# taz.de -- Serie „Hide and Seek“: Wie der Terminator | |
> Die ukrainische Serie bedient Nordic-Noir-Sehgewohnheiten – kommt | |
> ästhetisch aber ohne immer gleiche skandinavische Wohlstands-Idylle aus. | |
Bild: Ermittlerin Varta (Yulia Abdel Fattakh) beim Undercover-Einsatz in einem … | |
Der Albtraum eines jeden Vaters: „Papa, du hast versprochen, wir spielen | |
Verstecken!“, die Siebenjährige besteht darauf. Eins, zwei, drei: | |
„Schneckchen, ich werde dich jetzt suchen kommen!“ Schneckchen hat sich | |
aber nicht hinter dem Vorhang, im Schrank und nicht in der Badewanne | |
versteckt. Sie bleibt verschwunden. | |
Und der Titel der neuen, achtteiligen Thriller-Serie – „Hide and Seek – | |
Gefährliches Versteckspiel“ – erklärt sich schon nach fünf Minuten. | |
Einerseits. Andererseits gibt einem das ZDF damit, nicht zum ersten Mal, | |
Rätsel auf. Denn erstens handelt es sich nicht etwa um den einfach | |
übernommenen, nicht übersetzten Originaltitel. Zweitens gibt es bereits | |
mindestens drei Spielfilme namens „Hide and Seek“, befördert die Wahl also | |
nur die Verwechslungsgefahr. Und drittens legt das Englische eine völlig | |
falsche Fährte. „Hide and Seek“ ist keine neue britische oder | |
amerikanische, auch keine neuseeländische oder australische Serie. | |
„Pryatki“, so nämlich der Originaltitel, kommt aus der Ukraine und ist, so | |
die ZDFneo-Chefin Nadine Bilke, „die erste osteuropäische Lizenzserie, die | |
in ZDFneo ihre Free-TV-Premiere feiert“. Nicht nur das: „Aufgrund der | |
aktuellen Situation“ hätten die Kollegen von ZDF Studios – das ist die | |
Programmbeschaffungs-Tochterfirma, die Degeto des ZDF gewissermaßen – auf | |
ihre Provisionen verzichtet, die nun zugunsten [1][der Ukraine an eine | |
gemeinnützige Organisation gingen]. Denn darum geht es: „Mit der | |
Ausstrahlung der Serie im linearen Programm von ZDFneo und der | |
Onlinestellung in der ZDFmediathek wollen wir Aufmerksamkeit schaffen und | |
setzen begleitend Spendenaufrufe für das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe.“ | |
Nichts [2][gegen Solidarität mit der Ukraine]. Aber wer seinen Coup so | |
selbstgefällig, gönnerhaft bewirbt wie einen Satz Unicef-Grußkarten, der | |
macht nicht gerade Lust auf ein Programm, das die westlichen | |
Sehgewohnheiten so scheinbar mühelos zu bedienen versteht. Denn es hat sich | |
seine Vorbilder ganz offensichtlich vor allem beim Nordic Noir gesucht. | |
## Abgenutzte Ästhetik | |
Zum Beispiel die beiden Ermittler, von denen es sich von selbst versteht, | |
dass jeder von ihnen ein schweres Trauma mit sich herumschleppt: Maxim | |
Shumov (Pyotr Rykov) ist der Sohn des ehemaligen Polizeichefs. Das Motiv | |
kennen wir von Kurt Wallander und Irene Huss, nur dass es jeweils deren | |
Töchter waren, die in ihre Fußstapfen getreten sind. Shumov bekommt eine | |
neue Kollegin, über die er sich schon bald bei seinem Chef ausheult: | |
„Irgendwas stimmt mit der nicht. Sie macht die ganze Zeit ihr Ding. Sie | |
entscheidet alles allein, macht alles allein und redet wie der Terminator.“ | |
Noch dazu trägt sie immer Handschuhe. Varta Naumova (Yulia Abdel Fattakh) | |
hat nämlich eine Haphephobie, zu Deutsch: Berührungsangst. Da lässt Saga | |
Norén aus „Die Brücke“ – quasi die Mutter aller psychopathologisch | |
auffälligen Ermittlerinnen – etwas überdeutlich grüßen. Aber egal. | |
Egal auch die schon sehr unwahrscheinliche Koinzidenz einer | |
Kindesentführung aus der verschlossenen Wohnung genau in dem Moment, in dem | |
das Kind dort mit dem Vater Verstecken spielt. Die Inszenierung (Buch: | |
Simor Glasenko, Regie: Iryna Gromozda) steht den Vorbildern – wie „Die | |
Brücke“ – in Sachen Spannung in nichts nach. Und kann mit einem veritablen | |
Mehrwert auftrumpfen: Dieses immer gleiche skandinavische Wohlstands-Idyll | |
mit den immer gleichen Louis-Poulsen-Leuchten hat sich ästhetisch doch ein | |
bisschen abgenutzt. | |
Die bröselnden, bröckelnden Plattenbauten, die seit Sowjetzeiten keine | |
Instandsetzung erfahren haben, und die kargen Interieurs in „Pryatki“ – | |
gedreht übrigens 2019 in Enerhodar, einer erst 1970 gegründeten | |
50.000-Einwohner-Stadt, in der das größte Atomkraftwerk Europas steht: ein | |
größerer Gegensatz erscheint nicht denkbar. Und beinahe noch interessanter | |
anzusehen als der eigentliche Thriller-Plot ist die Darstellung der | |
Korruption in den Reihen der Polizei. Shumov wird zu Beginn der Serie von | |
seinem Chef degradiert, weil er einen Fälle manipulierenden und mit Drogen | |
dealenden Kollegen gedeckt hat. Der Chef ist also eine ehrliche Haut. Wenig | |
später steht er mit der Pathologin vor der Leiche des korrupten Kollegen. | |
Die zweite hierzulande verfügbare ukrainische Serie kommt um einiges | |
finsterer daher als „Diener des Volkes“ (Arte-Mediathek, Netflix) – der | |
aktuelle [3][Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenski], spielt da einen | |
fiktiven Präsidenten der Ukraine. | |
20 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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