# taz.de -- Wissenschaftliches Schaulaufen: Sprechen Sie Hethitisch? | |
> Im Salon Sophie Charlotte der Akademie der Wissenschaften geht es um | |
> vergessene Sprachen, Gehirne und Kannibalen. Das ist gut und irgendwie | |
> beruhigend. | |
Bild: Kann zwar niemand vorlesen, ist aber trotzdem spannend: Keilschrift | |
Man wird wohl nicht jeden Morgen gleich als Erstes darüber brüten, wie | |
eigentlich das Hethitische geklungen hat. Da denken manche möglicherweise | |
erst mal ans Frühstück. Aber ein irgendwie beruhigender Gedanke ist es | |
doch, dass sich Menschen genau auch mit dieser Fragestellung beschäftigen: | |
dem Hethitischen. | |
Gesprochen wurde das von den Hethitern, einem kleinasiatischen Volk, das | |
längst ausgestorben ist und mit ihm auch die Sprache. Die allerdings ist in | |
Keilschriftaufzeichnungen konserviert. | |
Am Wochenende konnte man sich im Salon Sophie Charlotte anhören, wie das | |
Hethitische geklungen haben mag. Ein Annäherungsversuch, wie gern zugegeben | |
wurde, schließlich konnte kein Hethiter beratend helfen. | |
Der Salon Sophie Charlotte ist [1][ein wissenschaftlich-geselliges | |
Schaulaufen], zu dem die Berlin-Brandenburgische Akademie der | |
Wissenschaften einmal im Jahr lädt. Namensgeberin ist Sophie Charlotte, | |
Königin von Preußen, die im Jahr 1700 gemeinsam mit Gottfried Wilhelm | |
Leibniz die Gründung der wissenschaftlichen Akademie zu Berlin initiierte. | |
Der Salon hat jeweils ein Schwerpunktthema, in den vergangenen Jahren etwa | |
„Leben wir in der besten aller möglichen Welten?“ oder „Die Wissenschaft | |
und die Liebe“. In diesem Jahr wurde als Motto ein nach den | |
coronapandemischen Verwerfungen selbst vergewisserndes „Still, Life Is | |
Life“ ausgegeben, zu dem die Menschen sich in einem pulsierenden Kommen und | |
Gehen zu und von den einzelnen Programmpunkten durch die engen Gänge des | |
Akademiegebäudes am Gendarmenmarkt bewegten. | |
Da konnte man aus der Hirnforschung erfahren, dass es mit der Natur im Kopf | |
nicht nur besser mit dem Kopfrechnen klappt, sondern der Mensch auch | |
weniger anfällig für psychische Störungen ist. Dass also Grün und Bäume dem | |
Menschen schlicht guttun. Bei einem „Dinner for Sinner“ hörte man vom | |
Zusammenhang von Kolonialismus, Kannibalen (zu denen „barbarische Wilde“ | |
erklärt wurden, um sie so „zivilisieren“ oder halt beiseiteschaffen zu | |
können) und der katholischen Eucharistiefeier mit der Hostie als dem Leib | |
Christi. | |
Wer wollte, konnte sich über die – lange her – alexandrinische und | |
antiochenische Bibelexegese in der Spätantike informieren oder – ganz | |
aktuell – einer Diskussion zum Krieg in der Ukraine stellen mit der | |
Politikwissenschaftlerin Gwendolyn Sasse, dem [2][Historiker Karl Schlögel] | |
und dem als einzigem Militärhistoriker Deutschlands längst | |
fernsehprominenten [3][Sönke Neitzel von der Uni Potsdam]. Die | |
verständigten sich erfrischend differenziert über die „Zeitenwende“ (muss | |
man erst sehen), Waffenlieferungen (klar doch) und „rote Linien“ (direkter | |
Eingriff der Nato, Habermas). Auch an den Philosophen Ernst Bloch wurde da | |
erinnert und sein Wissen, dass gerade die Gegenwart „das Dunkel des | |
gelebten Augenblicks“ ist. | |
Man weiß es nicht so genau: eine wissenschaftliche Erkenntnis, mit der man | |
getrost nach Hause gehen durfte. | |
30 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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