | |
Verfügung steht, wie das Unternehmen entflochten werden muss. Also: welche | |
Teile oder Sparten müssen eigenständig werden? Wer darf übernehmen? Gibt es | |
Entschädigungen? Eine Zerschlagung wird aber weiterhin immer ein absoluter | |
Ausnahmefall sein. Denn man hat aus Fällen aus den USA, wo noch 1984 der | |
Telekommunikationskonzern AT&T zerschlagen wurde, und aus Großbritannien, | |
wo 2008 ein Flughafenbetreiber zerschlagen wurde, eines gelernt: Es geht | |
nur mit den Unternehmen. Man braucht das Know-how der Betroffenen. | |
Konfrontative Zerschlagungen bringen ohnehin wenig, sie würden eine lange | |
Prozesslawine nach sich ziehen. In Deutschland kann man das am Beispiel | |
der Energiewirtschaft sehen, als Netz und Betrieb getrennt wurden. Dieses | |
„Unbundling“ hat erst gut funktioniert, als die Energiekonzerne daran | |
mitgearbeitet haben. Natürlich mussten sie einsehen, dass die Politik sich | |
durchsetzen wird – dann ist man kooperativ. Und vielleicht wächst ja etwas | |
Gutes daraus. | |
Das wird ein betroffenes Unternehmen wohl anders sehen. | |
Möglich. Aber Unternehmen strukturieren sich ja permanent um, | |
positionieren sich neu, verkaufen Unternehmensteile, wechseln den | |
Eigentümer. Natürlich will man da nicht unbedingt eine Behörde als Freund | |
und Helfer, es ist aber auch nicht so, als wären Umstrukturierungen etwas | |
Ungewöhnliches. Manchmal ist die Entflechtung vielleicht sogar die | |
angenehmere Variante. | |
Inwiefern? | |
Wenn ich mir vorstelle, das Bundeskartellamt regelt jeden Monat an der | |
Unternehmenspolitik herum, es flattern ständig neue Missbrauchsverfügungen | |
und politische Vorwürfe herein – dann ist das eine Art von staatlicher | |
Bevormundung, die vielleicht viel intensiver ist, als wenn ich sage: Ich | |
mache jetzt einmal einen klaren Schnitt, dann seid ihr uns los. Eine | |
Zerschlagung ist ein Zeichen von Vertrauen, dass die Märkte funktionieren | |
können. | |
Anlass für die Reformpläne der Bundesregierung ist die | |
[2][Mineralölbranche]. Wenn die Hürden für Zerschlagungen tatsächlich so | |
abgesenkt werden, wie wir das gerade besprochen haben – wäre das dann ein | |
so dysfunktionaler Markt, dass das Bundeskartellamt Zerschlagungen in die | |
Wege leiten könnte? | |
Es ist auf alle Fälle ein Markt, der uns seit Jahrzehnten beschäftigt und | |
der auch eine hohe volkswirtschaftliche Relevanz hat. Ob nun im Einzelnen | |
die Anforderungen für eine Entflechtung erfüllt werden, das möchte ich mir | |
jetzt aber nicht vom Universitäts-Schreibtisch aus anmaßen zu beurteilen. | |
Was ist das Ziel? Was ist dafür wichtig? Solche Fragen bedürfen genauer | |
Analyse, denn davon hängt ab, wo man das Messer ansetzen muss bei so einem | |
chirurgischen Eingriff. | |
Bevor alle über die Mineralölbranche gesprochen haben, kam das Thema | |
Zerschlagung vor allem im Kontext von Tech-Konzernen wie [3][Meta und | |
Google] auf. Wenn man die in Deutschland oder dann wahrscheinlich in Europa | |
entflechten würde, was würde das ändern? | |
Bei den digitalen Playern haben wir das Phänomen, dass es digitale | |
Ökosysteme gibt, die quasi die Infrastruktur des Internets zur Verfügung | |
stellen. Die große Gefahr ist, dass immer mehr Dienste in die jeweiligen | |
Ökosysteme eingesogen werden und dann aus der gleichen Hand geliefert | |
werden. | |
Also: Google macht das Android-Betriebssystem für Smartphones, die | |
Suchmaschine, Werbedienste, Karten, E-Mail-Dienste, Youtube und noch mehr. | |
Genau. Und das geht auch in immer mehr traditionellen Branchen, im | |
Gesundheitswesen zum Beispiel. Eine solche Marktmacht lädt einfach zum | |
Missbrauch ein. Insofern läge es nahe, einzelne Dienste von Google zu | |
entkoppeln. | |
Und was halten Sie von der Idee, den Pool von persönlichen Daten, die | |
Google gesammelt hat, von dem Konzern abzutrennen? | |
Das ist auch eine denkbare Variante. Ob das im Ergebnis für mehr Wettbewerb | |
sorgen würde, da bin ich nicht ganz sicher. Es fällt auch schwer, sich | |
vorzustellen, dass das Bundeskartellamt richtig radikale Maßnahmen | |
ergreift. Da wäre die EU-Kommission schon besser platziert. Außerdem | |
braucht es auch einen gewissen politischen Rückhalt, selbst wenn die | |
Behörden unabhängig sind. Aber immerhin geht es im Kartellrecht immer | |
darum, die mächtigsten Unternehmen zu zähmen. Da ist es gut, wenn man nicht | |
gleichzeitig auch noch gegen die eigenen Regierungen kämpfen muss. | |
3 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus | |
[2] /Aenderung-des-Kartellrechts/!5857919 | |
[3] /Regulierung-von-Internetplattformen/!5805596 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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