# taz.de -- Protesttermine in Berlin: Die Politik der Sichtbarkeit | |
> Aufgabe sozialer Bewegungen ist es, sichtbar zu machen, worüber die | |
> Herrschenden lieber schweigen. Ob in Rojava, an den EU-Grenzen oder in | |
> der Pflege. | |
Bild: Obwohl es kaum noch Beachtung findet, geht das Sterben auf dem Mittelmeer… | |
Sichtbarkeit in gesellschaftlichen Diskursen ist eng mit Macht und | |
Herrschaft verknüpft. Erst wenn über Konflikte und Ungerechtigkeiten | |
geredet wird, rücken sie ins öffentliche Bewusstsein. Dieses Bewusstsein | |
ist wiederum die Grundvorraussetzung für Widerstand und Veränderung. Für | |
die Herrschenden bedeutet diese Logik wiederum, Ausbeutung, Krieg und | |
Umweltzerstörung möglichst unsichtbar zu machen. | |
Putin zum Beispiel ist ein Meister dieser Strategie. [1][Ihm gelingt es | |
selbst einen desaströsen Angriffskrieg als „militärische Spezialoperation“ | |
zu verkaufen,] welche die Menschen in Russland gekonnt verdrängen – der | |
Krieg wird unsichtbar gemacht. | |
Dementsprechend ist es eine Kernaufgabe für soziale Bewegungen und | |
Aktivist*innen, vielbeschwiegende Konflikte und Probleme immer wieder in | |
den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. So finden die seit [2][einigen | |
Wochen andauernden Angriffe der Türkei auf kurdische und jessidische | |
Gebiete in Nordirak] in der deutschen Öffentlichtkeit kaum Beachtung. | |
Während kurdische Milizen 2015 noch für ihren Widerstand gegen den | |
Islamischen Staat gefeiert wurden, sind sie nun weitgehend von der | |
Weltgemeinschaft vergessen und ohne Unterstützung den türkischen | |
Großmachtsambitionen ausgeliefert. | |
Der Aggressor ist in diesem Fall ein NATO-Partner, mit dem die | |
Bundesregierung immer noch ein moralisch höchst fragwürdiges | |
Flüchtlingsabkommen am Laufen hat. Also lässt der deutsche Staat Erdogan | |
mal wieder kritiklos gewähren. Um dem Schweigen etwas entgegenzusetzen, | |
[3][ruft ein Zusammenschluss aus mehreren kurdischen Gruppen am Samstag zu | |
einer bundesweiten Demo auf] (Samstag, 14. Mai, Potsdamer Platz, 11 Uhr). | |
## Unsichtbarer Tod an den Grenzen | |
Ähnlich vergessen wie der Krieg in Nordirak und Syrien ist die desaströse | |
Situation an Europas Außengrenzen. [4][Weiterhin ertrinken hunderte | |
Menschen im Mittelmeer], werden unter menschenunwürdigen Bedingungen in | |
Lagern festgehalten oder harren in notdürftigen Camps an der Grenze aus. So | |
stecken an der Belarussisch-Polnischen Grenze weiterhin Menschen fest, | |
Helfende werden kriminalisiert und journalistische Arbeit verhindert – | |
mittlerweile sollen mehr als 30 Menschen an der Grenze gestorben sein. | |
Die im Gegensatz unproblematische Aufnahme von hundertausenden, aus der | |
Ukraine fliehenden Menschen verdeutlicht, dass Tod und Leid Kernpfeiler | |
eines europäischen Grenzregimes sind, dass gezielt auf Abschreckung setzt. | |
Um diese allzuoft verdrängten Zustände wieder sichtbar zu machen, ruft das | |
Demobündnis [5][“Fight Fortress Europe“ zu einer internationalen Demo in | |
Frankfurt Oder] auf (Samstag, 14. Mai, Frankfurt (Oder), 12 Uhr; Gemeinsame | |
Anreise ab Ostkreuz, 10.39 Uhr). | |
Um mehr Sichtbarkeit geht es auch am Donnerstag, dem Internationalen Tag | |
der Pflege. Während sich die Situation der Pflegekräfte durch | |
Privatisierung und neoliberale Sparmaßnahmen schon seit Jahren | |
verschlechterte, verschlimmerte die Corona-Pandemie die Situation enorm: | |
Personalmangel, massive Überarbeitung und geringe Entlohnung. Zulange wurde | |
ein funktionierendes Gesundheitssystem als gegeben hingenommen, während | |
Krankenhausbetreiber*innen ihre Profite auf Kosten der | |
Pfleger*innen maximierten. | |
[6][Die Krankenhausbewegung] konnte im vergangenen Jahr erfolgreich für | |
höhere Löhne kämpfen, dennoch bleibt viel zu tun. [7][Die | |
Pfleger*innenvereinigung Walk of Care] veranstaltet deshalb eine | |
gleichnamige Demonstration (Donnerstag, 12. Mai, Invalidenpark, 16 Uhr). | |
## Kinder auf die Straße | |
Eine weitere Gruppe, deren interessen nur allzu gerne vergessen werden, | |
sind Kinder. Besonders deutlich zeigt sich dieser Umstand in der | |
Verkehrsinfrastruktur, die für zufußgehende oder radfahrrende Kinder oft | |
viel zu gefährlich ist. Dabei haben auch sie ein Recht, sich sicher durch | |
die Stadt zu bewegen. Der Schlüssel für eine kinderfreundlichere | |
Verkehrsinfrastruktur ist eine Abkehr von Autos, welche unnötig viel Platz | |
wegnehmen und mit Abstand die meisten Verkehrstoten fordern. | |
Diese Vision wollen will die Initiative [8][“Kinder auf Rad]“ schonmal am | |
Wochenende erproben. Mit zahlreichen „Kidical Mass“ genannten | |
Fahrraddemonstrationen, wollen sie Kindern ermöglichen Verkehrsraum für | |
sich zu beanspruchen. Am Samstag und Sonntag findet in fast jedem Bezirk | |
eine eigene Demo statt, Erwachsene sind dabei auch willkommen (Samstag & | |
Sonntag, 14. & 15. Mai, [9][genaue Startzeiten und Abfahrtsorte finden sich | |
auf der Website des ADFC Berlins]). | |
9 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Russlands-Mediensystem/!5850570 | |
[2] /Kaempfe-im-Nordirak/!5849091 | |
[3] https://defend-kurdistan.com/current-news/defend-kurdistan-demo-14-mai/ | |
[4] /Katastrophe-im-Mittelmeer/!5763327 | |
[5] https://noborderassembly.blackblogs.org/de/internationale-demonstration-am-… | |
[6] /Berliner-Krankenhausbewegung/!5807315 | |
[7] https://www.instagram.com/walkofcare/ | |
[8] https://kinderaufsrad.org/ | |
[9] https://adfc-berlin.de/aktiv-werden/bei-demonstrationen/1124-kidical-mass.h… | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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