# taz.de -- Postapokalyptische Arte-Serie „Anna“: Nur Kinder überleben | |
> Eine tödliche Seuche, die nur die Erwachsenen befällt – das ist die | |
> Vorgabe von Niccolò Ammanitis Serie „Anna“. Sie ist so dystopisch wie | |
> sehenswert. | |
Bild: Spielt in einer Albtraumlandschaft: Nicolo Ammanitis Arte-Serie „Anna“ | |
Wir denken, dass unsere Geschichten neu sind, aber das sind sie nicht. | |
Deswegen ist es zwar verständlich, aber auch überflüssig, wenn im Vorspann | |
von „Anna“ darauf hingewiesen wird, dass die Arte-Serie auf dem | |
gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2015 basiert und dass die Corona-Pandemie | |
erst sechs Monate nach Beginn der Dreharbeiten ausbrach. | |
Denn genauso hätte [1][Niccolò Ammaniti, der für Roman, Drehbuch und Regie | |
verantwortlich zeichnet], ja auch sagen können, dass er seine Plotidee zu | |
sich selbst überlassenen Kindern vor dem Klassiker des Genres „Herr der | |
Fliegen“ (1954) gehabt habe oder vor dem Kinderbuchdauerbrenner „Der | |
geheime Garten“ (1911). | |
Gerade in diesem gibt es Sätze, die wunderbar auf unsre kindische | |
Impfverweigerer-Gegenwart passen („Wenn Menschen die Cholera hatten, | |
dachten sie wohl nur an sich selbst“) und Szenen, die direkt auf Ammanitis | |
grausames Gedankenspiel einer Seuche, die nur die Erwachsenen trifft, zu | |
verweisen scheinen. | |
Etwa wenn die kleine Protagonistin Mary einfach vergessen wird in der | |
herrschaftlichen Villa ihrer schrecklich schnell von der Cholera | |
weggerafften Eltern: „Mary verbrachte die Zeit abwechselnd mit Weinen oder | |
Schlafen. Einmal schlich sie in das Esszimmer und fand es menschenleer. Das | |
Kind aß ein paar Früchte und etwas Gebäck, und da es durstig war, trank es | |
von dem Wein, der in einer noch fast vollen Flasche stand. Bald darauf | |
machte er sie schrecklich schläfrig. Sie schlich zurück in ihr | |
Kinderzimmer, legte sich auf ihr Bett und schlief ein.“ | |
## Brutal und Schäbig | |
So in etwa halten es auch die Kinder in „Anna“. Die Seuche heißt hier nach | |
dem für sie typischen Hautausschlag „La Rossa“. Sie befällt jeden und jede | |
mit dem Eintritt in die Pubertät. „Die Rote“ lässt den Sterbenden aber me… | |
Zeit als die Cholera in „Der geheime Garten“: Annas Mutter hat noch | |
Gelegenheit, von ihrem Krankenbett aus einen Plan zu entwerfen und ein Buch | |
damit zu füllen, wie ihre beiden Kleinkinder Anna und Astor ohne sie, ohne | |
irgendeinen Erwachsenen überleben können. | |
Das Panorama, das die sechsteilige Serie dann von der Postapokalypse | |
ausbreitet, ist brutal und schäbig, eine Alptraumlandschaft von monate- ja | |
jahrelang unaufgeräumtem Kinderzimmern. Anna gelingt es, sich und den | |
jüngeren Astor aus dem Gröbsten rauszubringen, sie begräbt ganz nach | |
Drehbuch – das hier nur um die Drastik der Darstellung anzudeuten – die | |
verweste Leiche ihrer Mutter: „Dieses Programm ist nicht geeignet für | |
Kinder, Jugendliche oder empfindsame Zuschauer“, den Hinweis sollte man | |
ernst nehmen. | |
Die Serie spielt auf Sizilien, und man bekommt den Eindruck, Ammanitis | |
Ausstatter hätten oft gar nicht ausstatten müssen, die Schäbigkeit und | |
Vernachlässigung ist einfach realistisch abfotografiert. Man denkt bei all | |
dem metaphysisch aufgeladenen Elend aber nicht nur an ein seit Jahren | |
verarmendes Land Italien, sondern auch an das Elend vielleicht etwas zu | |
genüßlich inszenierende Filme wie „Dogman“ von Matteo Garrone, an | |
[2][„Ultras“ von Francesco Lettieri] oder eben gleich an Pasolini, der | |
nächstes Jahr hundert würde und die Kaputtheit und Verdammnis des vom | |
Konsumismus zerfressenen „Bel Paese“ Italien schon vor 50 Jahren | |
vorhergesehen hat. | |
29 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Italienische-Arte-Serie-Ein-Wunder/!5563890 | |
[2] /Film-ueber-Ultra-Kultur-in-Neapel/!5675397 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
## TAGS | |
Italien | |
Dystopie | |
Arte | |
Seuche | |
Fernsehen | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Netflix | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serie „Hide and Seek“: Wie der Terminator | |
Die ukrainische Serie bedient Nordic-Noir-Sehgewohnheiten – kommt | |
ästhetisch aber ohne immer gleiche skandinavische Wohlstands-Idylle aus. | |
Dystopische Serie „Station Eleven“: Überleben allein reicht nicht | |
In der Pandemie eine Serie über eine Pandemie zu machen, ist gewagt. Doch | |
„Station Eleven“ überzeugt, auch weil Platz für Humor und Leichtigkeit is… | |
Netflix-Serie von Comiczeichner: Wenn man das Sofa teilen muss | |
Der italienische Comicstar Zerocalcare hat eine autobiografische Serie | |
gezeichnet. Ein Leben abseits von Chichi mit sozialer Dauerkrise. |