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# taz.de -- Klimaverhandlungen in Bonn: Trotz Krieg business as usual
> Die Klimakonferenz in Bonn hat den Angriff auf die Ukraine ausgeklammert.
> Doch die Angst wächst, dass ein neuer Gas-Goldrausch die Ziele kippt.
Bild: Die Bonner Klimakonferenz war die letzte von UN-Klimachefin Patricia Espi…
Bonn taz | Auf dem Weg zur Klimakonferenz traten die Delegierten das Thema
Ukrainekrieg erst einmal mit Füßen. Mit Kreide hatten AktivistInnen vor dem
Kongresszentrum in Bonn vergangene Woche ihren Protest aufs Pflaster
gemalt: „Der Ukrainekrieg wird von fossilen Brennstoffen finanziert“ und
„Stoppt das russische Gas!“.
Die Slogans blieben allerdings draußen. Im Gebäude, bei der 56.
Zwischenkonferenz zum Klimaschutz, spielte der russische Angriff auf die
Ukraine vordergründig kaum eine Rolle. Während zur gleichen Zeit in der
ukrainischen Stadt Sjewjerodonzk laut Meldungen 10.000 Zivilisten unter
Beschuss festsaßen, kämpften die VertreterInnen der UN-Staaten in den
üblichen Sitzungsmarathons bis zur Erschöpfung darum, ob die Staaten höhere
Klimaziele vorlegen sollen, wer mehr Geld für Anpassung zahlen und ob es
einen eigenen Tagesordnungspunkt für Schadenersatz geben soll. „Das Thema
Ukrainekrieg hängt über allen Debatten“, sagte ein Verhandler, „aber
niemand spricht es offen an.“
Mit einigen wenigen Ausnahmen: Die ukrainische Delegation beklagte sich zum
Auftakt der Konferenz im Plenum, der Angriff Russlands sei ein „sehr
schweres Problem für den gesamten Prozess“, der auf Kooperation und
gegenseitigem Respekt beruhe. Worauf der russische Delegationsleiter Alexei
Dronow von seinen Notizen die offizielle Kreml-Linie zur „militärischen
Spezialoperation“ im Nachbarland ablas – und Delegierte von EU und USA
unter Protest den Raum verließen. Die Kritik an Russland hatte laut Dronow
„nichts zu tun mit der Substanz“ der Verhandlungen und sei „nicht im
Einklang mit dem Geist der Zusammenarbeit“. Man solle aufhören, „dieses
sehr respektierte Forum zu nutzen, um antirussische Rhetorik zu
verbreiten“, und sich um einen „depolitisierten Austausch“ bemühen.
Diesen Gefallen tat die Konferenz Russland und Belarus tatsächlich. Keine
ukrainischen Fahnen im Gebäude, keine Resolution gegen den Krieg, kein
Ausschluss der Angreifer von den Verhandlungen. Business as usual war das
Motto der Konferenz. Der Krieg sei tragisch und müsse so schnell wie
möglich beendet werden, hieß es vom UN-Klimasekretariat, „aber wir können
uns keine Pause beim Klimaschutz erlauben“. Häufig liefen die Verhandlungen
während bewaffneter Konflikte weiter. „Wir müssen alles tun, um diesen
Krieg zu beenden, aber die UNFCCC sind nicht der Ort dafür“, war der Tenor.
## Kein Konsens, Russland zu isolieren
Auch Madeleine Diouf Sarr vom Umweltministerium Senegal und derzeit Chefin
der LDC-Gruppe, die die ärmsten Länder vertritt, sagte auf Anfrage: „Wir
sind nicht isoliert von der Welt, der Krieg wird uns in diesem Prozess
nicht helfen. Wir spüren die Folgen des Krieges durch gestiegene Preise auf
Treibstoff und Lebensmittel.“ Der Fokus in den Verhandlungen für die LDC
liege aber auf Anpassung und Finanzen und Schadenersatz. Und David Waskow,
Klimachef des US-Thinktanks World Ressouces Institute, sagte: „Die Themen
hier sind in so vielen kleinen Paketen geschnürt, da ist es schwierig, eine
so übergreifende Frage zu thematisieren.“
Hinter der dipomatischen Fassade schlummert bei manchen Delegierten
allerdings die Sorge, dass der Krieg die Fundamente der UN-Verhandlungen
untergräbt: Gewaltverzicht, Einhaltung des Völkerrechts, Multilateralismus.
Und es gibt keinen Konsens zur Isolierung Russlands: In der
UN-Generalversammlung verurteilten Anfang März zwar 141 Staaten Russland
für den Angriff – aber es enthielten sich Klima-Großmächte wie China,
Indien oder Südafrika.
Klima-Diplomaten warnen: Wie soll man Länder wie Vietnam, Brasilien oder
die Philippinen dafür kritisieren, dass sie ihre völkerrechtliche Pflicht
verletzen, verbesserte Klimapläne (NDC) vorzulegen, wenn Russland als
Mitglied des UN-Sicherheitsrats brutal einen Nachbarn überfällt?
Tatsächlich werden die Klima-Verhandlungen oft aus dem politischen
Tagesgeschäft herausgehalten. Auf der COP in Glasgow 2021 erklärten die USA
und China deutlich, ihre Rivalitäten im politischen und wirtschaftlichen
Bereich würden sie nicht hindern, beim Klima zu kooperieren.
## Früher beim Klima oft Verbündete
Auch der ukrainische Delegationsleiter Mykhailo Chyzhenko hat das business
as usual erwartet. „Hier ist nicht der Ort für politische Diskussionen über
den Krieg“, sagte er. Er habe nichts Wichtiges zum Krieg erwartet, als er
mit seiner Delegation von sechs Frauen die gefährliche Reise mit dem Zug
nach Polen angetreten habe. Chyzhenko ist 61 Jahre und damit über der
Altersgrenze, wo er als Mann sein Heimatland nicht verlassen darf.
Eigentlich waren die Ukraine und Russland beim Klima oft Verbündete. Ihre
Wirtschaft beruht zum großen Teil auf Schwerindustrie und Kohle. Durch den
Zusammenbruch der Wirtschaft nach dem Ende der Sowjetunion haben beide
Länder damals massiv Emissionen reduziert und lange versucht, diesen
Beitrag zum Klimaschutz als Emissionszertifikate zu Geld zu machen. Beide
sind in den Verhandlungen Mitglieder der „Umbrella-Gruppe“, zu der auch die
USA und Australien gehören. Da sei Russland jetzt nicht mehr aufgetaucht,
sagt Chyzhenko. Anders als Russland hat die Ukraine im letzten Jahr
deutliche Anstrengungen zur Dekarbonisierung gemacht, zeigt ein [1][Bericht
des Thinktanks „Climate Action Tracker“, der dem Land 2021 trotzdem die
Note „höchst unzureichend“ gab.] Seit dem Krieg ist die Bewertung
ausgesetzt.
## Belastungen für die nächste Klimakonferenz
Die wichtigsten Kriegsschäden fürs Klima sind allerdings indirekt:
Einerseits setzen [2][etwa Bundesregierung und EU-Kommission auf den
verstärkten Ausbau von Erneuerbaren und Energiesparen,] um das russische
Gas zu ersetzen – andererseits werden überall neue Gasvorräte erschlossen,
deren Nutzung die Klimaziele gefährdet. [3][Die EU definiert in ihrer
Anlagestrategie der „Taxonomie“ das Erdgas als „nachhaltig“]. Eine Stud…
der „Climate Analytics“ warnte in Bonn vor einem neuen globalen
[4][„Goldrausch beim Gas“, der entweder das Pariser Klimaziel endgültig
begrabe oder Milliarden als „gestrandete Investments“ riskiere.]
Eine andere Untersuchung zeigt, dass die [5][Aktienmärkte Europa und die
USA ganz verschieden einschätzen]: Als Reaktion auf den Krieg würden
demnach in der EU „grüne“ Anlagen gewinnen. In den USA allerdings drängen
die alten fossilen Werte nach vorn: Investoren glauben nicht an eine
Energiewende durch den Krieg. Und die hohen Preise für Lebensmittel und
fossile Brennstoffe können viele Länder des Globalen Südens weiter
destabilisieren. Das könnte die Verhandlungen der COP im November in
Ägypten belasten. Dort wollen vor allem die afrikanischen Staaten mehr Geld
und Zugeständnisse im UN-Prozess für Schadenersatz und Anpassung an den
Klimawandel durchsetzen.
Kurzfristig jedenfalls, sagt der ukrainische Delegationsleiter Chyzhenko,
senkt der Krieg die Emissionen: Der Energieverbrauch seines Landes habe um
30 Prozent abgenommen, der CO2-Ausstoß falle bis Jahresende wohl um 20
Prozent. „Es gibt einen dummen Witz“, sagt Chyzhenko mit einem schiefen
Grinsen, „wenn du willst, dass die Emissionen wirklich fallen, fang einen
weltweiten Krieg an.“
19 Jun 2022
## LINKS
[1] https://climateactiontracker.org/countries/ukraine/2021-12-13/
[2] /Energiewende-wegen-Ukrainekrieg/!5852660
[3] /EU-Taxonomie/!5832847
[4] https://climateanalytics.org/media/fossil_gas_a_bridge_to_nowhere.pdf
[5] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4080181
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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