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# taz.de -- Schriftstellerin Kristine Bilkau: Risse im Miteinander
> Kristine Bilkau spürt in ihren Büchern den Veränderungen des
> Zusammenlebens nach. Für ihren Roman „Nebenan“ bekam sie den Hamburger
> Literaturpreis.
Bild: Folgt lieber der Psychologie ihrer Figuren als einem Plot: Kristine Bilkau
Hamburg taz | Das Schreiben hat sie schon immer begleitet. Davon erzählt
Kristine Bilkau an einem sonnigen Tag in ihrer Geburtsstadt Hamburg,
während sie in einem Café in der Sternschanze sitzt: „Ich habe schon früh
dieses Bedürfnis gehabt, mich über das Schreiben mitzuteilen und Dinge
durch das Schreiben zu verarbeiten.“
Eine Kurzgeschichte, die sie mit zwölf Jahren verfasste und selbst
illustrierte, schickte ihre Mutter zum Rowohlt-Verlag. Es erfolgte eine
respektvolle Absage, verbunden mit der Aufforderung an die junge Autorin,
weiterzuschreiben. Auch nach ihrem Studium der Geschichte, Anglistik und
Neueren deutschen Literatur in Hamburg und New Orleans blieb Bilkau der
literarischen Welt treu.
Mittlerweile hat die heute 47-jährige Autorin drei Romane veröffentlicht
und ist mit mehreren Preisen, unter anderem dem Klaus-Michael-Kühne-Preis,
ausgezeichnet worden. In ihren Werken zeigt sich Kristine Bilkau als eine
feinsinnige Beobachterin unserer Gesellschaft. Problematische Tendenzen der
Gegenwart fließen in ihre Geschichten mit ein: Hohe Mietpreise in deutschen
Metropolen, das Verschwinden der Innenstädte in anderen Teilen des Landes,
eine Abnahme der sozialen Interaktion. Davon erzählt Bilkau in einer
klaren, direkten Sprache und beschreibt das scheinbar Alltägliche.
Dabei richtet sich ihr Fokus eigentlich auf die Risse, die sich in unserem
sozialen Miteinander zeigen können. Dies gilt bereits für ihren
preisgekrönten [1][Debütroman „Die Glücklichen“] (2015): Die jungen Elte…
Isabell und Georg verlieren innerhalb kurzer Zeit ihre Jobs. Von da an ist
ihr Alltag von Existenzsorgen überschattet, während sie versuchen, nach
außen den Schein zu wahren, dass sie gänzlich der gesellschaftlichen Norm
entsprechen. Für die Beziehung wird dies zu einer kaum noch zu
überwindenden Belastungsprobe.
Um Beziehungsdynamiken und den familiären Umgang miteinander kreist auch
Bilkaus zweiter Roman „Eine Liebe, in Gedanken“ (2018). Erzählt wird die
Liebesgeschichte von Antonia und Edgar in den 1960er-Jahren, parallel dazu
erfahren die Lesenden, wie Antonias Tochter Jahrzehnte später den Tod ihrer
Mutter verarbeitet. Während des Verfassens ihrer Bücher gebe es stets
begleitende Lektüren, so Bilkau, die ihr Schreiben beeinflussen.
In diesem Fall waren dies die Romane des französischen Nobelpreisträgers
Patrick Modiano. Der Autor, der in seinen Werken immer wieder das Paris der
1960er-Jahre lebendig werden lässt, wurde ein wichtiger Bezugspunkt für
[2][„Eine Liebe, in Gedanken“]. „Mich interessierte der Zeitraum knapp vor
1968. Wie fühlt sich ein Ausbruch aus dem regressiven Nachkriegsdeutschland
an, wenn es dafür noch keinen gesellschaftlichen Wortschatz gibt, weil die
öffentlichen Debatten der politischen Bewegungen noch nicht vorhanden
sind?“, erklärt die Schriftstellerin.
In ihrem neusten [3][Roman „Nebenan“], der im vergangenen Jahr mit dem
Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet wurde, schildert Bilkau, selbst
verheiratet und Mutter eines 14-jährigen Sohns, das plötzliche Verschwinden
einer Familie in einer dörflichen Umgebung, das nur wenige zu bemerken
scheinen.
Bilkau beschreibt darin eine Gemeinschaft, die den Namen kaum noch
verdient, weil sich die Menschen in diesem Ort schon längst fremd geworden
sind. Manche, wie die Protagonistin Julia verlieren sich in sozialen
Medien, nur um letztlich zu erkennen, dass sie dort nicht finden werden,
wonach sie suchen: „Alles hier ist getrieben von Sehnsüchten, nach einer
Welt ohne Brüche. Doch niemand hier wird ihre Sehnsüchte erfüllen, im
Gegenteil, ihre Sehnsüchte sind wie eine Ware, sie werden genommen,
weitergereicht und verwertet, ihre Sehnsüchte sind wie ein Rohstoff, von
dem andere leben, doch sie, sie wird hier nichts finden, das Bestand hat.“
Unser sozialer Umgang miteinander zieht sich als zentrales Thema durch
jeden von Bilkaus Romanen. Sie zeigt auf, wie Konflikte und Trennungen
entstehen, wie Menschen einander ignorieren oder es ihnen nicht gelingt,
klar miteinander zu kommunizieren. Dennoch verurteilt die Autorin ihre
Figuren nicht, die für sie den Kern jeder Geschichte ausmachen: „Ich bin
ganz bei den Figuren, ihrer Psychologie und ihrer emotionalen Wahrheit. Ich
arbeite nicht plotorientiert.“ Stattdessen arbeite sie figurenbezogen,
daraus entstehe dann der Plot.
Derzeit trägt Bilkau zwei neue Romanideen mit sich herum und schreibt einen
Essayband über das Schwimmen – eine Tätigkeit, der sich ihre Figuren gerne
hingeben.
Sie schreibt also weiter, so wie es ihr der Rowohlt-Verlag einst geraten
hat. Schließlich ist sie von den gesellschaftlichen Möglichkeiten der
Literatur überzeugt: „Dort, wo Sprache die Situation von Menschen
unsichtbar machen will, die Sprache der Macht oder Unterdrückung,
Ausbeutung oder Achtlosigkeit, dort kann Literatur etwas dagegensetzen. Sie
kann die Oberflächen immer wieder aufrauen und aufbrechen.“ Kristine Bilkau
gelingt dies in ihren Romanen.
21 Jun 2022
## LINKS
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[3] /Neuer-Roman-Nebenan/!5845696
## AUTOREN
Lenard Brar Manthey Rojas
## TAGS
Literatur
Hamburg
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Belletristik
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