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# taz.de -- Ampel-Haltung zu Nuklearwaffen: Der grüne Atom-Spagat
> Am Dienstag beginnt die erste Staatenkonferenz des
> Atomwaffenverbotsvertrags, mit einem Beobachter des Außenamts. Die
> Teilnahme ist umstritten.
Bild: Am Militärflugplatz Büchel, wo amerikanische Atomwaffen stationiert sin…
Angelika Claußen hat schon viel erlebt, aber die nächste Woche soll für sie
ein Highlight werden. Als Studentin hat sie gegen den Vietnamkrieg
demonstriert, später gegen den Nato-Doppelbeschluss. Sie trat den
„Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges“ bei – das i…
schon so lange her, dass sie das Jahr nicht mehr weiß – und übernahm die
Leitung der deutschen Sektion.
Die großen Abrüstungsabkommen und deren Scheitern: Claußen, im Hauptberuf
Psychiaterin, ging immer wieder auf die Straße.
Die Reise nach Wien wird aber ein neues Level. Ab Dienstag versammeln sich
dort Diplomat*innen aus mehr als 60 Ländern. Sie treffen sich zur
ersten Staatenkonferenz des [1][Atomwaffenverbotsvertrags, den sie 2017
beschlossen haben] und der vor einem Jahr in Kraft trat – angeschoben von
Friedensorganisationen aus dutzenden Ländern. „Der Vertrag ist eine
riesengroße Erfolgsgeschichte der Weltfriedensbewegung“, sagt Claußen, die
die Konferenz für ihre NGO begleiten wird. „Er setzt eine neue Norm der
atomaren Abrüstung, indem er die katastrophalen humanitären Folgen eines
Atomkrieges anerkennt. Daran knüpfen wir jetzt an, gerade wegen des Kriegs
in der Ukraine.“
Tatsächlich ist die Sache bemerkenswert. Jahrzehntelang gab es zum Thema
nur eine große völkerrechtliche Vereinbarung: Der Nichtverbreitungsvertrag
verbietet Atomwaffen, nimmt aber die fünf Staaten aus, die zum Zeitpunkt
seiner Unterzeichnung welche besaßen. Im Gegenzug versprachen diese, auf
lange Sicht freiwillig abzurüsten.
Weil es damit aber nicht voranging, reichte es nach einem halben
Jahrhundert etlichen Nicht-Atomwaffen-Staaten, der Großteil von ihnen aus
dem globalen Süden. Sie griffen eine Initiative der Friedensbewegungen auf
und einigten sich auf den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV), der keine
Ausnahmen vorsieht – dafür aber keine Unterstützung der Atommächte hat.
Auch aus der Nato hat bislang kein Land unterschrieben.
## In der FDP ist man skeptisch
Deutschland immerhin zeigt jetzt vorsichtiges Interesse. Die
Bundesregierung wird als Beobachterin in Wien teilnehmen. Teile der SPD,
vor allem aber die Grünen hatten in den Koalitionsverhandlungen darauf
gedrungen. Die Wurzeln der Partei in der Friedensbewegung: Sie schlagen
manchmal noch durch.
Die Handbremse lässt die Bundesregierung allerdings stark angezogen. Vor
einem Jahr, in der Opposition, hatten die Grünen noch gefordert, dass
Deutschland dem AVV beitritt. Jetzt wird Außenministerin Annalena Baerbock
noch nicht mal persönlich als Beobachterin anreisen – der Grund ist nicht
ihre Corona-Erkrankung.
Sie schickt auch nicht ihre Staatsministerin Katja Keul nach Wien, die
prädestiniert wäre: In den achtziger Jahren wurde sie durch die
Atomdebatten politisiert, 1999 trat sie wegen des Kosovokriegs
zwischenzeitlich aus der Partei aus, später war sie in der Grünen-Fraktion
für das Thema Abrüstung zuständig.
Stattdessen reist für das Auswärtige Amt ein Beamter nach Wien: der
zuständige Unterabteilungsleiter Rüdiger Bohn. „Das enttäuscht uns“, sagt
die Friedensaktivistin Claußen. „Es wäre mutig gewesen, wenn die
Außenministerin kommt. Aber das war wohl nicht opportun.“
Bei den Grünen sieht man das natürlich anders. Es sei „super wichtig“, da…
die Bundesregierung überhaupt dabei ist, sagt die Abgeordnete Merle
Spellerberg. „Deutschlands Teilnahme ist nicht selbstverständlich, sondern
ein lang erkämpfter Erfolg der Koalitionsverhandlungen.“
Während ihres Studiums, in einer Vorlesung zum humanitären Völkerrecht,
hatte Spellerberg vor ein paar Jahren zum ersten Mal mit dem Thema zu tun.
Nach ihrem Einzug in den Bundestag im Herbst ging sie gezielt in den
Unterausschuss für Abrüstung.
Gegen die Teilnahme der Bundesregierung gab es starken Widerstand, in der
Koalition ist die FDP skeptisch. Sie sieht wenig Sinn in einem Vertrag, den
die Atommächte nicht unterschrieben haben, und fürchtet, der Verbotsvertrag
könne den Nichtverbreitungsvertrag sogar schwächen. Und: Sie will die
Nato-Partner nicht verärgern.
## Grünen-Anhänger mehrheitlich für Verbleib von Atombomben
Die USA, Großbritannien und Frankreich besitzen schließlich Atomwaffen und
sehen den AVV kritisch. Es ist Beschlusslage der Militärallianz, dass
Mitglieder den Vertrag nicht unterstützen können. „Wir werden von unseren
Bündnispartnern sehr dafür kritisiert, dass wir als Beobachter hinfahren“,
sagte Staatsministerin Katja Keul vorvergangene Woche.
[2][Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine] hat sich die Debatte noch
mal verschärft. Unterstützer*innen des Vertrags sehen sich zwar
bestärkt: Gerade jetzt zeige sich, welches Risiko von Atomwaffen ausgehe.
Gegner*innen fühlen sich aber ebenso bestätigt: Wäre die Ukraine unter
dem atomaren Schutzschirm der Nato, hätte der Kreml demnach den Angriff
nicht gewagt. Gerade Atombomben sorgten also für Sicherheit.
Vor allem aus konservativen Kreisen gibt es mittlerweile sogar Rufe nach
deutschen oder zumindest europäischen Atomwaffen. Auch bei den Grünen, die
gerade so einige Zeitenwenden durchmachen, hinterlässt die Entwicklung
Spuren.
In einer Umfrage für die ARD sprachen sich im Mai 64 Prozent ihrer
Anhänger*innen dafür aus, dass die in Deutschland stationieren
US-Atombomben hier bleiben – der höchste Wert unter allen Parteien. Würde
Deutschland dem AVV beitreten, müssten die Waffen dagegen abgezogen werden.
## Auch Nato-Aspiranten Schweden und Finnland dabei
Die Grünen machen deshalb einen Spagat. Die Konferenz in Wien lassen sie
beobachten, aber nicht hochrangig. Und bei einer Rede zur nationalen
Sicherheitsstrategie sprach Baerbock im März kurz über Abrüstung, sagte
aber auch: „Die nukleare Abschreckung der Nato muss glaubhaft bleiben.“
Keinen Einspruch legen die Grünen gegen den Plan des Bundeskanzlers ein,
F35-Kampfjets als Ersatz für die alten Bundeswehr-Tornados zu kaufen. Sie
sollen deren Aufgabe in der Nuklearen Teilhabe übernehmen, sprich: Im
Ernstfall die US-Atomwaffen einsetzen, die aktuell auch noch modernisiert
werden.
Was bringt es da, für drei Tage einen Beobachter nach Wien zu schicken? An
einigen konkreten Punkten des Verbotsvertrags könnte die Bundesregierung
mitarbeiten, ohne ihn selbst zu unterzeichnen. Artikel 6 sieht zum Beispiel
Hilfe für Länder vor, die unter den Folgen von Atomwaffentests leiden. Bei
der Konferenz wollen die Vertragsstaaten darüber beraten, zu diesem Zweck
einen Fonds einzurichten. Deutschland könnte ihn unterstützen.
Daneben wird der Wien-Besuch von Baerbocks Beamten aber zumindest ein
kleines Signal aussenden. „Der Vertrag ist wichtig, um die Ächtung von
Atomwaffen voranzutreiben“, sagt der Friedensforscher Oliver Meier. „Er
sorgt für einen Perspektivwechsel weg vom Diskurs, wie Atomwaffen die
strategische Stabilität verbessern, hin zu den Risiken, die von ihnen
ausgehen.“ Diesen Blick müsse die Bundesregierung nach der Konferenz auch
in die Nato tragen.
Nicht nur Deutschland, sondern auch der Bündnispartner Norwegen schickt
einen Beobachter zur Konferenz. Dazu kommen die Nato-Aspiranten Schweden
und Finnland. Tun sich die vier zusammen, könnten sie die beinharte
Beschlusslage der Allianz womöglich aufweichen. Der Druck auf die drei
Nato-Atommächte könnte wachsen, die Erfolgsaussichten für
Abrüstungsverhandlungen mit Russland steigen.
Wenn solche Gespräche denn irgendwann wieder möglich sind. „Der Kreml führt
einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, daher ist zurzeit Frieden
mit Russland nicht vorstellbar. Langfristig gibt es Frieden in Europa
trotzdem nur mit Russland“, sagt die Abgeordnete Spellerberg. „Es wird aber
eine riesengroße Herausforderung, wieder Vertrauen herzustellen. Für
atomare Abrüstung ist die Situation nicht einfach.“
20 Jun 2022
## LINKS
[1] /Abkommen-ueber-UNO-Atomwaffenverbot/!5745773
[2] /Russischer-Angriff-auf-die-Ukraine/!5858696
## AUTOREN
Tobias Schulze
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