# taz.de -- Klimaschutz und die Bahn: Tempolimit für die Bahn | |
> Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht automatisch Klimaschutz. Nötig | |
> ist ein Paradigmenwechsel. | |
Bild: Hochgeschwindigkeitszüge haben eine schlechte Klimabilanz | |
Eins scheint bei Umweltbewegten bis in die Klimawissenschaft hinein | |
festzustehen: „Bahn ist ökologisch!“ Da klingt es gerade in diesen Zeiten | |
gut, dass die DB 2022 die Rekordsumme von 13,6 Milliarden Euro, 900 | |
Millionen mehr als im Vorjahr, in Bahnhöfe und Infrastruktur investiert. | |
Wofür genau – erst mal unwichtig. Endlich mal gute Nachrichten von der | |
Bahn: neue Hochgeschwindigkeitszüge und Trassen, die den Flugverkehr | |
unattraktiv machen sollen, Überwindung von Zeit und Raum mit Rennstrecken, | |
Bahnhofsbauten für den Deutschlandtakt, spektakulären Brücken- und | |
Tunnelprojekten. | |
Mehr Geld für die Schiene gleich mehr Klimaschutz! Diese Gleichung geht nur | |
auf, wenn man in der Klimabilanz der Bahn all das ausblendet, was bei | |
anderen Themen einzurechnen meist Standard, zumindest aber bekannt ist. | |
Nämlich die Modi der Nutzung, die den unmittelbaren Energieverbrauch | |
bestimmen, und die „graue Energie“, das heißt der Energieaufwand und | |
Klimabelastungen aus Vorprodukten, zurückgehend bis zur Rohstoffgewinnung. | |
Bei jedem Staubsauger gibt es Energieeffizienzklassen, angesichts des | |
explodierenden Einsatzes von Mikrochips und Batterien wird über die | |
problematische Gewinnung von Lithium und Kobalt diskutiert. Bei jedem Auto | |
weiß man, dass der Verbrauch, ob Benzin oder Strom, abhängt von seinem | |
Gewicht, der gefahrenen Geschwindigkeit, und dass bei gleichen Tempi | |
weniger verbraucht wird als bei ständigem Bremsen und Beschleunigen. | |
Auto ist also nicht gleich Auto, aber Bahn ist gleich Bahn und immer | |
klimafreundlich? Physikalische Basics gelten aber auch bei der Bahn. Bei | |
einer geilen Tempo-300-Sause verdreifacht sich der Energiebedarf | |
beziehungsweise THG-Ausstoß pro Kilometer gegenüber 160 km/h. Auf | |
Extremgeschwindigkeiten ausgelegte Züge müssen schwerer gebaut werden, | |
gewichtsbedingt daher höherer Energieaufwand bei Bau und Betrieb sowie | |
signifikant höherer Verschleiß von Gleisen und Gleisbett. | |
Tunneldurchfahrten sind energieaufwendiger als Fahrten auf offenem Gelände. | |
Immens der Energieaufwand eines voll besetzten, fast 1.000 Tonnen schweren | |
ICE4 beim Beschleunigen auf seine Höchstgeschwindigkeit. | |
Eine [1][Studie im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung errechnet, dass | |
der CO2-Ausstoß] für den Bau der 30 Tunnel zwischen Köln und Frankfurt bei | |
mehr als 850.000 Tonnen liegt. Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht | |
automatisch mehr Klimaschutz. Nötig ist ein Paradigmenwechsel weg von der | |
Beton- und Hochgeschwindigkeitsbahn. | |
Der Verkehrswissenschaftler Karlheinz Rößler hat Ähnliches für die in | |
Stuttgart geplanten sogenannten Ergänzungsprojekte ermittelt. Von den | |
Projektgegner*innen als „zweites Stuttgart 21“ kritisiert, sollen mit | |
weiteren 47 Kilometern Tunnel inklusive einem zusätzlichen unterirdischen | |
Kopfbahnhof die immer deutlicher zutage tretenden Defizite von Stuttgart 21 | |
behoben werden. | |
Der Bau allein der geplanten Tunnelstrecken erfordert fast 3,5 Millionen | |
Tonnen Material, im Wesentlichen Stahlbeton für die Tunnelwände, -böden und | |
-decken. In der Klimawährung ausgedrückt: zusätzliche 730.000 Tonnen | |
Treibhausgase, vor allem CO2! Je aufwendiger das Projekt, umso geringer der | |
Klimagewinn. | |
Ähnlich verheerende Klimabilanzen dürften die vielen bundesweit geplanten | |
Großprojekte der DB aufweisen, wie die Verlegung des Bahnhofs | |
Hamburg-Altona, der Nord-Zulauftunnel zum Brenner-Basistunnel, der | |
Fehmarnbelt-Tunnel durch die Ostsee, der Fernbahntunnel in Frankfurt am | |
Main, der zweite S-Bahn-Tunnel in München. | |
Zu all diesen Vorhaben gibt es Bürgerinitiativen, die klimaverträglichere | |
Alternativen entwickelt haben. In Stuttgart zum Beispiel das | |
Konversionsprojekt Umstieg 21. Eine ehrliche Klimabilanz würde zeigen, dass | |
der gefahrene Personenkilometer mit dem Auto oder dem Flugzeug weniger | |
klimabelastend ist als ein Kilometer Zugfahrt in diesen Tunnel- und | |
Hochgeschwindigkeitswelten. | |
Auf jeden Fall verkleinert diese anachronistische Ausbaustrategie den | |
klimapolitischen Systemvorsprung der Schiene gegenüber den Verkehrsträgern | |
Auto und Flugzeug, die ja mit der Verkehrswende zurückgedrängt werden | |
sollen. | |
Die [2][Alternative heißt Klimabahn] und meint einen bahnpolitischen | |
Paradigmenwechsel, entwickelt von 19 namhaften Bahnexperten und Politikern, | |
darunter der ehemalige DB-Manager Prof. Karl-Dieter Bodack, der frühere | |
nordrhein-westfälische Verkehrsminister Christoph Zöpel (SPD), die | |
Verkehrs- und Stadtplanungsprofessoren Christian Holz-Rau (TU Dortmund), | |
Helmut Holzapfel (Uni Kassel) und Hermann Knoflacher (TU Wien), der | |
Sprecher des Bündnisses „Bahn für Alle“, Bernhard Knierim, der | |
Naturfreunde-Vorsitzende Michael Müller sowie der Bahnexperte und Publizist | |
Winfried Wolf. | |
Mit weitgehenderen und vor allem schnelleren Kapazitätserweiterungen soll | |
die Attraktivität des Bahnfahrens so verbessert werden, dass bis 2030 eine | |
Verdreifachung der Personenbeförderung per Bahn und ein deutlicher | |
Verlagerungseffekt des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene möglich | |
wird. Kern des Konzepts ist die Verflüssigung des Bahnverkehrs auf einem | |
hohen mittleren Durchschnittstempo, das Fern-, Regional- und Güterverkehr | |
integrieren und zulasten der Straße stärken würde. | |
[3][Aufgeräumt werden muss auch mit der Denke, die Bahn müsse vor allem den | |
Kurzstreckenflugverkehr niederringen], woraus sich dann die Fixierung auf | |
die Hochgeschwindigkeitsbahn ableitet. Das Verlagerungspotenzial ist aber | |
im Bereich unter 300 Entfernungskilometern zehnmal so hoch wie zwischen 300 | |
und 800 Kilometern. Die Konkurrenz ist also das Auto. | |
Schnelle und ästhetisch beeindruckende ICEs soll und muss es weiter geben. | |
Statt sich disruptiv auf den Flächenbahnbetrieb auszuwirken, müssen sie | |
aber in ein Konzept harmonisierter Geschwindigkeiten eingebunden werden, | |
damit die Verkehrsverlagerung gelingen kann. | |
16 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hendrik Auhagen | |
Werner Sauerborn | |
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