# taz.de -- US-Sängerin Bonnie Raitt über Aktivismus: „Verpflichtung, sich … | |
> Bei den Grammys wurde Bonnie Raitt jüngst für ihr Lebenswerk geehrt. Ein | |
> Gespräch über ihre Karriere – und warum Musik und Aktivismus für sie | |
> zusammengehören. | |
Bild: „Wir können zeigen, wo Veränderungen passieren müssen“: US-Sänger… | |
taz: Bonnie Raitt, Sie wurden in diesem Jahr mit einem Grammy Lifetime | |
Achievement Award ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieser Preis? | |
Bonnie Raitt: Ich bin wahnsinnig stolz darauf. Es zeigt mir, dass andere | |
Menschen meine 50-jährige Karriere mit Höhen, aber auch Tiefen zu schätzen | |
wissen. Eins möchte ich allerdings klarstellen: Ich beabsichtige nicht, in | |
näherer Zukunft in den Ruhestand zu gehen. | |
Lassen Sie uns zurückblicken: Der kommerzielle Erfolg kam für Sie erst | |
spät. 1989 stieg Ihr Album „Nick of Time“ auf Platz eins der US-Charts. Zu | |
dem Zeitpunkt waren Sie schon 20 Jahre im Geschäft. | |
Es war nicht so, dass ich zuvor Angst um meine Karriere gehabt hätte. Ich | |
bin stetig getourt, meine Fans haben immer meine Alben gekauft. Doch erst | |
meine damalige Plattenfirma kümmerte sich um mich. Das Ergebnis waren drei | |
Grammys für „Nick of Time“, unter anderem für das Album des Jahres. Danach | |
änderte sich einiges. Ich konnte es mir leisten, einige Musiker aus meiner | |
Tourband dauerhaft zu engagieren. Ich zog von Süd- nach Nordkalifornien. | |
Dank meines Erfolgs wurde ich zu TV-Shows eingeladen und bekam so eine | |
Plattform, um über die Dinge zu reden, die mir am Herzen lagen – seien es | |
die Rhythm and Blues Foundation oder Sonnen- und Windenergie. | |
War Ihnen Umweltaktivismus wichtiger als die Musik? | |
Absolut. Wissen Sie, wer mich dazu brachte, die Gitarre in die Hand zu | |
nehmen, als ich neun Jahre war? Pete Seeger, Joan Baez und [1][Bob Dylan]. | |
Sie engagierten sich gegen den Vietnamkrieg, sie waren meine Held:innen. | |
Mit ihnen traten Künstler:innen in mein Leben, die Lieder von sozialen | |
Veränderungen sangen, von Heuchelei und Krieg. In den sechziger Jahren | |
hörte ich die Stones und die Beatles. Ich liebte Motown-Soul. [2][Die | |
Staple Singers] traten bei Martin Luther Kings Kundgebungen auf. Von all | |
diesen Musiker:innen lernte ich, dass Künstler:innen eine | |
Verpflichtung haben, sich auch als Bürger:innen einzubringen. Wir mögen | |
nicht in der Lage sein, direkt Veränderungen zu schaffen. Doch wir können | |
zeigen, wo Veränderungen passieren müssen. | |
Warum haben Sie dann nicht mehr Sozialkritik in Ihren Stücken geübt? | |
Ich habe zwei explizite politische Songs komponiert, auf die ich richtig | |
stolz bin: „Hell to pay“ und „The comin’ Round is going through“. Ans… | |
bin ich in erster Linie Interpretin. Ich ziehe es vor, Originalsongs von | |
Jackson Browne und Randy Newman zu singen. Aber nicht in jedem Konzert, | |
sondern eher bei Kundgebungen und Benefizveranstaltungen. Bei meinen | |
eigenen Konzerten möchte ich nicht als Predigerin daherkommen. Zumal | |
Lieder, die von verliebten Männern und Frauen handeln, manchmal genauso | |
viel Gewicht haben können wie Songs mit politischen Botschaften. Einfach | |
weil die Art und Weise, wie zwei Menschen sich gegenseitig behandeln, | |
oftmals ebenso aussagekräftig ist, wie der Umgang von Nationen miteinander. | |
Heißt das, Ihr soziales Engagement steht bei Ihren Tourneen hinten an? | |
Nein. Ich schlage auf jedes Ticket einen Dollar extra drauf. Mit diesem | |
Geld unterstütze ich mehr als 200 Organisationen. Außerdem gebe ich lokalen | |
Gruppen, die sich zum Beispiel für Umweltschutz und Native-Americans stark | |
machen, die Möglichkeit, bei meinen Konzerten ihre Informationsstände | |
aufzubauen. | |
Darüber hinaus unterstützen Sie öffentlich die Demokratische Partei. Warum? | |
Während des letzten Wahlkampfs konnte ich wegen der Pandemie natürlich | |
nicht zu Konventen und Parteitagen reisen. Aber ich war zumindest virtuell | |
aktiv und habe mehr als zehn Solisongs für verschiedene demokratische | |
Kandidat:innen komponiert. Schließlich hatte mich nie zuvor bei einer | |
Präsidentschaftwahl so nackte Angst gepackt … Letztlich haben die | |
Demokraten zwar gegen Trump gewonnen, doch es war kein glänzender Sieg für | |
sie. | |
Was haben Sie empfunden, als die Trump-Anhänger:innen am 6. Januar 2021 das | |
Kapitol stürmten? | |
Ich war genauso schockiert wie der Rest der Welt. Diese Gewalttäter sind | |
einer Lüge aufgesessen. Es gab keinen Wahlbetrug, der Sieg der | |
Demokratischen Partei war rechtmäßig. Dennoch wurden Fakten angezweifelt, | |
die Wahrheit wurde einfach ignoriert. Der rechte Flügel der Republikaner | |
steht dem Faschismus immer noch gefährlich nahe. Anscheinend lernen manche | |
Leute nichts aus der Geschichte – obwohl wir ihr unbedingt Aufmerksamkeit | |
schenken sollten. | |
Hilft Ihnen heute noch das Wissen aus Ihrem Studium der | |
Sozialwissenschaften und Afrikanistik? | |
Ja. Mein Ziel war es, afrikanische Länder zu bereisen. Ich wollte etwas | |
dazu beitragen und wiedergutmachen, was die Kolonialmächte zum Beispiel | |
durch die Ausbeutung der Ressourcen in Afrika angerichtet hatten. Gerade in | |
den sechziger Jahren schienen sich im Zuge des erwachenden afrikanischen | |
Selbstbewusstseins neue Möglichkeiten aufzutun, um einen Hybrid zu | |
erschaffen, der das Beste aus Sozialismus und Kapitalismus vereinigen | |
konnte. Ich träumte davon, dabei mitzumischen. Darum war Musik damals bloß | |
ein Hobby für mich. | |
Als Sie dann doch Musikerin wurden, waren Sie eine der wenigen Frauen, die | |
Gitarre spielten und mit eigener Band auftraten. War es schwierig für Sie, | |
von Ihren Kollegen akzeptiert zu werden? | |
Ich liebte den Blues und brachte mir das Slidegitarrespielen selbst bei. | |
Als ich 19 war, hörte ich dauernd: Es ist ungewöhnlich, dass sich eine Frau | |
diesem Stil verschreibt. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was die Wahl | |
des musikalischen Genres mit dem Geschlecht zu tun haben soll. Nach der | |
Veröffentlichung meines dritten Albums konnte ich es mir dann leisten, mit | |
einem Pianisten, einem Schlagzeuger und einem Gitarristen zu arbeiten. Dass | |
ich Bandleaderin war, stellte nie ein Problem dar. Denn ich habe immer | |
darauf geachtet, nicht zu sehr den Chef raushängen zu lassen, sondern meine | |
Musiker mit Respekt zu behandeln. Hinzu kam, dass ich ziemlich gut Gitarre | |
spielen kann. Deshalb haben mich die Männer ernst genommen. | |
Auch auf Ihrem neuen Album „Just like that“ rückt Ihre Gitarre ins Zentrum. | |
Etwa in Ihrer Eigenkomposition, dem Song „Living for the Ones“. | |
In meinem Umfeld sind einige Menschen gestorben, ihnen habe ich dieses Lied | |
gewidmet. 2009 erlag mein Bruder seinem Gehirntumor. Ich verlor | |
Freund:innen an Krebs, Herzkrankheiten oder Covid-19, andere begingen | |
Suizid. Deswegen lautet mein Motto: Ich lebe für diejenigen, die es nicht | |
geschafft haben. Warum muss ich mich über eine schmerzende Hüfte beklagen? | |
Oder darüber, dass mein Wasser nicht kalt genug ist? Das sind doch bloß | |
lächerliche Nebensächlichkeiten, dessen sollten wir uns alle spätestens | |
durch den schrecklich brutalen Krieg in der Ukraine bewusst geworden sein. | |
Der Song „Waiting for you to blow“ handelt dagegen von Süchten, oder? | |
Lassen Sie es mich so formulieren: Es geht um die dunklen Seiten der | |
Persönlichkeit. Das können Drogen- und Alkoholprobleme sein oder aber ein | |
Hang zum Lügen. | |
Sie hatten selber Suchtprobleme. Ist es bis heute für Sie eine große | |
Herausforderung, clean zu bleiben? | |
Ich habe seit 35 Jahren keine Drogen mehr genommen oder Alkohol getrunken. | |
Gleichwohl ist die Abstinenz ein lebenslanger Prozess, dem ich immer wieder | |
Aufmerksamkeit schenken muss. Wobei das Nüchternbleiben nur eine Sache ist. | |
Ich muss mich jeden Tag genau beobachten und gucken: Wie behandele ich | |
meine Familie, meine Freunde, meine Liebsten? Jeder von uns hat doch | |
Charakterschwächen, die man im Auge behalten sollte. | |
Werden die in dem Stück „Down the Hall“ überwunden? | |
Zu diesem Song inspirierte mich ein Artikel, den ich 2018 in der New York | |
Times las. In den USA können sich Strafgefangene für die Hospizbetreuung | |
ausbilden lassen. Dafür bekommen sie weder Geld, noch werden sie deshalb | |
vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Sie halten einfach aus Mitgefühl | |
einem Menschen, der sonst keinen mehr hat, am Ende seines Lebens die Hand. | |
Das hat mich so berührt, dass ich einen Song darüber komponieren wollte. | |
1 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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