# taz.de -- Kinotipp der Woche für Berlin: Das Ringen um die Form | |
> Das Harun Farocki Institut präsentiert im Arsenal eine Ingemo | |
> Engström-Retrospektive. Auch Kollaborationen von Engström und Farocki | |
> werden gezeigt. | |
Bild: Szene aus „Dark Spring“ (1970), Engströms Abschlussfilm an der Hochs… | |
Hanns Zischler und Harun Farocki liegen in Berlin am Ufer eines Kanals. | |
Farocki doziert: „Ich habe jetzt einen Fall gefunden, der sehr einfach ist | |
und der die ganze, komplizierte Beziehung von Politik, Ökonomie und Technik | |
darstellt.“ | |
„Erzählen“, der Film, aus dem diese Szene stammt, hat Farocki 1975 zusammen | |
mit der Regisseurin Ingemo Engström gedreht. Im Rückblick schreibt Engström | |
über die gemeinsame Arbeit: „Farocki ist noch um 1975 an der Freien | |
Universität beim Suchen, wo die Linien zusammenfallen könnten. Ich selbst | |
bin auf der Spur in meinen Spielfilmen. Gedacht ist an Kombinationen, die | |
spontan und undogmatisch sich ergäben. Alles sollte Eingang finden können.“ | |
Entstanden ist ein Film mit Bildern von Kanälen und Fähren. Ein Film, der | |
Texte über das Erzählen kompiliert und sich so dem Erzählen im Film und dem | |
Übergang vom Dokumentarischen ins Fiktive nähert. Das beeindruckendste an | |
„Erzählen“ ist, wie offen und suchend der Film inmitten all des Dozierens | |
wirkt. | |
„Erzählen“ ist [1][Teil einer Retrospektive des Harun Farocki Instituts] im | |
Berliner [2][Kino Arsenal], die am Donnerstag beginnt. Die Reihe flankiert | |
die Filme Engströms mit filmhistorischen Bezügen wie Kenji Mizoguchi oder | |
Robert Bresson. | |
1967 beginnt Engström in München an der Hochschule für Film und Fernsehen | |
zu studieren. „Eine lang gespeicherte Sentimentalität beim Filmesehen | |
sollte verschwinden“, erinnert sich die Regisseurin an den Beginn ihres | |
Studiums. 1970 stellt sie ihren Abschlussfilm „Dark Spring“ fertig, der die | |
Retrospektive eröffnet. | |
Ein Suche nach einer Sprache für Frauen im Film. Nach dem Abschlussfilm | |
beginnt für Engström das Ringen um die Realisierung weiterer Projekte. | |
Nicht wenige entstehen in Kooperation mit ihrem Partner Gerhard Theuring. | |
Die zweite Arbeit, bei der Engström mit Farocki zusammenarbeitet ist | |
„Zwischen zwei Kriegen“, der nach langem Vorlauf 1978 fertig gestellt wird. | |
Der Film erzählt: „Eine Geschichte aus der Zeit zwischen den Kriegen, den | |
Geist der 20er Jahre nicht verfehlend.“ | |
## Bildbewusste Stummfilmreferenz | |
Weil Farocki Farocki ist, dreht er nach diesem Satz bildbewusst die | |
Schreibtischlampe, damit sie den Rauch seiner Zigarette ins rechte Licht | |
setze und Bilder beleuchte, die dem Stummfilm Referenz erweisen. | |
„Zwischen zwei Kriegen“ entfaltet ein Thema, das in der Szene am Kanal in | |
„Erzählen“ bereits anklingt: die industriellen Produktionsgrundlagen der | |
Nationalsozialisten. Er beginnt in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs | |
und zeichnet dann die 1920er Jahre hindurch eine Verselbständigung der | |
Bedürfnisse der deutschen Stahl- und Kohleindustrie nach. | |
Eine gesteigerte Effizienz der Produktion verlangt eine Sicherung des | |
Absatzes, auch um den Preis, dem NS zum Aufstieg zu verhelfen. Farocki hat | |
diese Zusammenhänge in dem Text „Das große Verbindungsrohr“ entwickelt, d… | |
er 1976 auch als Hörspiel adaptierte. Doch „Zwischen zwei Kriegen“ ist mehr | |
als ein Thesenfilm, er ist der Versuch, komplexe Zusammenhänge in einem | |
fiktionalen Plot zusammen zu bringen. | |
Beide Film verbindet eine Suche nach Wegen, die in den Jahren der | |
Entstehung wieder entdeckten Spuren der Linken der Weimarer Republik | |
einzuflechten. So recherchiert Engström in „Erzählen“ nach Spuren der | |
sowjetischen Schriftstellerin Larissa Reissner. Reissner verfasste unter | |
anderem einen Augenzeugenbericht des Hamburger Aufstands 1923. | |
Engströms Abschlussfilm „Dark Spring“ und ihre beiden Kooperationen mit | |
Farocki sind ein noch heute formal beeindruckendes Ringen um die Form im | |
Film. Gerade deshalb sind sie ein gelungener Einstieg in Engströms weiteres | |
filmisches Werk, das die Retrospektive entfaltet. | |
2 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/retrospektive-ingemo-engstroem/ | |
[2] https://www.arsenal-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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