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# taz.de -- Klage gegen Polizei Berlin: Eskalierter Einsatz hat Nachspiel
> Ein Antifa-Bündnis klagt gegen einen mutmaßlich rechtswidrigen
> Polizeieinsatz. Auf Seiten der Polizei mittendrin: Der SPD-Abgeordnete
> Tom Schreiber.
Bild: Im Juni 2021 gab es an zwei Tagen Protest gegen die AfD. Als es eskaliert…
Berlin taz | Ein eskalierter Einsatz bei einer antifaschistischen Demo im
Juni 2021 hat ein Nachspiel für die Polizei Berlin. Eine Kanzlei hat am
Mittwoch im Auftrag Betroffener von aus ihrer Sicht unverhältnismäßiger
Polizeigewalt Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Mit der
Feststellungsklage will der Versammlungsleiter die Rechtswidrigkeit des
Einsatzes feststellen lassen.
Die Kundgebung vom 6. Juni 2021 in Berlin-Biesdorf veranstaltete das
Bündnis „Kein Raum der AfD“ als Gegendemo zum dortigen Parteitag der extrem
rechten AfD. Es sollen rund 30 bis 50 Protestierende vor Ort gewesen sein,
insgesamt eine eher übersichtliche Lage in einem mit Gittern eingezäunten
Demo-Areal. Dennoch habe die Polizei nach einer Beleidigung mehrfach in
Gruppenstärke die friedliche Versammlung gestürmt, Unbeteiligte angegriffen
und Festgenommene misshandelt, die anschließend im Krankenhaus hätten
versorgt werden müssen, wie es in einer [1][Pressemitteilung des Bündnisses
heißt]. Die Versammlung sei anschließend vom Anmelder abgebrochen worden.
Besonders bemerkenswert: Der Berliner SPD-Abgeordnete und
Sicherheitspolitiker Tom Schreiber begleitete nicht nur den Polizeieinsatz,
sondern war auch gewissermaßen dessen Auslöser. Der wegen seiner Haltung
zur teilbesetzten Rigaer Straße 94 in der linken Szene eher unbeliebte
Sicherheitspolitiker hospitierte an diesem Tag bei der 11.
Einsatzhundertschaft, der ebenfalls ein gewisser Ruf in der linken Szene
vorauseilt. Während der Kundgebung kam es Beteiligten zufolge zu
Beleidigungen gegen Schreiber. Überliefert ist [2][„Tom du Lauch“].
Schreiber schrieb [3][in seinem Blog] demgegenüber auch von „lautstarken,
persönlichen“ und „nicht zitierfähigen“ Beleidigungen. Dies hätten fü…
eine Grenze überschritten, weshalb er auf Nachfrage der Polizei auf eine
Anzeige bestand.
Was folgte, beschreibt ein Teilnehmer in der Mitteilung so: „Wir saßen
friedlich auf der Kundgebung als auf einmal mehrere Gruppen
Polizist:innen auf uns zugerannt kamen. Ohne Kommentar stießen sie uns
um und schleiften Menschen brutal mit. Eine Person verlor unter den
Schlägen der Polizei das Bewusstsein.“
## Von Deeskalation nichts zu erkennen
Tatsächlich wurde die Polizei nicht gerade deeskalativ tätig: Das belegen
der taz vorliegende Videos vom Polizeieinsatz. In einer Aufnahme wird eine
Frau von zwei Polizist*innen vom Kundgebungsgelände geführt, begleitet
von sechs weiteren Polizist*innen. Einer der begleitenden Beamten schubst
augenscheinlich grundlos einen friedlich daneben stehenden Mann, reißt ihn
im Anschluss zu Boden und nimmt ihn mit weiteren herbeieilenden anderen
Polizisten fest.
Andere Demo-Teilnehmer*innen, die sich über die brutale Szene beschweren,
werden daraufhin ebenfalls zu Boden gerissen, weg geschubst und mit
martialischen Gesten bedroht. Eine Frau fällt mit dem Hinterkopf auf den
Asphalt, nachdem sie von einem Polizisten weg gestoßen wurde. Als sie
sichtlich benommen zwischen den Einsatzkräften liegt, schleifen diese sie
einige Meter weg, und führen sie im Anschluss halbaufgerichtet ab. Einem
anderen Teilnehmer greifen die Polizisten von hinten ins Gesicht und
drücken ihn zu Boden gedrückt, woraufhin mehrere Beamte auf ihm knien.
Getan hatte er vorher nichts in dem Video ersichtliches.
Die Demoteilnehmenden sehen dabei eher nach Festivalgänger*innen als
denn Schwarzer Block aus, tragen kurze Hosen, knappe Tops, bunte T-Shirts,
sind teilweise sogar barfuß unterwegs. Eine Demonstrantin hat einen
Kinderwagen dabei. Als die Polizei eskaliert, schlagen einige geschockt die
Hände überm Kopf zusammen ob des martialischen Einsatzes der
Polizist*innen.
In einer anderen Szene sitzen fünf Teilnehmende unbeteiligt und friedlich
auf dem Bürgersteig, drehen teils Zigarette oder trinken Mate. Eine Gruppe
Polizist*innen marschiert zu ihnen, zerrt einen im Mann im
Schneidersitz hoch und drückt dabei eine Frau zu Boden, die noch versucht,
ihren Sitznachbar festzuhalten. Während die Beamten den Mann abführen, ruft
die Frau, was denn „die Scheiße“ solle – er habe doch nichts gemacht.
## Schubsen, Schlagen, Stoßen
Die Polizist*innen quittieren das mit Schubsen, einer ruft: „Geh weg
jetze, mann!“ Während die Frau tatsächlich weg geht und dabei noch mehrfach
aufgebracht „Was soll das?“ ruft, geht ihr ein großer und stämmiger
Polizist hinterher und greift sie von hinten per Würgegriff an Kopf und
Achsel, schleift sie in dem Griff brutal weg. Die barfüßige Frau wird dabei
auch mit den Füßen über Asphalt geschleift. Eine weitere Frau, die sich
über die Festnahme mokiert, wird von seinem Kollegen zu Boden gestoßen und
bekommt einen Schlag mit der flachen Hand auf den Nacken.
Das eskalative Vorgehen der Polizei wiegt besonders schwer angesichts des
von Rot-Rot-Grün 2020 reformierten [4][Berliner Versammlungsgesetzes], das
ein Deeskalationsgebot als Strategie für die Polizei festgeschrieben hat.
Tim Reiche, Sprecher des Bündnisses erklärte: „Das Vorgehen der Berliner
Polizei zeigt, dass auch ein sogenanntes Versammlungsfreiheitsgesetz die
Versammlungsfreiheit in der Praxis nicht garantiert.“ Es sei zudem nicht
das erste Mal gewesen, dass die 11. Einsatzhundertschaft Gewalt gegen
Teilnehmende von linken Versammlungen ausgeübt hätte.
Der Versammlungsleiter und jetzige Kläger löste die Demo danach auf, weil
er die Sicherheit der Teilnehmer*innen nicht mehr gewährleisten konnte,
wie es in einer Pressemitteilung der beauftragten [5][Kanzlei dka] heißt.
Eingereicht haben die Klage die Rechtsanwält*innen Anna Gilsbach und
Peer Stolle. Sie schreiben, dass die Polizei Identitätsfeststellung im Zuge
einer Beleidigung auch einfach beim Verlassen der Kundgebung hätte
durchführen können, schließlich sei das Versammlungsgelände durch Gitter
abgesperrt gewesen und die zwei Zugänge von der Polizei kontrolliert.
Mehrfache Versuche des Klägers, die Polizeiführung anzuhalten, „Störungen
zu unterbinden“, seien erfolglos geblieben. Ebenso sei die Demo anlasslos
abgefilmt worden.
„Für die Feststellung der Identität hätte es ausgereicht, sich den
Personalausweis zeigen zu lassen“, sagte Stolle. Der Fall zeige, dass die
Versprechungen aus dem neuen Versammlungsgesetz nicht eingelöst würden.
„Niemand darf damit rechnen müssen, allein aufgrund der Teilnahme an einer
friedlichen Versammlung von der Polizei geschubst und geschlagen zu
werden“, so Stolle. Seine Kollegin Gilsbach sagte: „Wir werten den
Polizeieinsatz in seiner Gesamtheit als rechtswidrigen Eingriff in die
Versammlungsfreiheit.“
## Kritik an Tom Schreiber
Die Polizei und Tom Schreiber antworteten bislang nicht auf taz-Anfrage.
Nach seinem damaligen Einsatz hatte der SPD-Abgeordnete allerdings nichts
am Einsatz zu beanstanden. Er schrieb damals auf seinem Blog, es sei „zu
Widerstandshandlungen von Teilnehmer:innen der Versammlung sowie
gezielte Störaktionen bei dem Versuch der Identitätsfeststellung“ gekommen.
Opfer ist neben ihm selbst die Polizei gewesen, wie Schreiber schrieb:
„Dies konnte jedoch unterbunden werden, doch leider kam es hierbei auch zu
Angriffen auf Polizeibeamt:innen.“
Das Demo-Bündnis geht insbesondere mit Schreiber hart ins Gericht. Sprecher
Reiche erklärte: „Die Rolle von Tom Schreiber bei dieser gewalttätigen
Eskalation finden wir einfach nur widerwärtig. Während andere
SPD-Politiker*innen an unserer Versammlung gegen die AfD teilnahmen und
gegen rechts einstanden, war ihm eine sinnlose Provokationen im Wahlkampf
wichtiger.“ Wer Antifaschist*innen aus persönlicher Kränkung per
Fingerzeig bei der Polizei diffamiere, so Reiche, helfe nur der AfD.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] https://keinraumderafd.info/2022/04/27/pressemitteilung-antifaschistische-k…
[2] https://twitter.com/Geradedenken1/status/1401909222024097797
[3] https://tom-schreiber.berlin/berlin-hauptstadt-der-demonstrationen-hospitat…
[4] /Neues-Versammlungsgesetz-in-Berlin/!5686407
[5] https://dka-kanzlei.de/news-reader/klage-gegen-polizeieinsatz-bei-anti-afd-…
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Repression
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