| # taz.de -- CDU-Generalsekretär über Grundwerte: „Unser Ziel heißt Paritä… | |
| > Am Montag stellt die CDU ihre Grundwerte-Charta vor. Ein Gespräch mit | |
| > Generalsekretär Czaja über die Frauenquote und das christliche | |
| > Menschenbild. | |
| Bild: Setzt auf den einladenden Arm und nicht auf die Raute, CDU-Mann Mario Cza… | |
| taz: Herr Czaja, am Montag stellt die CDU ihre Grundwerte-Charta vor. | |
| Braucht die CDU ein neues Programm, weil nach 16 Jahren Merkel-Regierung | |
| nicht mehr klar ist, wofür sie steht? | |
| Mario Czaja: Angela Merkel war eine sehr erfolgreiche Bundeskanzlerin. Aber | |
| wahr ist, dass es uns in den letzten Jahren immer weniger gelungen ist, | |
| deutlich zu machen, wofür die CDU steht. Lassen Sie mich eine historische | |
| Parallele ziehen: Wie in den 70er Jahren unter Generalsekretär Kurt | |
| Biedenkopf schreiben wir jetzt ein Grundsatzprogramm nach langen | |
| Regierungsjahren in der Opposition. Wie damals erleben wir starke | |
| gesellschaftliche Umbrüche. Die CDU muss sich ihrer Positionen vergewissern | |
| und daraus ihre Politik ableiten. Wir stellen jetzt die Grundwerte-Charta | |
| vor den Programmprozess, sie soll den Rahmen bilden für die Arbeit daran. | |
| Für die SPD waren das Godesberger Programm und die Agenda 2010 Wegmarken. | |
| Für die CDU sind Programme weniger bedeutend, oder? | |
| Ich könnte jetzt das Ahlener Programm oder die Düsseldorfer Leitsätze | |
| anführen. Aber darum geht es nicht. Wir haben in der Opposition die | |
| Gelegenheit, Experimentierfeld für die großen gesellschaftlichen Debatten | |
| zu sein. Zum Beispiel: Wie bringen wir Ökonomie und Ökologie in einen | |
| fairen Ausgleich? Wie stabilisieren wir die sozialen Sicherungssysteme für | |
| die Zukunft in einer älter werdenden Gesellschaft? Wie gehen wir mit | |
| Vielfalt in der Gesellschaft um? Dafür müssen die unterschiedlichen | |
| Auffassungen, Überzeugungen und Forderungen innerhalb der Partei sichtbar | |
| sein und zur Sprache kommen. | |
| Diese Fragen stellen sich ja derzeit alle Parteien. Wenn die CDU weit | |
| auseinanderliegende Meinungen akzeptieren muss, wie soll dann das Profil | |
| geschärft werden? | |
| Wir wollen Meinungsvielfalt leben, in der Sache gern auch hart debattieren | |
| und am Ende zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. In der jüngeren | |
| Vergangenheit haben wir das zu wenig getan. Wir haben uns hinter | |
| Formelkompromissen versteckt und dadurch in Kauf genommen, dass man nicht | |
| mehr versteht, wofür wir stehen. Klar und unstrittig ist: Uns leitet das | |
| christliche Menschenbild. Wir wissen, dass wir nicht die letzten Antworten | |
| geben werden. Das macht uns frei von Ideologie. Und uns eint ein | |
| Fortschrittsglauben und ein Bekenntnis zur Vielfalt. Das hat uns auch | |
| historisch ausgezeichnet. Die CDU war 1949 sehr divers. Sie hat Katholiken | |
| und Protestanten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Menschen aus Nord- und | |
| Süddeutschland zusammengebracht und ihnen allen eine politische Heimat | |
| gegeben. An diese Tradition knüpfen wir an. Das ist die Kraft der | |
| Volkspartei. | |
| In der Grundwertecharta heißt es, die CDU wolle Menschen aller Geschlechter | |
| und Herkünfte, Generationen und Religionen zusammenführen. Mit der Realität | |
| hat das wenig zu tun. Ihr Durchschnittsmitglied ist 60+, weiß und männlich. | |
| Wie wollen Sie das ändern? | |
| Nach dem Bild der Raute, das uns lange geprägt hat, sollte es jetzt das | |
| Bild der einladenden Arme sein. Wir brauchen eine neue Willkommenskultur … | |
| Was heißt das konkret? | |
| Ich möchte, dass die CDU als Einladung verstanden wird. Dass wir viel | |
| stärker auch mit Menschen in den Dialog treten, die bislang unser Gehör zu | |
| wenig gefunden haben, etwa Menschen mit Migrationsgeschichte. Wir | |
| erarbeiten im Rahmen unseres Grundsatzprogrammprozesses dafür auch neue | |
| Dialogformate. | |
| Horst Seehofer hat Migration als Mutter aller Probleme bezeichnet. Die | |
| Skepsis bei vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte gegenüber der CDU | |
| sitzt tief. | |
| So ganz stimmt das nicht. In den letzten 20 Jahren haben wir unseren | |
| Stimmenanteil in der türkischstämmigen Bevölkerung von rund 10 auf fast 40 | |
| Prozent steigern können. Aber ich teile Ihre Einschätzung, dass wir das | |
| Bild einer offenen CDU nicht immer vermittelt haben. Das ist eine | |
| Herausforderung, die wir annehmen. | |
| Und wie setzen Sie das parteiintern durch? | |
| Die CDU ist weiter, als viele denken. Klar ist, dass wir ein | |
| Zuwanderungsland sind. Das bedeutet, dass wir diese Zuwanderung klug | |
| gestalten müssen. Wir müssen aber auch die Probleme, die mit der Migration | |
| einhergehen, klar ansprechen, Sorgen ernst nehmen. Vielfalt bedeutet aber | |
| auch, dass wir bei der Frage der Gleichberechtigung von Männern und Frauen | |
| auf dem nächsten Parteitag den Weg hin zur Parität beschließen. | |
| Die Frauenquote kommt also? | |
| Die Vorschläge der Struktur- und Satzungskommission sind bereits zweimal im | |
| Bundesvorstand als Vorlage für den Parteitag beschlossen worden. Unser Ziel | |
| heißt Parität. | |
| Was sagt Ihr Parteichef, Herr Merz, dazu? Der ja bislang die Quote stets | |
| als zweitbestes Mittel bezeichnet hat. | |
| Da hat er völlig recht, am allerbesten wäre es, wir bräuchten keine Quote. | |
| Aber es sind bislang kaum Fortschritte erzielt worden. Daher unterstütze | |
| ich Friedrich Merz dabei, die Vorschläge der Struktur- und | |
| Satzungskommission auf dem Parteitag einzubringen. | |
| Heißt also, Friedrich Merz unterstützt die Quote auch? | |
| Friedrich Merz unterstützt, dass wir in der CDU zu einem gleichberechtigten | |
| Verhältnis von Frauen und Männern kommen. | |
| Im Netz poltern schon CDU-Rechte, weil die CDU-Niedersachsen ihre Liste „im | |
| Reißverschlussverfahren“ aufgestellt hat. Wie soll Friedrich Merz die Quote | |
| seinem Kernklientel beibiegen? | |
| Unser gemeinsames Ziel ist es, mehr Frauen in unserer Partei und in | |
| Führungspositionen zu haben. Es ist unsere gemeinsame Führungsaufgabe, | |
| diesem Ziel den Weg zu bereiten. | |
| In der Charta werden die drei Wurzeln der CDU betont – das Soziale, das | |
| Liberale und das Konservative. Das Soziale ist ziemlich ins Hintertreffen | |
| geraten. Die Union will jetzt den Widerstand gegen den Mindestlohn von 12 | |
| Euro aufgeben … | |
| Die CDU hat keinen Widerstand gegen den Mindestlohn geleistet … | |
| Oh doch. | |
| Erstens: Er ist in der Regierungszeit von Angela Merkel eingeführt worden. | |
| Zweitens: Das Präsidium ist für 12 Euro Mindestlohn. Wir sind aber | |
| weiterhin der Auffassung, dass man die Lohnfindung den unabhängigen | |
| Tarifpartnern überlässt und sie nicht zum parteipolitischen Spielball | |
| macht. | |
| Erfreulich, dass die Union ihren ziemlich langlebigen Widerstand gegen den | |
| Mindestlohn aufgibt. Aber reicht das? In den 70er Jahren haben Biedenkopf | |
| und Heiner Geißler versucht, die neue soziale Frage zu beantworten. Wo ist | |
| heute der eigene Akzent der CDU? | |
| Prioritär sind für uns der Kampf gegen Kinderarmut, die Verbesserung der | |
| Situation pflegender Angehöriger und die Forderung, dass mehr Netto vom | |
| Brutto übrig bleiben muss. In meinem Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf sind | |
| 20 Prozent der Arbeitnehmer auf Lohnergänzungsleistungen angewiesen, sie | |
| haben häufig mehrere Kinder oder sind alleinerziehend. Wenn man von seiner | |
| eigenen Hände Arbeit nicht mehr leben kann, dann hat das mit unserem | |
| Verständnis von christlicher Sozialpolitik nichts zu tun. Vor allem die | |
| Wohnkosten sind das Problem. Eigentum zu stärken ist deshalb wichtig, auch | |
| durch die Förderung des Genossenschaftsgedankens. | |
| Sie sind Sozialpolitiker und Mitglied in der CDA, dem Sozialflügel der CDU. | |
| Der ist in Partei und Fraktion in einer schwachen Position. Muss sich das | |
| ändern? | |
| Die CDA ist nicht schwach, im Gegenteil, sie hat große Reputation und | |
| Gewicht in unseren Reihen. Auch und gerade vor dem Hintergrund der | |
| aktuellen Situation ist uns klar: Als Partei und als Gesellschaft müssen | |
| wir den sozialen Fragen dringend mehr Aufmerksamkeit widmen. | |
| Ihre Charta macht direkte rhetorische Anleihen bei der Linken. „Partei der | |
| vielen, nicht Vertreter einzelner Interessen“, heißt es. Das hat Jeremy | |
| Corbyn („for the many, not the few“) ähnlich formuliert. War Ihnen das | |
| bewusst? | |
| Nein. Aber was Sie aus dem Programm herauslesen, finde ich interessant. | |
| In der Grundrechtecharta steht auch, die CDU will eine Volkspartei der | |
| Mitte sein. Wo ist die Grenze? | |
| Jede Form von menschenverachtenden und extremistischen Positionen. | |
| Ist Hans-Georg Maaßen noch innerhalb dieser Grenze? | |
| Unter 380.000 Mitgliedern muss man manches aushalten können. Wenn die | |
| Grenze zum Extremistischen überschritten wird, endet die Mitgliedschaft in | |
| der CDU. | |
| Soll und kann die Union AfD-Wähler erreichen? | |
| Ich halte es für falsch, Menschen sehr früh abzuschreiben, weil sie mal die | |
| AfD gewählt haben. Ich habe in meinem Wahlkreis Wähler von der AfD | |
| zurückgewonnen. Es darf nicht normal sein, dass 10 bis 15 Prozent in der | |
| Gesellschaft sich nicht mitgenommen fühlen angesichts von Globalisierung, | |
| Digitalisierung, Zuwanderung. | |
| In der Partei hört man, Sie würden als Generalsekretär zu wenig | |
| attackieren. Sie wurden bereits mit Linda Teuteberg verglichen, der | |
| Ex-Generalsekretärin der FDP, die Christian Lindner rausgeworfen hat. | |
| Teuteberg war auch aus dem Osten und hat auf Ausgleich gesetzt – wie Sie. | |
| Ich werde mich nicht verbiegen und in ein starres und überholtes Schema | |
| pressen lassen. Als Generalsekretär hat man die Aufgabe, Politik zu | |
| erklären. Im Übrigen liegt die CDU nach rund 100 Tagen Parteivorsitz von | |
| Friedrich Merz und mir als Generalsekretär in den Meinungsumfragen vorn, | |
| wir haben zwei wichtige Landtagswahlen gewonnen. Ich glaube, alle weiteren | |
| Fragen erübrigen sich. | |
| 26 May 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Stefan Reinecke | |
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