# taz.de -- Wasser und Kunst: Wettkampfloses Kräftemessen | |
> In Klaus Rinkes Performances der 1960er und 1970er Jahre, derzeit zu | |
> sehen in der Berliner „Fahrbereitschaft“, tritt der Mensch gegen die | |
> Natur an. | |
Bild: Der Eimer, die alte Luftmatratze und Klaus Rinke in Aktion in der Ausstel… | |
Bei manchen Sätzen muss Klaus Rinke über sich selbst schmunzeln. Etwa wenn | |
er, wie angeblich auch schon Julius Caesar, großspurig in dritter Person | |
von sich selbst spricht: „Ich glaube an Klaus Rinke, solange ich lebe“, | |
sagte er etwa bei der Eröffnung der eigenen Ausstellung „Wasserwerk Rinke“ | |
in der Fahrbereitschaft. Was manchen als eitle Selbstdarstellung missfällt, | |
ist bei Rinke Teil des künstlerischen Konzepts. | |
Ohne den ständigen Bezug auf die eigene Person und ihre Geschichte kommt | |
sein Werk kaum aus: 1939 wird er in Wattenscheid als Sohn eines | |
Eisenbahners und einer Verkäuferin geboren. Rinke erzählt von den | |
Bahnschienen, an denen er aufwuchs, und von den leuchtenden Bahnhofsuhren, | |
die für ihn wie Monde waren. Die proletarische Herkunft, die | |
Allgegenwärtigkeit schwerer, manueller Tätigkeit und die zeitlich getaktete | |
Arbeit prägen auch die Ausstellung in der Fahrbereitschaft. | |
[1][Rinke gilt als Universalkünstler], arbeitete mit Malerei, Zeichnung, | |
Fotografie, Film, war Professor für Bildhauerei in Düsseldorf und gehörte | |
neben [2][Sigmar Polke] oder Joseph Beuys zu den Identifikationsfiguren der | |
westdeutschen Nachkriegskunst. | |
Die Objekte der Ausstellung im Berliner Stadtteil Lichtenberg dokumentieren | |
vor allem seine Performances und Aktionen der 1960er und 70er Jahre, die | |
sich mit Wasser beschäftigen. So wird auch ein WDR-Bericht von „Zwölf Fass | |
geschöpftes Rheinwasser“ gezeigt, womit Rinke 1969 international bekannt | |
wurde. In den Aufnahmen rackert sich der breitgebaute Rinke am Rheinstrom | |
ab und schöpft mit schwerer Kelle an zwölf Stellen jeweils 60 Liter Wasser | |
aus dem Fluss. | |
## Raum, Masse, Schwerkraft | |
Eine Ursprünglichkeit des Wassers, die Beziehung von Körper, Zeit, Raum, | |
Masse und Schwerkraft interessierten ihn damals. Heute provoziert sein Werk | |
mit einer ungewöhnlichen Stellung des Künstlers zur Natur. | |
Während bis in die 1990er Jahre der Topos der Naturbeherrschung dominierte | |
und die Annahme galt, dass die Menschheit durch gesteigerte Produktivität | |
ihrer Natürlichkeit, ihrer Abhängigkeit von Lebensmitteln, Jahreszeiten und | |
ihrer natürlichen Umgebung entfliehen könnte, herrscht heute eine dem | |
entgegengesetzte Wahrnehmung. Das Bewusstsein für die Erderwärmung und die | |
Endlichkeit natürlicher Ressourcen haben zu einer demütigen Haltung | |
motiviert. | |
Statt in der Beherrschung der Natur glaubt die Menschheit nun in der | |
Unterwerfung gegenüber ihr einen Ausweg aus dem Konflikt mit ihr zu finden. | |
(Selbst-)Begrenzung des Menschen scheint das Gebot der Stunde. | |
Weitestgehend unbemerkt ist die vorherrschende Ansicht so vom einen ins | |
andere Extrem umgeschlagen – ohne dass sich der grundsätzliche Kampf von | |
Mensch und Natur gelöst hätte. | |
## Schnee im Schwarzwald | |
Bei Rinke gestaltet sich das Verhältnis anders. Die Kräfte des Wassers sind | |
in seinen Arbeiten etwas, dem die menschliche Technik nicht unterlegen ist: | |
Ein Video der Aktion „Eine Stunde kreative Dienstleistung = 4000 Liter | |
Schmelzwasser“ aus dem Jahr 1979 zeigt ihn im Schwarzwald, wie er exakt | |
eine Stunde lang Schnee in Tonnen schaufelt, um es anschließend mit Feuer | |
in Wasser zu verwandeln. | |
Demgegenüber hängen Fotografien vom Meer, die hier eingefasst sind in | |
zusammengeschweißte Rahmen aus grobem Metall. In seiner Arbeit „Ein Fass | |
geschöpftes Mittelmeer“ lässt sich durch eine Plexiglashülle die | |
Aggressivität von Salzwasser beobachten, das sein ursprüngliches Behältnis, | |
ein Stahlfass, Stück für Stück zersetzt. | |
An der Wand des Ausstellungsraumes hängt sein überdimensionaler „Begehbarer | |
Wassersack“, der schon durch seine schwerfällige, industrielle Erscheinung | |
die Fähigkeit verkörpert, ganze Massen von Wasser in sich aufzunehmen. Eine | |
Installationsarbeit namens „Kulturpeitsche“ (1984) auf dem Außengelände | |
lässt Wasser aus einem Hydranten durch ein kurzes Schlauchstück in die | |
Lüfte spritzen und zeigt die Naturgewalt dabei gleichzeitig ungezähmt wie | |
auch durch den Menschen geformt. | |
Ausgestellt sind außerdem zahlreiche metallene Eimer und Tonnen, die Rinke | |
in seiner Arbeit mit dem Wasser unterstützten, sowie die schwere Kelle, mit | |
der er das Rheinwasser schöpfte. | |
## Kräftemessen mit der Natur | |
Sein Werk gemahnt an ein utopisches Potenzial: In seinen Wasser-Aktionen | |
tritt der Mensch gegen die Natur an, ohne sie zu beherrschen oder sich | |
ihrem Rhythmus zu ergeben. Das Kräftemessen kennt keinen Verlierer. Statt | |
einander „im Einklang“ gleich zu werden, bleiben sie unterschiedlich, | |
dissonant und trotzdem versöhnlich. | |
Rinkes Kunst beugt sich nicht den realistischen Fragestellungen, die sich | |
um den Umgang mit Klima und Natur im Zeitalter von Hochindustrialisierung | |
und Klimawandel drehen. Genau durch diese Weigerung erfüllt Kunst die ihr | |
eigene Möglichkeit und lenkt den Blick auf utopische Alternativen. | |
19 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Schroeder | |
Jonas Nestroy | |
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