# taz.de -- Fotografien von Hansgert Lambers: Die Überraschung des Gewöhnlich… | |
> Hansgert Lambers war Ingenieur und Fotoamateur. Seine Aufnahmen | |
> verdichten die Zeit. Das Haus am Kleistpark in Berlin zeigt eine | |
> Retrospektive. | |
Bild: Ausschnitt aus Hansgert Lambers, West-Berlin, Schöneberg, Albertstraße … | |
Der Fotograf Hansgert Lambers ist eine Entdeckung, und ebenso sind es seine | |
Schwarzweiß-Aufnahmen mit dem Zauber der wiedergefundenen Zeit. „Verweilter | |
Augenblick“, der Titel seiner Retrospektive [1][im Haus am Kleistpark], ist | |
vom Kurator Matthias Reichelt gut gesetzt. | |
Da stehen in einer Aufnahme zwei kleine Hunde im offenen Fenster. Neugierig | |
schauen sie im Gleichklang in die Welt und auf den Fotografen. An der Wand | |
unter ihnen ist ein „Roller-, Fahrrad-Verleih“ annonciert. Nur schaut die | |
Typo so merkwürdig nach frühem, ein bisschen vergurktem Pop aus, der Putz | |
an der Wand blättert ab wie die Farbe am Kellerfenster darunter: Das ist | |
nicht heute, das ist gestern. | |
Ja, das ist „West-Berlin, Kreuzberg, Möckernstraße, 1972“, wie die | |
Bildunterschrift besagt – und wie man selbst beschwören würde, es zu | |
kennen. Was lustig ist, hat man doch nie in West-Berlin gelebt.Durch die | |
Staffelung von Fenster, Wand, Fenster sind die Hunde wie auf ein Piedestal | |
gestellt, der Raum ist rhythmisch gegliedert, die Aufnahme von großer | |
formaler Perfektion. Man fühlt sich in die Wunderwelt eines [2][Henri | |
Cartier-Bresson] versetzt, in der man – fotografisch, medial wohl | |
instruiert und sozialisiert – ganz fraglos zu Hause ist, egal woher in | |
dieser Welt seine Aufnahme stammt. | |
## Aus Liebe zum Medium | |
Man fragt sich also, salopp formuliert, warum hatte man diesen Fotografen | |
nie auf dem Schirm? Trotz zahlreicher fotografischer Aktivitäten, sei es | |
als Kurator und Ausstellungsmacher, sei es als Verleger, der in seinem 1986 | |
gegründeten [3][ex pose verlag] bislang rund 80 Bildbände mit | |
zeitgenössischer Autorenfotografie veröffentlichte? | |
Aber Hansgert Lambers, 1937 in Berlin geboren, arbeitete eben nie als | |
Fotograf. Nach einem Ingenieurstudium war er von 1965 bis 1993 als | |
Systemberater für IBM unterwegs. Tatsächlich ist er Fotoamateur, Fotograf | |
aus Leidenschaft und Liebe zum Medium. Frei von Erfolgsdruck musste er | |
weder veröffentlichen noch ausstellen; er konnte es aber und tat es auch. | |
In Fotografenkreisen ist er daher durchaus bekannt und anerkannt. | |
Sein Job brachte es mit sich, dass er viel reiste, auch in die Länder | |
hinter dem Eisernen Vorhang, wie man damals sagte, ebenso nach Italien oder | |
England. Und so trifft man 1984 in Bologna auf eine hinreißende | |
Fahrradfahrerin, die vor einem Schaufenster haltgemacht hat, allerdings | |
schaut sie nicht in die Auslage, sondern hinter sich zurück, zum Fotografen | |
beziehungsweise zur Betrachterin. | |
Ein Blick, den der Ausstellungskurator nutzt, um mit dem groß aufgezogenen | |
Bild eine Verbindung in den gegenüberliegenden Raum zu schaffen, wo wir, | |
dem Blick folgend, wieder auf eine attraktive Frauenfigur treffen. | |
Allerdings ist sie gezeichnet, ein Werbedisplay für Bild, das 1959 das Dach | |
eines Kiosks an der Crellestraße ziert. | |
## Der Pudel und das Hakenkreuz | |
In Wien fällt zunächst der putzige kleine weiße Pudel in einem Ladeneingang | |
auf, der etwas auf der Straße sieht – und wie wir noch den Hund betrachten, | |
entdecken wir im rechten Augenwinkel den Teller im Schaufenster, der mit | |
seiner Rückseite präsentiert ist, weil darauf als Signet der Reichsadler | |
mit Hakenkreuz prangt. Das Foto ist von 1973! | |
Die Stadt in ihrer ganz banalen Alltäglichkeit, gleichgültig ob Wien oder | |
Paris, Prag oder Budapest, bietet Lambers immer die Überraschung des | |
Gewöhnlichen, den Augenblick, in dem eine andere, oft nicht restlos zu | |
klärende Erzählung aufscheint. | |
Was etwa geht der blonden Frau im schicken Business-Outfit durch den Kopf? | |
So wie sie in Stockholm 1981 mit geschlossen Augen an der Wand neben einer | |
Garage lehnt, das Gesicht der Sonne zugewandt, eine Szene wie ein Gemälde | |
von Edward Hopper. | |
Tatsächlich verweilt Lambers gern bei dem im Raum vereinzelten, bisweilen | |
verlorenen Menschen. Wie bei der Frau, die aus dem einsamen Fenster schaut, | |
das in die enorme, bildfüllende Fläche der Brandmauer gesetzt ist. Trotz | |
seines schlichten Sujets ist „West-Berlin, Schöneberg, Albertstraße, 1958“ | |
fotografisch großes Theater, mit der Ziegelmauer, die zur Hälfte weiß | |
gekalkt ist, wodurch das Bild geteilt wird. Das betont die Straßenlaterne, | |
die leicht verschoben, parallel zur Kante von Farbe und Backstein steht. | |
Und dann das rätselhafteste, gleichzeitig symbolträchtigste Bild der | |
Ausstellung: der hagere Mann in Arbeitsuniform und Käppi auf dem Kopf, der | |
in einer menschenleeren Umgebung mit grimmiger Miene aus einem | |
Straßenschacht steigt. Die Szene wirkt an sich unheimlich, eher wie ein | |
Filmstill. Sie erscheint aber erst recht verstörend und der Mann wie eine | |
Art Wiedergänger aus der Vergangenheit, liest man die Bildunterschrift | |
„Gedenkstätte KZ Auschwitz, Polen 1997“. | |
18 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hausamkleistpark.de/ | |
[2] /Cartier-Bresson-Ausstellung-in-Wolfsburg/!5112580 | |
[3] https://www.expose-verlag.de/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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