# taz.de -- Missbrauch im Bistum Münster: „Menschlich und moralisch versagt�… | |
> Vier Tage nach Veröffentlichung einer Missbrauchsstudie äußert sich | |
> Münsters Bischof Genn. Er gesteht Fehler ein, lehnt einen Rücktritt aber | |
> ab. | |
Bild: Nach Vorstellung der Studienergebnisse äußerte sich Genn gegenüber der… | |
Berlin taz | Nach der Vorstellung der [1][unabhängigen Studie] zu sexuellem | |
Missbrauch im Bistum Münster durch [2][Wissenschaftler*innen der Uni | |
Münster am Montag] äußerte sich nun auch Bischof Felix Genn. Zu Beginn der | |
Pressekonferenz sprach Genn davon, dass er als Bischof und Priester „Teil | |
der Organisation ist, aus der die Täter sind.“ Das müsse er klar benennen. | |
Es sei seine feste Überzeugung, dass Betroffene sexueller Gewalt einen | |
Anspruch auf „umfassende, unabhängige, seriöse Aufarbeitung“ hätten. | |
Deshalb begrüße er die Studie der Universität Münster sehr. „Mein Respekt | |
gilt den Betroffenen, die bereit waren, den Wissenschaftler*innen der | |
WWU ihre Leidensgeschichte zu erzählen“, so Genn. Vor einem „Harmoniezwang… | |
mit den Betroffenen wolle er sich hüten, da er verstehe, dass das Leid von | |
Betroffenen zu Unversöhnlichkeit führen könne. Trotzdem richtete er eine | |
Entschuldigung an alle Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kirche. | |
Für die Studie hatten Wissenschaftler*innen Fälle sexuellen | |
Missbrauchs im Bistum Münster in der Zeit von 1945 bis 2020 aufgearbeitet. | |
Mindestens 196 Kleriker identifizierten sie als Täter, mindestens 610 Opfer | |
– die Dunkelziffer dürfte nach Aussage der Wissenschaftler*innen | |
deutlich höher sein. Einen Fokus legte die Studie der Uni auf die Folgen | |
des Missbrauchs für Betroffene und auf die Rolle der „Vertuscher“. | |
Hier machen sie jahrzehntelanges Versagen und Strafvereitelung der | |
Bischofsleitungen aus. Das Bistum habe außerdem zu lange gebraucht, „um | |
effiziente Strukturen und Verfahren im Umgang mit Missbrauchsvorwürfen | |
institutionell zu verankern.“ | |
## Bislang keine Rücktritte von Bischöfen | |
Da Genn nach der Vorstellung der Studie Konsequenzen angekündigt hatte, | |
stand auch die Frage nach einem Rücktritt des Bischofs im Raum. Auf der | |
Pressekonferenz sagte Genn nun, dass er das „Unbehagen in der | |
Öffentlichkeit“ verstehe, dass bislang kein Bischof aufgrund des sexuellen | |
Missbrauchs zurückgetreten sei und es nur abgelehnte Amtsverzichte an den | |
Papst, wie von [3][Kardinal Reinhard Marx,] oder noch ausstehende, wie von | |
[4][Kardinal Rainer Maria Woelki,] gegeben habe. Für seine Person habe er | |
sich mit der Frage eines Rücktritts intensiv auseinandergesetzt und sei zu | |
dem Schluss gekommen, dass ein Rücktritt nicht infrage komme: „Ich glaube | |
nicht, dass ich sexuellen Missbrauch vertuscht habe.“ Genn wolle seine | |
restliche Amtszeit dafür nutzen, Betroffenen sexuellen Missbrauchs | |
zuzuhören und ihre Perspektiven für die nötigen Aufarbeitungen und | |
Veränderungen in den Kirchen und kirchlichen Gremien einzubringen. | |
Seine bereits verstorbenen Amtsvorgänger hätten „schwere Fehler gemacht“ | |
und die Institution statt die Betroffenen geschützt. Wie dieses | |
Fehlverhalten auch öffentlich kenntlich gemacht werden könne, müsse geprüft | |
werden. Die Bischofsgruft im Dom, wo sie begraben liegen, werde vorerst | |
geschlossen. „Sie ignorierten, dass sie Menschen durch ihr Verhalten | |
weiteren Gefährdungen aussetzten“ und hätten „menschlich und moralisch | |
versagt“, sagte Genn. Dass so das Leid der Betroffenen über Jahre nicht | |
gelindert, sondern vergrößert wurde, sei „entsetzlich und beschämend und | |
bleibt für mich unbegreiflich“. | |
Laut Genn zeige die Studie zum sexuellen Missbrauch einmal mehr, dass es | |
eine „massive Diskrepanz zwischen Predigen und Handeln“ bei den Tätern und | |
den Verantwortlichen, die die Gewalt durch Vertuschung möglich machten, | |
gegeben habe. Er selbst habe in konkreten Fällen zu milde gehandelt und | |
sich zu sehr auf die Aussagen von anderen Verantwortlichen verlassen. | |
Konkret entschuldigte er sich für Versäumnisse aus seiner Zeit als Bischof | |
von [5][Essen von 2003 bis 2009, wo er auch mit dem Mehrfachtäter] Priester | |
H. zu tun hatte. | |
Deutliche Worte fand Genn zu den ebenfalls in der Studie angesprochenen | |
systemischen Faktoren in der Kirche, die sexuellen Missbrauch begünstigen. | |
Es habe ein „völlig überhöhtes Priesterbild“ und eine „gänzlich falsch | |
verstandene Mitbrüderlichkeit“ bei den Vertuschern des Missbrauchs gegeben. | |
„Jede Form von Klerikalismus muss ein Ende haben“, so Felix Genn. Auch die | |
„rigide Sexualmoral“ der katholischen Kirche müsse der Vergangenheit | |
angehören, denn diese habe dazu geführt, dass man über die Taten nicht | |
sprach. Unter anderem in diesem Zusammenhang sprach Genn die | |
[6][Reformbewegung „Synodaler Weg“] an. Er wolle sich dafür einsetzen, dass | |
die Reformen Eingang in die katholische Kirche finden. | |
## „Männerbündische Strukturen“ | |
In der Studie schreiben die Verfasser*innen auch davon, dass | |
„männerbündische Strukturen“ dazu führten, dass Täter immer weiter vers… | |
wurden und weiteren Kindern Gewalt antun konnten. Bischof Genn kündigte | |
deshalb an, dass er „Macht abgeben“ wolle. Personalentscheidungen im Bistum | |
Münster sollten in Zukunft transparenter, nachvollziehbarer und | |
partizipativer getroffen werden. Außerdem wolle er sich „im Rahmen einer | |
Selbstverpflichtung an die Entscheidungen diözesaner Gremien binden.“ | |
Genn kündigte an, dass sein Bistum eine innerkirchliche | |
Verwaltungsgerichtsbarkeit durch einen Kirchenrechtler prüfen lasse, um | |
auch die eigenen bischöflichen Entscheidungen einer unabhängigen Kontrolle | |
zu unterwerfen. | |
Im Bistum Münster wird außerdem eine unabhängige Aufarbeitungskommission | |
eingesetzt, der unter anderem der leitende Wissenschaftler der Studie | |
Thomas Großbölting sowie zwei Betroffene sexuellen Missbrauchs angehören | |
werden. | |
Das Bistum Münster habe bereits Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch | |
getroffen, so Genn. Unter anderem hätten mehr als 50.000 Mitarbeitende, | |
darunter alle Seelsorgerinnen und Seelsorger, seit 2011 im Bistum Münster | |
an Präventionsschulungen teilgenommen. Am Freitag wurde auch [7][ein Portal | |
eingerichtet], unter dem Betroffene anonym sexuellen Missbrauch melden | |
könnten. Diese Meldungen würden alle der Staatsanwaltschaft Münster | |
übergeben. Insgesamt habe das Bistum Münster bislang zwei Millionen Euro an | |
Betroffene sexuellen Missbrauchs gezahlt, bei der dafür eingerichteten | |
Stelle seien bislang 227 Anträge eingegangen. | |
17 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/wwu/journalisten/macht_und_s… | |
[2] /Studie-zu-Missbrauch-im-Bistum-Muenster/!5860465 | |
[3] /Brief-an-Papst-Franziskus/!5776445 | |
[4] /Umstrittener-Koelner-Erzbischof/!5835519 | |
[5] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5829334 | |
[6] /Reformen-in-der-Katholischen-Kirche/!5833230 | |
[7] http://anonym-missbrauch-melden.de | |
## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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