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# taz.de -- Überfall in Burkina Faso: Bluttat stellt Militär auf Probe
> Bei einem Überfall auf eine Stadt im Osten von Burkina Faso starben bis
> zu 200 Menschen. Die Militärregierung kann die Gewalt nicht beenden.
Bild: Wollte für Ruhe sorgen: Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba hat ei…
Berlin taz | Noch gibt es nur Gerüchte darüber, was am Wochenende in
Seytenga im Nordosten Burkina Fasos geschehen ist. Aber seit Sonntag
treffen zu Tausenden Menschen aus der 32.000 Einwohner zählenden Kleinstadt
in der Provinzhauptstadt Dori ein – nach 40 Kilometern Fußmarsch „unter
Schock, im totalen Elend“, wie das lokale Radio Omega berichtet. Die
Stadtbehörden in Dori haben am Sonntag 3.173 Ankömmlinge registriert,
zumeist Kinder.
Ein Video in sozialen Netzwerken soll Seytenga in der Nacht zum Sonntag
zeigen: Hütten und Häuser stehen lichterloh in Flammen. Ein lokaler
Reporter zitiert Fliehende: „Seit drei Tagen töten Terroristen die Leute in
Seytenga, sie gehen in die Häuser und entführen und töten sie“, sagt
Aissatou Cissé. Hamado Sawadogo führt aus: „Zielscheibe waren vor allem
Personen männlichen Geschlechts. Jetzt sind wir hier in Dori ohne alles.
Wir bitten den Staat, uns zu helfen, die Leichen zu finden, damit wir sie
beerdigen können.“
Am Montag zirkulieren unbestätigte dreistellige Todeszahlen. Die Regierung
bittet in einer Erklärung die Bevölkerung, sich „von übereilten Bilanzen
und ohne Überprüfung verbreiteten Zahlen fernzuhalten“. Burkina Fasos
führende Tageszeitung L'Observateur-Paalga in der Hauptstadt Ouagadougou
publiziert diesen Hinweis direkt hinter einer Mutmaßung über 170 bis 200
Tote. Andere Quellen nennen 167.
## Gewalt nimmt spürbar zu
Sollten sich diese Zahlen bewahrheiten, wäre es der blutigste Überfall auf
Zivilisten in Burkina Faso seit Beginn der [1][islamistischen
Terrorkampagne] im Jahr 2016. Zuletzt starben im Juni 2021 im Ort Solhan
mindestens 138 Menschen bei einem Terrorangriff. Das Massaker von Solhan
trug maßgeblich dazu bei, dass die Unzufriedenheit im Militär über die
gewählte zivile Regierung so weit zunahm, dass am 24. Januar Oberstleutnant
[2][Paul-Henri Sandaogo Damiba putschte] und ein Militärregime errichtete.
Damiba will für zunächst [3][30 Monate regieren], während derer die
Sicherheit „Priorität“ haben soll, wie er erklärt hat. Anfang April
verkündete die Regierung die Aufnahme von Gesprächen mit radikalen
Islamisten im Rahmen von lokalen Dialogkomitees, eine alte Forderung aus
der Zivilgesellschaft. Zugleich aber verschärfte die Armee ihre
militärische Gangart gegen bewaffnete Gruppen.
Seit einigen Wochen nimmt die Gewalt wieder spürbar zu. 200 Tote in zwei
Monaten wurden schon vor dem Überfall auf Seytenga landesweit verzeichnet.
Die Zahl der Binnenvertriebenen ist laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR von
1,74 Millionen Ende Januar auf 1,85 Millionen Ende März gestiegen. Burkina
Faso zählt rund 21 Millionen Einwohner.
Der Unmut darüber steigt. Am Samstag demonstrierten die Bewohner der Stadt
Pama in der südöstlichen Provinz Kompienga an der Grenze zu Benin dagegen,
dass „der Terrorismus mit Riesenschritten voranschreitet“ – die gesamte
Provinz außer zwei Orten sei von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Der
Protest wurde nach wenigen Minuten abgebrochen, weil er von Bewaffneten
bedroht wurde, so die lokale Webseite Gulmu.
## Angriffe im Goldbergbaugebiet
Der Überfall auf Seytenga folgte einem bewährten Muster. In der Nacht zum
Freitag überfielen Bewaffnete die Gendarmeriestation der Stadt und töteten
elf Gendarmen. Die anderen flohen. Zwei Nächte später war Seytenga
schutzlos.
Auffällig ist, dass sich islamistische Angriffe in Goldbergbaugebieten
häufen, zu denen Seytenga zählt. Im März wurden nahe der Stadt zehn
Menschen bei einem Überfall auf eine informelle Goldmine getötet – Teil
einer Serie mit insgesamt 40 getöteten Goldgräbern an drei Orten. Burkina
Faso ist mit einer Jahresförderung von 70 Tonnen aus 17 industriellen Minen
einer von Afrikas größeren Goldproduzenten, dazu kommen mehrere Hundert
unregulierte Gruben, in denen 1,5 Millionen Menschen auf eigenes Risiko
Gold schürfen und verkaufen. Sie sind leichte Beute für Untergrundarmeen.
Aber auch die größte industrielle Goldmine von Burkina Faso, Taparko, wurde
am 9. April aus Sicherheitsgründen geschlossen. Sie gehört mehrheitlich der
russischen Firma Nordgold des sanktionierten Tui-Großaktionärs Alexei
Mordaschow. Noch hat Burkina Fasos Militärregierung, anders als die [4][in
Mali, keine russischen Söldner ins Land geholt], um wichtige Orte zu
„schützen“. Das könnte sich bei einer weiteren Gewalteskalation ändern.
Dann wird sich die Frage stellen, wem die neue Terrorwelle nützt.
14 Jun 2022
## LINKS
[1] /Islamistische-Gewalt-in-Benin/!5840271
[2] /Militaerputsch-in-Burkina-Faso/!5827686
[3] /Burkina-Faso-nach-dem-Putsch/!5838788
[4] /Mandatsverlaengerung-in-Mali/!5850282
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Burkina Faso
Islamismus
Sahel
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