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# taz.de -- Urteil des EuGH: Litauen verstößt gegen EU-Asylrecht
> Laut Luxemburger Gericht hätte das baltische Land Asylsuchende nicht
> verhaften dürfen. Es hatte mit der Regelung auf den Zustrom aus Belarus
> reagiert.
Bild: In Litauen gestrandet: Asylsuchende südlich von Vilnius im August 2021
Freiburg taz | Ein litauisches Gesetz, das die Internierung aller über
Belarus eingereisten Flüchtlinge erlaubt, verstößt gegen das EU-Asylrecht.
Das entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in
Luxemburg.
Eigentlich liegt Litauen nicht an den großen Flüchtlingsrouten. Im Jahr
2020 gab es nur rund 80 Asylanträge. Doch 2021 vervielfachte sich die Zahl.
Bis August stellten über 4.100 Menschen einen Asylantrag. Hauptsächlich
handelte es sich um Kurden aus dem Irak. Das kleine Litauen mit seinen 2,8
Millionen Einwohnern [1][zeigte sich schnell überfordert].
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko hatte über staatsnahe
Firmen im Irak gezielt für Reisen nach Minsk geworben – mit der
Perspektive, einfach in die EU weiterreisen zu können. Auch entsprechende
Touristen-Visa wurden verteilt. Die so eingereisten Menschen wurden direkt
an die litauische Grenze gebracht.
Lukaschenko rächte sich so für die EU-Sanktionen nach seinem Wahlbetrug im
August 2020. Im Mai 2021 hatte er angekündigt, er werde „Drogen und
Migranten“ auf ihrem Weg in die EU nicht mehr zurückhalten. Litauens
Außenminister Gabrielius Landsbergis nannte die Instrumentalisierung von
Migranten eine „hybride Kriegsführung“. Litauen rief im Sommer 2021 den
Notstand aus, verbot Asylanträge auf litauischem Boden und erlaubte die
Internierung aller illegal eingereisten Ausländer.
Im August 2021 ging der litauische Grenzschutz dazu über, Migranten nur
noch nach Belarus zurückschicken. Daraufhin verlagerte sich das Geschehen
an die belarussisch-polnische Grenze, wo sich die Situation bis Dezember
2021 dramatisch zuspitzte. Zwischenzeitlich strandeten mehrere Tausend
Menschen, insbesondere Afghanen, im Niemandsland zwischen Belarus und Polen
und konnten weder vor noch zurück. Derzeit [2][baut Polen an der Grenze zu
Belarus] eine fünf Meter hohe Mauer.
## Recht auf Asylverfahren verletzt
Der EuGH verhandelte nun ausschließlich über die Internierung von Migranten
in Litauen. Ausgelöst wurde der Rechtsstreit durch einen Mann, von dem
nicht mehr bekannt ist als seine Initialen M. A. Er hatte gegen seine
Inhaftierung geklagt. Das oberste Verwaltungsgericht Litauens legte den
Fall in einem Eilverfahren dem EuGH vor.
Der EuGH entschied nun, dass Litauen mit dem Gesetz zur Massen-Internierung
die Rechte der Migranten auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren verletzt
hat. Ein Ausländer, der einen Asylantrag stellt, dürfe nicht mit der
Begründung festgenommen werden, dass er illegal eingereist sei – vor allem
wenn Litauen zugleich mit dem Verbot von Asylanträgen auf litauischem Boden
eine [3][Legalisierung des Aufenthalts verhindere].
Um missbräuchliche und offensichtlich unbegründete Asylanträge schnell
ablehnen zu können, hätte es genügt, so der EuGH, an der Grenze
Transitzentren mit beschleunigtem Verfahren einzurichten.
Die Richter betonten, dass Litauen sich auch nicht auf die Verantwortung
der EU-Staaten für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach Artikel 72
des EU-Arbeitsvertrags berufen könne. Damit könne auch bei einem „massiven
Zustrom von Migranten“ eine pauschale Inhaftierung nicht gerechtfertigt
werden. Vielmehr sei immer eine Einzelfallprüfung erforderlich. Nur wenn
die konkrete Person gefährlich ist, etwa weil sie Beziehungen zu
Terrorgruppen hat, sei eine Internierung möglich.
Das EuGH-Urteil basiert auf dem geltenden EU-Asylrecht. Dieses
[4][Asylrecht wollen allerdings alle EU-Staaten verschärfen] – sie können
sich bisher nur nicht über den Grad der Verschärfung einigen.
(Aktenzeichen: C-72/22 PPU)
30 Jun 2022
## LINKS
[1] /Belarus-erpresst-EU/!5782348
[2] /Hilfskonvoi-der-Seebruecke/!5810553
[3] /Gefluechtete-in-Litauen/!5788059
[4] /Reform-der-EU-Asylpolitik/!5860341
## AUTOREN
Christian Rath
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Litauen
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