# taz.de -- Dritte Staffel von „Atlanta“: Sanftes Unbehagen | |
> Nach vier Jahren ist die Serie „Atlanta“ zurück. In Europa werden die | |
> Schwarzen Künstler mit einer neuen Art von Rassismus konfrontiert. | |
Bild: Auf ihrer Tour durch Europa landet die Gruppe auch in den Niederlanden | |
Vier lange Jahre sind vergangen, seit die zweite Staffel der | |
US-amerikanischen Erfolgsserie „Atlanta“ von und mit Musiker und | |
Drehbuchautor Donald Glover herauskam. Schon den beiden Vorgänger-Staffeln | |
gelang es leichtfüßig, politische Missstände und Entertainment miteinander | |
zu einem ironischen Sound zu verweben. Die dritte Staffel treibt dieses | |
Spiel noch weiter und zeichnet ein pointiertes Bild der gesellschaftlichen | |
Stimmung, bei dem sich nicht mehr zwischen Humor und Horror unterscheiden | |
lässt. | |
Doch erst mal von vorne: In den ersten beiden Staffeln ging es um den | |
jungen Schwarzen College-Dropout Earn (Donald Glover), der sich gegenüber | |
seiner Familie und Ex-Freundin Van (Zazie Beetz), die auch Mutter der | |
gemeinsamen Tochter Lottie ist, beweisen will. Um seine Geldsorgen in den | |
Griff zu kriegen, hängt er sich an seinen kurz vor dem Durchbruch stehenden | |
Rapper-Cousin und Drogendealer Alfred aka Paper Boi (Brian Tyree Henry), um | |
dessen Manager zu werden. | |
Gemeinsam mit Alfreds bestem Kumpel Darius (Lakeith Stanfield) erleben sie | |
kleine und große Dramen in der Schwarzen Community. Die Gefühlswelten | |
Schwarzer Identitäten ergründet die Serie wie kaum eine andere. Unvergessen | |
ist die Folge, in der sich Earn von einem weißen Gastgeber darüber belehren | |
lassen muss, noch nie in Afrika gewesen zu sein. Viele Episoden sind | |
eigene, in sich geschlossene Kurzfilme, die wenig mit der übergeordneten | |
Story zu tun haben. | |
In der legendären Episode „Teddy Perkins“ folgen wir Sidekick Darius zu | |
einem zunächst unspektakulär anmutenden Kauf eines gebrauchten Klaviers, | |
der sich dann überraschend zu einer im Horror-Stil inszenierten Geiselnahme | |
entpuppt. Das Abweichen von der Storyline nervt bei „Atlanta“ nicht, | |
sondern trägt dazu bei, ein mosaikartiges Bild von Atlanta zu zeichnen. Im | |
Vordergrund stehen nicht die einzelnen Schicksale der Charaktere, sondern | |
das Lebensgefühl der titelstiftenden Rap-Metropole, die exemplarisch für | |
das Schwarze Leben in den USA steht. | |
## Die unbeholfene Cringyness | |
In der dritten Staffel verlassen die vier Hauptcharaktere die USA, denn | |
Paper Boi hat seinen Durchbruch gehabt und ist nun auf Tour durch die | |
europäischen Großstädte. Earn managt die Tour, Darius weicht wie üblich | |
nicht von Alfreds Seite und Earns On-&Off-Liebe Van mischt ebenfalls vor | |
Ort mit. Nun also nach Europa, das Epizentrum des globalen Weißseins. Das | |
ist nicht zufällig gewählt, denn hier sind die Protagonist:innen mit | |
anderen Spielarten des Rassismus als in den USA konfrontiert, wie dem | |
niederländischen Black-Facing-Ritual „Zwarte Piet“. | |
Atlanta kommt nie belehrend daher, sondern bildet die Ambiguitäten | |
moralischer Diskussionen ab: Als in der Episode „White Fashion“ eine | |
fiktive französische Marke Paper Boi zu einer Pressekonferenz überredet, um | |
das eigene Image nach einem rassistischen Fauxpas wiederherzustellen, lernt | |
Paper Boi eine Gruppe Schwarzer Influencer kennen, die aus den mittlerweile | |
an der Tagesordnung stehenden Vielfalt-Kampagnen großer Firmen ein | |
Geschäftsmodell gemacht haben. | |
„Atlanta“ entfernt sich in seiner dritten Staffel noch weiter von seiner | |
eigenen Storyline als schon in den beiden ersten Staffeln. Vier von | |
insgesamt zehn Episoden entfliehen der narrativen Logik der Serie und | |
kommen ohne die Hauptcharaktere aus. In diesen surreal anmutenden | |
Stand-alone-Folgen wechseln die Charaktere, ähnlich wie bei der | |
Dystopie-Serie „Black Mirror“. In der Episode „The Big Payback“ droht e… | |
weißer Büroangestellten sein Vermögen und seinen Status zu verlieren, weil | |
er Reparationszahlungen an eine ihm unbekannte Schwarze Frau zahlen soll, | |
deren Vorfahren von seinen Urgroßeltern versklavt wurden. | |
„Atlanta“ zeigt sie schonungslos, die unbeholfene Cringyness weißer | |
Menschen, die mit racial justice konfrontiert werden. Als weiße Person | |
kommt einem beim Zuschauen ein sanftes Unbehagen ob der eigenen whiteness, | |
aber das ist von den Macher:innen gewollt. In der dritten Staffel wächst | |
„Atlanta“ über sich hinaus. Oder, wie der New Yorker schrieb: „Atlanta“ | |
braucht die Stadt Atlanta nicht mehr. Sie braucht nicht mal mehr ihre | |
eigenen Hauptcharaktere, sondern ist zu einem prophetischen Modus der | |
ironischen Gesellschaftskritik avanciert. | |
15 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Leonard Maximilian Schulz | |
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