# taz.de -- Vor der Landtagswahl in NRW: Grüne Königsmacher | |
> Wüst oder Kutschaty? Auch darum geht es bei der NRW-Wahl. Bei der | |
> Regierungsbildung dürften vor allem die Grünen eine Schlüsselrolle | |
> spielen. | |
Bild: Sie kann entscheiden: Kutschaty (SPD), Neubaur (Grüne) und Wüst Anfang … | |
Die grüne Spitzenkandidatin Mona Neubaur lässt sich in den Sitz ihres | |
Wahlkampfbusses fallen, der selbstverständlich elektrisch betrieben wird, | |
und seufzt: „Bis auf die rechtsextreme AfD versuchen gerade alle Parteien, | |
grüner zu wirken als die Grünen“, sagt sie. | |
Ende April ist die 44-Jährige mitten im Wahlkampf, hat sich gerade in | |
Münster nass regnen lassen. Mit Verve hat sie auf dem Domplatz vor der | |
drohenden Klimakatastrophe gewarnt und für die Energiewende in Deutschlands | |
Industrieland Nummer eins geworben, für den massiven Ausbau von Bus und | |
Bahn. | |
Neubaur [1][ist Spitzenkandidatin und Landeschefin der Grünen], und sie hat | |
ein Problem: Zumindest an der Oberfläche der Wahlkampfslogans versuchen | |
auch der amtierende [2][CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst] und sein | |
SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty, sich ein ökologisches Image | |
umzuhängen. So wollen sie Neubaurs Partei Stimmen abjagen. In Umfragen | |
liegen die Grünen zwischen 14 und 18, SPD und CDU dagegen bei etwa 30 | |
Prozent. | |
Allerdings: Die aktuell Drittplatzierten werden damit zum Königsmacher. | |
Nach den Landtagswahlen werden die Grünen entscheiden, ob Wüst | |
Regierungschef bleibt – oder ob im lange als SPD-Stammland geltenden NRW | |
mit Kutschaty wieder ein Genosse in der Düsseldorfer Staatskanzlei regiert. | |
Ohne Neubaur wird bei einer Regierungsbildung nichts gehen. | |
## Alles ist möglich | |
Denn die selbsternannte „NRW-Koalition“ aus CDU und FDP, die das mit | |
Abstand bevölkerungsreichste Bundesland – 18 Millionen Menschen – seit 2017 | |
regiert, hat ihre denkbar knappe Mehrheit längst verloren. Abgeschlagen | |
dümpeln die Liberalen seit Jahren auf Platz vier. Für die Partei von | |
Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp würden aktuell nur 7 bis 8 Prozent der | |
Wähler:innen stimmen. | |
Denkbar ist damit neben dem NRW-Klassiker Rot-Grün auch eine Ampel wie im | |
Bund – oder Schwarz-Grün. Und die grüne Landesparteichefin Neubaur hält | |
ihrer Partei alle Optionen offen: „Mit wem wir regieren, entscheiden wir | |
anhand der Inhalte, für die wir gewählt wurden“, sagt die Diplom-Pädagogin: | |
„Wer Grün will, muss Grün wählen.“ | |
Auch eine schwarz-grün-gelbe Jamaika-Koalition will die strategisch | |
denkende einstige Geschäftsführerin der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung | |
an Rhein und Ruhr nicht ausschließen: „Es gibt keinen Automatismus für | |
Koalitionen“, findet sie. „Der Bund ist nicht der Taktgeber für eine | |
Koalition in NRW.“ | |
Dass in Bündnissen mit nur zwei Partnern „die Verständigung leichter“ ist, | |
weiß Neubaur aber auch. Denn sollten die Grünen – nicht einmal ein Jahr | |
nach der Bundestagswahl – in Nordrhein-Westfalen tatsächlich mit CDU und | |
FDP regieren wollen, dürfte das als Misstrauensvotum gegenüber der Ampel in | |
Berlin interpretiert werden: Geschwächt wäre nicht nur der Kanzler Olaf | |
Scholz, sondern auch sein grüner Stellvertreter Robert Habeck, ebenso | |
Außenministerin Annalena Baerbock. Jamaika, aber auch eine Ampel sind für | |
Neubaur also nur Notfalloptionen. | |
Doch auch wenn sich die Umfragen verstetigen, wenn die Grünen die Wahl | |
zwischen Wüst und Kutschaty haben sollten: Eine Liebesgeschichte war | |
Rot-Grün in NRW nie. Traditionelle Sozis wie die Ex-Ministerpräsidenten | |
Wolfgang Clement und Peer Steinbrück haben ihre grünen | |
Koalitionspartner:innen immer demütigen wollen. | |
Der Ausstieg erst aus der Steinkohle im Ruhrgebiet, jetzt aus der | |
Braunkohle im Rheinischen Revier war ein jahrzehntelanger Kampf, der im | |
grünen Parteigedächtnis tief verankert ist. | |
Schon 2010 war ein schwarz-grünes Bündnis mit Jürgen Rüttgers für die | |
Grünen deshalb eine Option. Heute betonen Wüst und Kutschaty fast | |
gleichlautend, trotz des Kriegs in der Ukraine möglichst bis 2030 aus der | |
Braunkohle aussteigen zu wollen. | |
Bei den Koalitionsverhandlungen wird entscheidend sein, wer den Grünen beim | |
geforderten „Booster“ für die Erneuerbaren, für mehr Windkraft, bei der | |
geforderten Solarpflicht auf Neubaudächern, bei der Stärkung von Bus und | |
Bahn im Detail mehr entgegenkommt. | |
Klar scheint nur: Einfach und schnell wird die Regierungsbildung nicht. | |
11 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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