# taz.de -- Israels Regierungskoalition zerbricht: Knesset soll sich auflösen | |
> Die für Oktober geplanten Neuwahlen wären die fünften innerhalb von | |
> dreieinhalb Jahren. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu frohlockt schon. | |
Bild: Naftali Bennett (links) und Jair Lapid verkünden am Montagabend das Ende… | |
TEL AVIV taz | „Wir haben jeden Stein umgedreht“, sagte der noch amtierende | |
israelische Ministerpräsident Naftali Bennett am Montagabend in einer | |
gemeinsamen Erklärung mit Außenminister Jair Lapid. Doch am Ende seien | |
„alle Möglichkeiten zur Stabilisierung“ der Regierung ausgeschöpft. | |
Kommende Woche – voraussichtlich am Montag – wollen sie die Knesset über | |
ihre Auflösung abstimmen lassen. Es wird wohl das Ende des extrem breiten | |
Regierungsbündnisses sein, das von weit rechts nach links unter Beteiligung | |
auch einer islamischen Partei reicht – ein Jahr, nachdem sie vereidigt | |
wurde. | |
Jair Lapid, der eigentliche Architekt dieser Regierung, dankte dem neben | |
ihm stehenden Bennett in seinem Teil der Ansprache: „Unsere Freundschaft | |
wurde auf die Probe gestellt und stieß auf dem Weg auf Hindernisse, die wir | |
aber immer überwunden haben. Wir haben gezeigt, dass man unterschiedlich | |
denken und trotzdem zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten kann“, | |
erklärte er. | |
Die derzeitige Regierungskoalition ist vielmehr von Differenzen als von | |
politischen Gemeinsamkeiten geprägt. Zusammengehalten hat sie vor allem die | |
gemeinsame Gegnerschaft zum vorherigen [1][Ministerpräsidenten Benjamin | |
Netanjahu]. | |
## Regierung ist seit Monaten in der Krise | |
Kaum einer zweifelt daran, dass die Knesset dem Vorschlag zustimmen wird. | |
Selbst das Datum für die Neuwahlen steht bereits: Am 25. Oktober werden die | |
Israelis wohl wieder zu den Wahlurnen gebeten – zum fünften Mal in weniger | |
als vier Jahren. Bis dahin wird der Vorsitzende der zentristischen | |
Zukunftspartei Jair Lapid das Amt des Interims-Ministerpräsidenten | |
übernehmen. | |
Die Regierung, die von Anfang an mit zahlreichen Sollbruchstellen | |
ausgestattet war, ist seit Monaten in der Krise. Anfang April war die | |
Abgeordnete Idit Silman von Bennetts Jamina-Partei wegen Streit um | |
ungesäuertes Brot aus der Regierungskoalition ausgestiegen und hatte der | |
Koalition ihre hauchdünne Mehrheit genommen. | |
Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Palästinenser:innen | |
und jüdischen Israelis folgte der Austritt einer Abgeordneten der linken | |
Partei Meretz. Für eine Weile legte auch die islamische Partei Ra'am ihre | |
Mitgliedschaft in der Regierung auf Eis. | |
Zuletzt [2][war das sogenannte Westjordanland-Gesetz nicht durchgekommen]. | |
Dieses regelt, dass jüdische Israelis im Westjordanland unter israelischem | |
Recht und nicht wie Palästinenser:innen unter Militärrecht stehen. | |
Einige Oppositionsparteien, die immer für das Gesetz gestimmt hatten, | |
hatten wohl die Regierung vorführen wollen und dem Gesetz ihre Stimme | |
versagt. | |
## Westjordangesetz als Sargnagel der jetzigen Koalition | |
Das Scheitern dieses Gesetzes, das Ende des Monats ausläuft, dürfte Bennett | |
den Anlass für die Auflösung der Knesset gegeben haben. Sobald Wahlen | |
ausgerufen werden, wird dieses automatisch verlängert. | |
Oppositionsführer Netanjahu begrüßte in einem Videoclip mit breitem Grinsen | |
das bevorstehende Scheitern der Koalition als „großartige Nachricht für | |
Millionen israelischer Bürger“. Er kündigte an, eine „breite“ Regierung… | |
die Beine stellen zu wollen, die „den nationalen Stolz zurückbringen“ | |
solle. | |
Eine Umfrage des israelischen Fernsehsenders Channel 12 sprach einem | |
rechtsreligiösen Netanjahu-Bündnis vor einer Woche 60 Sitze im Fall von | |
Neuwahlen zu, das wären acht mehr als bei [3][den vergangenen Wahlen]. Ein | |
Sitz würde dem Bündnis für eine Mehrheit fehlen. | |
## Netanjahu braucht noch Überläufer | |
Mögliche Überläufer von Parteien, die derzeit die Regierung stellen, | |
umwirbt Netanjahu Gerüchten zufolge bereits seit Wochen – unter ihnen auch | |
der jetzige Justizminister Gideon Sa'ar, der vor den letzten Wahlen aus dem | |
Likud ausgetreten und mit der neugegründeten Partei „Neue Hoffnung“ in die | |
Regierung eingezogen ist. | |
Das derzeitige Bennett-Lapid-Bündnis würde laut Umfrage 55 Sitze erhalten | |
und wäre damit weit entfernt von einer Mehrheit. Bennett, so hieß es am | |
Montagabend in Medienkreisen, denke derweil darüber nach, sich ganz aus der | |
Politik zurückzuziehen. | |
21 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Israels-Premier-Benjamin-Netanjahu/!5758158 | |
[2] /Israels-Regierung-vor-dem-Aus/!5856659 | |
[3] /Schon-wieder-Neuwahlen-in-Israel/!5740387 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
## TAGS | |
Israel | |
Naftali Bennett | |
Jair Lapid | |
Benjamin Netanjahu | |
Parlamentswahlen | |
Knesset | |
Israel | |
Israel | |
Westjordanland | |
Westjordanland | |
Jerusalem | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wieder Neuwahlen in Israel: Weimarer Wolken verdunkeln Tel Aviv | |
Israel sinkt nach der Knesset-Auflösung erneut in eine Phase der | |
politischen Lähmung. Die Perspektiven für die Wahl im Herbst ist düster. | |
Die Auflösung der Knesset in Israel: Das Ende eines Wunders | |
Israels Regierung war nicht ideal, aber besser als die Netanjahu-Jahre. | |
Erstmals war eine arabische Partei dabei. Nun sind die Aussichten düster. | |
Siedlungen im Westjordanland: Immer wieder kommen die Bulldozer | |
Die israelische Regierung will ein palästinensisches Dorf räumen, weil es | |
sich im militärischen Sperrgebiet befindet. Doch der Widerstand ist groß. | |
Flaggenmarsch durch Jerusalem: Ultrazionistische Provokation | |
In Jerusalem liefert ein Flaggenmarsch Tausender rechter Israelis | |
verstörende Bilder. Trotz gewalttätiger Ausschreitungen bleibt es relativ | |
ruhig. | |
Streit um den Tempelberg in Jerusalem: Wer darf wann beten? | |
Ein Gericht erlaubt drei jüdischen Männern, auf dem Tempelberg zu beten. | |
Das heizt den Konflikt zwischen Palästinenser:innen und Israelis an. |