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# taz.de -- Jahrestag der Atomkatastrophe: 36 Jahre nach Tschernobyl
> Die verheerende Reaktor-Explosion jährt sich wieder. Derweil wird in
> Deutschland erneut über Atomkraft diskutiert – oftmals an der Realität
> vorbei.
Bild: Russische Feuerstellung in der Nähe des Atomkraftwerks Tschernobyl, 16. …
Berlin taz | Ohne Russlands Krieg in der Ukraine wäre dieser nicht einmal
halbrunde Jahrestag wohl kaum beachtet worden: Vor 36 Jahren, am 26. April
1986, explodierte Reaktor Nummer 4 im [1][Atomkraftwerk Tschernobyl] nahe
der ukrainischen Stadt Prypjat, damals noch Teil der Sowjetunion. Der bis
dahin schlimmste Unfall in einem AKW mit verheerenden Folgen für Menschen
und Umwelt erschütterte die Welt.
Damals geriet ein Sicherheitstest in dem erst drei Jahre zuvor in Betrieb
genommenen Block wegen Bedienungsfehlern und Konstruktionsmängeln völlig
außer Kontrolle. Durch die geborstene Reaktordecke drangen gewaltige Mengen
radioaktiven Materials ins Freie, eine Strahlenwolke zog über Europa. Viele
Menschen starben infolge der Katastrophe, die Spätfolgen sind noch immer
nicht absehbar. Auch in Deutschland sind Pilze und Wildfleisch infolge des
Unfalls bis heute radioaktiv belastet.
36 Jahre später hat die Erinnerung an das Unglück gleich aus mehreren
Gründen Aktualitätswert: Vor zwei Monaten besetzten russische Truppen das
AKW-Gelände. Beim Rückzug Ende März sollen [2][Soldaten verstrahlt worden
sein].
Ein Stromausfall am 9. März infolge einer zerstörten Hochspannungsleitung
ließ zwischenzeitlich das Risiko erneuter Freisetzung von Radioaktivität
vermuten. Bis zum 20. April hatte die Internationale
Atomenergie-Organisation keinen Kontakt zum Atomkomplex Tschernobyl.
Fernüberwachungssysteme sind noch immer ausgefallen.
## AKW-Verlängerung kaum möglich
Trotz dieser Bedrohungslage diskutierte man in Deutschland derweil, im
Dienst der Versorgungssicherheit die drei noch laufenden AKW länger
betreiben zu lassen als bis zum vereinbarten Atomausstieg Ende des Jahres.
Könnte man nicht so unabhängiger von russischen Energieimporten werden?
Anheizer der bizarr anmutenden Debatte sind maßgeblich diejenigen Kreise,
die schon länger versuchen, neue Atomkraftwerke auf den Markt zu bringen.
Anfangs zeigte sich aber selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) [3][offen für entsprechende Überlegungen].
Die zuständige Behörde hingegen zeigt sich geschockt. „Es ist sehr
befremdlich, dass ausgerechnet in dieser Situation, in der uns die Gefahren
von Kernkraftwerken durch einen Krieg brutal aufgezeigt werden, ein
Wiedereinstieg gefordert wird“, sagt Wolfram König, Chef des Bundesamtes
für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Die Debatte führe schon deshalb in die Irre, weil die betreffenden
Reaktoren zumindest kurz- und mittelfristig gar nicht zur Verfügung
stünden. Die AKW-Betreiber hätten in Absprache mit den Behörden bestimmte
Investitionen nicht mehr getätigt, der Rhythmus von
Sicherheitsüberprüfungen sei an den Fahrplan für den Ausstieg angepasst
worden. Das Personal sei in Erwartung der baldigen Stilllegung abgebaut
worden. „Da kann man nicht einfach sagen, jetzt machen wir doch wieder
alles anders“, empört sich König.
Auch mit Blick auf die Brennstoffversorgung erscheint ein abgebrochener
oder auch nur verlangsamter Atomausstieg sinnlos und technisch
[4][allenfalls mit riesigem Aufwand zu bewerkstelligen]: Die Brennstäbe für
die verbliebenen AKW wurden nur noch für das laufende Jahr eingekauft. Auch
ein kurzfristiger Import dürfte problematisch sein. Zu den wichtigsten
Lieferanten von Uran zählt zudem Russland.
Hinzu kommt: Eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke [5][würde
kaum die gewünschte Unabhängigkeit von russischen Energieträgern bringen].
Eine Lücke wäre schließlich vor allem bei Gas zu erwarten, das Deutschland
besonders als Heizmittel und als Industrie-Rohstoff nutzt – und weniger für
Strom.
26 Apr 2022
## LINKS
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[3] /Energie-im-naechsten-Winter/!5835512
[4] /Energiepolitische-Rueckzugsgefechte/!5827264
[5] /Laengere-Laufzeiten-der-AKWs/!5835528
## AUTOREN
Reimar Paul
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Schwerpunkt Atomkraft
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Tschernobyl
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