Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ermittlungen gegen VW do Brasil: Anhörung wegen Sklavenarbeit
> Volkswagen soll in den 1970er Jahren brasilianische Leiharbeiter unter
> sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigt haben. Die Justiz ermittelt.
Bild: Lange Zeit eine Erfolgsgeschichte: VW Käfer aus der Produktion der Volks…
São Paulo taz | Wie Tiere seien die Arbeiter behandelt worden. Geschlagen,
gedemütigt, in elenden Baracken eingesperrt. Kranke seien nicht behandelt
worden, viele sollen an Malaria gestorben sein.
[1][Zwischen 1974 und 1986] soll es auf der Rinderfarm Cristalino am Rande
des Amazonasbeckens zu schweren Verbrechen gekommen sein. Das legen 2.000
Seiten Ermittlungsakten der brasilianischen Staatsanwaltschaft nahe, die
seit mehr als drei Jahren ermittelt. Besonders pikant: Die Farm wurde vom
deutschen Autobauer Volkswagen betrieben. Am Dienstag sind die
Anwält*innen des Konzerns zu einer Anhörung vor dem Arbeitsgericht in
der brasilianischen Hauptstadt Brasília vorgeladen. Erstmals hatten die
Süddeutsche Zeitung, [2][NDR] und SWR darüber berichtet.
Die Vorwürfe in dem 84 Seiten starken Abschlussbericht der
Staatsanwaltschaft haben es in sich: Die für die Rodungsarbeiten
eingesetzten Leiharbeiter seien „sklavenähnlichen Bedingungen“ unterworfen
gewesen. Es soll sich um systematische Menschenrechtsverbrechen in
Hunderten Fällen handeln, laut den Ermittlungsakten mit Wissen des
Vorstands von Volkswagen do Brasil.
Für den deutschen Konzern ist Brasilien eigentlich eine Erfolgsgeschichte.
Fast 400.000 Autos verkaufte der Konzern in dieser Zeit in Brasilien
jährlich, 60 Prozent des Marktes wurden vom Wolfsburger Unternehmen
kontrolliert, Autos wie der Käfer erlangten auch in Brasilien Kultstatus.
Schon bald wollte VW ebenfalls mit der Fleischproduktion Gewinne machen,
und so öffnete Volkswagen do Brasil Mitte der 1970er Jahre Farmen im
abgelegenen Amazonasgebiet. Der damalige Firmenchef Rudolf Leiding ordnete
sogar persönlich an, Land im Regenwald für das Projekt zu erwerben. Was dem
Konzern zugutekam: Die Konzernleitung hatte beste Verbindungen in die
oberste Riege der damals brutal herrschenden rechten Militärdiktatur. Erst
1986, ein Jahr nach der Rückkehr zur Demokratie, gab der deutsche Konzern
das Rindfleischgeschäft in Brasilien auf.
## Arbeiter*innen bespitzelt
Dass das Kapitel nicht abgeschlossen ist, hat vor allem mit einem Mann zu
tun: Ricardo Rezende Figueira. Der linke Priester war damals in der Nähe
der Farm im Einsatz. Geflohene Arbeiter suchten bei ihm Schutz, später
besuchte er mit einer Gruppe Politiker*innen die Farm. Jahrzehntelang
sammelte er Beweise und Zeugenaussagen für die Gräueltaten auf der Farm.
Die Staatsanwaltschaft bezieht sich bei ihren Ermittlungen maßgeblich auf
die Recherchen Rezendes, der heute als Professor für Menschenrechte an der
Föderalen Universität von Rio de Janeiro lehrt.
Die Debatte nahm erneut an Fahrt auf, als Volkswagen vor fünf Jahren
begann, Menschenrechtsverletzungen in anderen Fällen untersuchen zu lassen.
Der Werkschutz einer Fabrik bei São Paulo hatte mit der Geheimpolizei
zusammengearbeitet und linke Arbeiter*innen bespitzelt. Mehrere von
ihnen landeten in den Folterkellern des Regimes – wohl mit dem Wissen des
Vorstands von Volkswagen do Brasil. 2020 zahlte der Konzern den Opfern
umgerechnet rund 5,5 Millionen Euro. Doch für einige kam das zu spät, sie
waren bereits verstorben. Entschädigungen für die Opfer in Amazonien hat es
bisher noch nicht gegeben. In der am Dienstag in Brasília startenden
Anhörung soll geprüft werden, ob es eine Einigung zwischen den Opfern und
dem Konzern geben könnte. Andernfalls könnte VW strafrechtlich verfolgt
werden.
## Entschädigung gefordert
„Die betroffenen Arbeiter beziehungsweise deren überlebende Angehörige
müssen entschädigt werden. VW muss historische Verantwortung übernehmen und
um Entschuldigung bitten“, sagt Christian Russau von den Kritischen
Aktionären der taz. „Da es noch heute Sklavenarbeit in Brasilien gibt,
fordern wir, dass VW einen nennenswerten Betrag zur Bekämpfung der
Sklavenarbeit zur Verfügung stellt.“ Seine Organisation beschäftigt sich
seit vielen Jahren mit der Rolle von Volkswagen während der brasilianischen
Militärdiktatur. Russau klagt bei VW-Jahreshauptversammlungen regelmäßig
Menschenrechtsverletzungen des Konzerns an.
In Interviews mit Journalist*innen bestritt der ehemalige Leiter der
Cristalino-Farm, der Schweizer Friedrich Brügger, jegliche Verantwortung
der VW-Leitung für die damals verübten Verbrechen in Amazonien. Schuld
hätten die Arbeitervermittler gehabt, die für die Rodungsarbeiten zuständig
gewesen sind. Außerdem hätten damals auch andere Unternehmen so gehandelt.
Er spricht von Einzelfällen.
Auf Nachfrage von Journalist*innen erklärte Volkswagen, die
Ermittlungen ernst zu nehmen. Da sie aber keine Einsicht in die Akten
bekommen hätten, könnten sie sich nicht konkreter zu den laufenden
Ermittlungen äußeren. Russau von den Kritischen Aktionären befürchtet, dass
VW versuchen könnte, „erneut eine medienwirksame Einzelfallthese zu
basteln“.
13 Jun 2022
## LINKS
[1] /Folter-und-Festnahmen-in-Brasilien/!5471006
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/E…
## AUTOREN
Niklas Franzen
## TAGS
Menschenrechte
Volkswagen
Brasilien
Automobilindustrie
Brasilien
Brasilien
IG
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
Volkswagen
Brasilien
Volkswagen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Außergerichtliche Einigung gescheitert: VW wegen möglicher Sklavenarbeit in B…
Auf einer Farm im Amazonas-Gebiet sollen Arbeiter in den 1970ern und
1980ern wie Leibeigene gehalten worden sein.
Verfahren in Brasilien: Sklavenarbeits-Vorwurf gegen VW
VW soll in den 70er Jahren in Brasilien unter unmenschlichen Bedingungen
Leiharbeiter beschäftigt haben. Nun geht die Aufarbeitung voran – etwas.
Nahender Wahlkampf in Brasilien: Bolsonaro spielt mit der Gewalt
Nach einer tödlichen Schießerei zwischen zwei Männern diskutiert Brasilien
über politische Gewalt. Bolsonaro wird Hetze vorgeworfen.
VW-Betriebsratschefin zu Menschenrechten: „Wir haben eine Verantwortung“
Daniela Cavallo ist die erste Frau an der Spitze des
VW-Konzernbetriebsrats. Bei Volkswagen komme man von einer Krise zur
anderen, sagt sie.
Nachdem sie zehn Tagen vermisst wurden: Duo tot am Amazonas gefunden
Ein Journalist und ein Idigenen-Experte werden in Brasilien vermisst. Nun
gesteht ein Verdächtiger den Mord, und führt zu sterblichen Überresten.
Presse in Brasilien: Vermisster Journalist und Forscher tot
Anfang Juni verschwanden ein Journalist und ein Experte für Indigene
spurlos im brasilianischen Amazonasgebiet. Nun wurden sie gefunden: tot.
VW entschädigt Opfer der Militärdiktatur: Dunkle Vergangenheit in Brasilien
Während der Militärdiktatur in Brasilien kollaborierte VW mit dem Regime
und verriet Mitarbeiter. Nun entschädigt der Autobauer die Opfer in
Millionenhöhe.
Tanz in Brasilien: Die Körper und ihre Feinde
Tanz ist fast eine Allegorie für Brasilien. Doch Bolsonaros Politik lässt
junge Künstler*innen um ihren Beruf und ihre Freiheiten bangen.
Folter und Festnahmen in Brasilien: VW hat mit Militärdiktatur kooperiert
Laut einer Studie hat Volkswagen von 1964 bis 1985 mit Militärs in
Brasilien zusammengearbeitet. Der Autobauer wollte sich ein günstiges
Marktumfeld sichern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.