# taz.de -- Energie im nächsten Winter: Streit um Kohle und Atom | |
> Kohle- und Atomkraftwerke länger nutzen, falls russisches Gas ausbleibt? | |
> Wirtschaftsminister Habeck zeigt sich offen. | |
Bild: Soll planmäßig noch dieses Jahr vom Netz: das Steinkohlekraftwerk Schol… | |
Berlin taz | Es sind nicht die Geister, die wir riefen, sondern die, denen | |
wir längst den Garaus machen: Die [1][klimaschädliche Kohlekraft] und die | |
riskante Atomkraft erleben zumindest in der deutschen Debatte eine | |
Renaissance. Schließlich drängt die Frage, ob Deutschland im nächsten | |
Winter komplett ohne russisches Gas auskäme, sollte Russland nicht mehr | |
liefern oder Europa nicht mehr empfangen wollen. | |
Etwas mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Gases kommt | |
aktuell aus Russland. Wäre als Ersatz ein Schritt rückwärts in die alte | |
Energiewelt nötig? | |
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) scheint diesen Schritt | |
zumindest schon rhetorisch vorzubereiten. „Im Zweifel ist das so“, sagte er | |
dem Deutschlandfunk am Mittwochmorgen auf die Frage, ob denn Sicherheit | |
wichtiger sei als Klimaschutz. | |
„Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein | |
für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, | |
vielleicht sogar laufen lassen müssen“, so der Minister. Die | |
Versorgungssicherheit müsse man gewährleisten. „Und das werde ich auch | |
tun.“ Zuvor hatte er gegenüber dem Bayrischen Rundfunk gesagt, dass er eine | |
Laufzeitverlängerung der verbleibenden Atomkraftwerke „nicht ideologisch | |
abwehren“ werde, auch wenn es nicht wahrscheinlich sei, dass [2][das | |
überhaupt technologisch gehe]. | |
## AKW liefern nicht passende Energieform | |
Eigentlich soll der Atomausstieg Ende dieses Jahres abgeschlossen sein, | |
wenn die drei letzten AKW vom Netz gehen. Auch der Abschied von fast 5 | |
Gigawatt Kohlekraftwerksleistung steht an. So sieht es das | |
Kohleausstiegsgesetz vor, das aktuell noch auf 2038 als Abschlussjahr | |
hinausläuft. Die Ampelregierung hat sich sogar zum Ziel gesetzt, das schon | |
bis 2030 zu schaffen. Eine Anfrage der taz dazu, ob Habeck davon ausgeht, | |
dass die aktuelle Lage dieses Ziel gefährdet, ließ das | |
Wirtschaftsministerium bis Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
Dass das sein muss, ist keinesfalls Konsens. „Bei der Atomkraft erleben wir | |
echt eine reine Gespensterdebatte“, sagte Energieökonomin Claudia Kemfert | |
vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin der taz. Dabei | |
geht es nicht nur darum, dass ein Weiterlaufen technisch kaum möglich sein | |
dürfte. „Die 6 Prozent des Stroms, den die restlichen AKW noch produzieren, | |
können wir einfach durch die erneuerbaren Energien ausgleichen, und Wärme | |
kommt von denen gar nicht.“ | |
Die wäre aber entscheidend. Gas ist zurzeit vor allem als Wärmequelle | |
wichtig, in den großen Industrieprozessen und in den Wohnzimmern. Die | |
Atomkraftwerke sind beim Schließen einer möglichen Gaslücke also relativ | |
nutzlos. Das sieht bei Kohlekraftwerken schon anders aus. Anders als die | |
drei übrigen Atomkraftwerke sind diese teils an Fernwärmenetze | |
angeschlossen. Also erst mal weiterlaufen lassen? | |
„Bevor wir gleich über eine Abweichung vom gesetzlichen Kohleausstiegspfad | |
reden, sollten wir doch die Energiewende schneller umsetzen und das | |
Ausbautempo erneuerbarer Energien massiv erhöhen“, meint Kemfert. Wenn man | |
ihr zuhört, bekommt man den Eindruck: Was in der Coronapandemie die | |
Luftfilter für Klassenräume sind, sind in der Gaskrise die Wärmepumpen. Wer | |
im Winter gut vorbereitet sein will, muss den Sommer gut nutzen. | |
„Es sind doch noch Monate Zeit bis zum nächsten Winter“, gibt Kemfert zu | |
bedenken. In der Zeit müsse man durch strategische Reserven Vorsorge | |
treffen und „die Wärmewende beherzt angehen“ mit mehr Wärmepumpen, | |
Power-to-Heat oder nachhaltiger Biomasse. | |
„Schreckhaft wieder mehr in fossile Energie zu investieren, diesen Fehler | |
haben wir doch jetzt oft genug gemacht“, sagt die Ökonomin. „Nebenbei | |
bemerkt, importieren wir auch die Hälfte unserer Steinkohle aus Russland, | |
das ist also weder energiewirtschaftlich, noch geopolitisch besonders | |
hilfreich.“ [3][Einen „Energiewende-Booster“] wünscht sie sich stattdess… | |
„Das ist der Weg nach vorn.“ | |
2 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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