# taz.de -- Fußball entdeckt Klimaschutz: Profifußball könnte Vorbild sein | |
> Beim Thema Klimaschutz gibt es immer noch viele Fußballklubs, denen das | |
> Thema völlig egal ist. Dabei sind die Fans an der Basis viel weiter. | |
Bild: Nach dem Spiel: für die Flaschensammlerin in Stuttgart eine lohnende Ver… | |
BERLIN taz | Sie haben einen guten Klang, die Klimanachrichten des Fußballs | |
dieser Tage: Im März 2022 verspricht die [1][TSG Hoffenheim das erste | |
Zero-Waste-Stadion] der Männer-Bundesliga. Im Februar kündigt der DFB an, | |
mit den deutschen Amateurvereinen einen Aktionsplan für Klimaschutz zu | |
erarbeiten. | |
Im Dezember beschließt die Deutsche Fußball-Liga (DFL), | |
Nachhaltigkeitskriterien verpflichtend in die Lizenzierungsordnung | |
aufzunehmen und einen jährlichen Nachhaltigkeitsreport zu veröffentlichen. | |
Im September tragen Chelsea und Tottenham ein Game Zero aus, ein vorgeblich | |
CO2-neutrales Spiel, bei dem die verbliebenen Emissionen kompensiert | |
wurden. All das aus jener Branche, die wie kaum eine andere zum Symbol für | |
Gigantismus und den Glauben an ewiges Wachstum geworden ist. | |
„Es hat sich definitiv einiges geändert“, glaubt Thomas Fischer, | |
Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der das | |
Thema seit vielen Jahren begleitet. „Mittlerweile gibt es in fast jedem | |
Verein Ansprechpartner für Umwelt und Klima. | |
Das war vor acht bis zehn Jahren noch völlig anders. Die Vereine tauschen | |
sich auch untereinander aus.“ Zugleich, schränkt Fischer ein, sei es in | |
vielen Fällen Reaktion auf gesellschaftlichen Druck, weniger Überzeugung. | |
„Das ist oft nicht intrinsisch motiviert. Es gibt einige ehrlich | |
Engagierte, aber auch immer noch viele Klubs, denen Klimaschutz völlig egal | |
ist.“ Nicht der Fußball ändert gerade die Gesellschaft, sondern diese den | |
Fußball. | |
Wie weit aber geht das? Kann das eine Hebelwirkung haben? Denn Fußball ist | |
ja eine seltsame Branche: Plattform für zweifelhafteste Sponsoren, | |
Autokonzerne, Fluggesellschaften, Öl- und Gasriesen oder Chemiekonzerne wie | |
Bayer; eine Parallelwelt, [2][in der Spieler (meist sind es die Männer) ins | |
nächste Bundesland zum Spiel per Flugzeug jetten] und eine Minderheit | |
extreme Reichtümer anhäuft, die sie wiederum in schnelle Autos, Privatjets | |
oder Zimmerladungen von Sneakers investiert, weil sie nicht mehr weiß, | |
wohin mit den Millionen. Ein Abbild des fossilen Turbokapitalismus. Eine | |
Branche, die seit Anbeginn des organisierten bürgerlichen Sports im 19. | |
Jahrhundert immer nur mehr wollte: mehr Spiele, mehr Großturniere, mehr | |
Merchandise, mehr Reisen, mehr Profitspanne, mehr Geld. | |
## Profifußball könnte Vorbild sein | |
Gleichzeitig gilt dieser Fußball gern als letztes gesellschaftliches | |
Lagerfeuer, mit gutem Kontakt auch zu jenen, die mit Klimaschutz nichts zu | |
tun haben. Eine Massenveranstaltung im besten Sinne, ein Schmelztiegel der | |
Milieus. Das ist die große Hoffnung der Hoffenden. Nicht so sehr die | |
Einsparung an sich – der globale Sport stößt laut einer Kalkulation des | |
Sportjournalisten David Goldblatt immerhin rund 30 Millionen Tonnen CO2 | |
jährlich aus, so viel wie ganz Dänemark, und die Textil- und Fernsehbranche | |
etwa sind da nicht einmal eingerechnet –, sondern die Vorbildwirkung. Denn | |
wenn der Fußball exemplarisch zeigte, dass es möglich ist, ganz anders zu | |
leben, würde das dann nicht vieles verändern? Wenn im Stadion vegane Wurst | |
serviert wird, die Trikots recycelt sind und die Verbände an Reduktion | |
statt Ausweitung der Spiele arbeiten, ist es dann nicht fast geschafft? | |
„Es ist sehr leicht, beim Klimaschutz Horrorszenarien zu zeichnen. Was wir | |
aber wirklich brauchen, sind Szenarien, die zeigen: So könnte eine | |
gerechtere Welt funktionieren. Und da kann der Profifußball ein Beispiel | |
sein“, glaubt Annika Rittmann. Sie ist Sprecherin bei Fridays for Future | |
und Schiedsrichterin in Hamburg, zwei auch in Sachen Mitwirkung völlig | |
verschiedene Felder. „Die Strukturen im Fußball sind sehr darauf ausgelegt, | |
dass Leute zwar im Ehrenamt helfen, aber wenig Möglichkeiten haben, an die | |
großen Hebel zu wirklicher Veränderung zu kommen“, kritisiert Rittmann. | |
## Basis ist viel weiter | |
Die Fans an der Basis seien beim Thema Klimakatastrophe eigentlich viel | |
weiter. „Die Fans wollen nicht immer mehr Wachstum.“ Damit Veränderung | |
wirklich passiere, müssten sie sich aber gegen konservative Kräfte | |
durchsetzen können. „Es braucht dafür strukturellen Wandel.“ Es fehlt an | |
Mitsprache. | |
Zwei Beispiele illustrieren die enormen Widerstände. Die eingangs genannten | |
neuen Nachhaltigkeitskriterien der DFL klingen progressiv, waren aber nur | |
aufgrund des zähen Ringens engagierter Fans möglich – und auch ein | |
Schachzug der DFL, wesentlich weiter reichende Forderungen abzuschmettern. | |
Umweltverbände waren in der Taskforce gar nicht involviert, wie Thomas | |
Fischer von der DUH kritisiert: „Es geht der DFL eher um Profilierung. Man | |
will bekannte Persönlichkeiten da drin haben. Ob Expertise gewünscht ist, | |
daran habe ich Zweifel.“ Die vor einigen Jahren gegründete Gruppe Sports | |
for Future wiederum wird wesentlich von den CSR-Abteilungen einiger | |
Großklubs getragen. | |
## Vieles bleibt symbolisch | |
Ein Schritt zu interner Vernetzung fürs Klima oder vor allem PR? Fischer | |
hält sie für „billig abgekupfert von Fridays for Future. Das wird in der | |
Breite nichts verändern, weil schlicht die Verbindlichkeit fehlt.“ Annika | |
Rittmann von FFF, die mit der Gruppe in Kontakt steht, hält dagegen: „Ich | |
sehe schon, dass die Leute bei Sports for Future den Willen haben. Aber wie | |
wir alle hängen sie in einem fossilen System, dementsprechend ist es ein | |
langer Weg.“ | |
Das, was sich aktuell im Fußball tut, ist mithin einerseits ein großer | |
Erfolg der Klimabewegung. Zugleich bleibt vieles eher symbolisch denn | |
systemisch. Die Textilindustrie, so Fischer, werde noch gar nicht | |
mitgedacht, ebenso wenig das Thema Sponsoring. „Man kann mindestens | |
erwarten, dass bei der Suche nach Sponsoren künftig die | |
EU-Taxonomieverordnung eine Rolle spielt.“ Spieler:innen müssten zudem | |
für Nachhaltigkeit sensibilisiert werden, Mindeststandards der | |
Kreislaufwirtschaft zur Lizenzauflage werden, Wissensnetzwerke und | |
Ansprechpartner:innen geschaffen werden. | |
## Ansätze bei der Mobilität gibt es | |
Wie eine Vorreiterrolle des Fußballs aussehen könnte, illustriert er am | |
Beispiel Mobilität. „Vereine haben großen Einfluss auf ihr strukturelles | |
Umfeld und die kommunale Politik. Beim FC Bayern steht der | |
Oberbürgermeister bei der Meisterfeier als Erster auf dem Balkon. Vereine | |
wären sehr wohl in der Lage, neue Mobilitätskonzepte in Zusammenarbeit mit | |
der Politik zu gestalten.“ | |
Wären sie, wenn sie wollten. Aber viele bleiben desinteressiert. Ansätze | |
gibt es, beispielsweise Kombitickets mit dem ÖPNV oder neue Fahrradständer | |
am Stadion. Aber keine verkehrssystemischen Debatten, keinen eigenen | |
Verzicht. Lieber sollen Fans ihr Verhalten ändern. Fußball als Motor von | |
Veränderung? Zu vermuten steht eher: Wenn eines Tages grundlegender Wandel | |
im Fußball kommt, ist er gesellschaftlich längst da. Erst dann wohl wird | |
die Stärke des Fußballs wirksam – die gewachsene Akzeptanz in die Winkel | |
der Republik zu tragen, ähnlich wie im Kampf gegen Rassismus oder | |
Homophobie. Doch das Zeitfenster ist diesmal klein. | |
20 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tsg-hoffenheim.de/aktuelles/news/2022/03/tsg-und-nachhaltigkeit… | |
[2] /Die-CO2-Bilanz-des-Fussball/!5624347 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Fußball und Politik | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
klimataz | |
GNS | |
FC St. Pauli | |
Fußball-Bundesliga | |
Fußball | |
Erneuerbare Energien | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kolumne Frühsport | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bio-Würstchen fürs Millerntor: Gutes Gewissen für den Fan-Bauch | |
Veganes konnten Fans des FC St Pauli bei Heimpsielen schon länger snacken. | |
Nun stellt der Fußball-Zweitligist komplett auf Bio-Würstchen um. | |
Inlandsflüge im deutschen Fußball: Liga der Flieger | |
In der Fußball-Bundesliga sind Kurzstreckenflüge trotz Klimakrise üblich. | |
Sogar von Frankfurt nach Freiburg reist man mit dem Flugzeug. | |
Energiesparen im Fußball: Anstoß für den Klimaschutz | |
Der SV Babelsberg 03 fordert in der Klima- und Energiekrise das Aus von | |
Rasenheizungen. Doch dem Profifußball ist die Vermarktung der Spiele | |
wichtiger. | |
Saubere Energie für den Breitensport: Eine visionäre Vereinsautonomie | |
Hohe Betriebskosten bedrohen den Breitensport. Der TSC Eintracht Dortmund | |
will seinen Energiebedarf bald selbst decken und ist vorbereitet. | |
Folgen der Klimakrise in Europa: Wärmster Sommer seit 1950 | |
Im Süden Europas brannten die Wälder, in Deutschland starben Menschen in | |
einer Jahrhundertflut. 2021 war ein Jahr der Wetterextreme in Europa. | |
Earth Day 2022: Shoppen für die Umwelt | |
Am Earth Day Konsum überdenken und Umweltbewusstsein schaffen? Mit Apple, | |
Disney und Co. klappt das dieses Jahr bestimmt wieder am besten! | |
Reform des Profifußballs: Schöne neue Welt | |
Es grünt so grün: Wie eine gemeinnützige GmbH den Fußballclubs in der | |
Bundesliga Nachhaltigkeit beibringen will. | |
Umstrittenes Sportsponsoring: Fossilball | |
In Zeiten von Klimakrise und Fridays for Future stürzen sich Autokonzerne | |
und Fluggesellschaften gerne auf den Sport. Er ermöglicht ein gutes Image. | |
Alles beim Alten im HSV-Vorstand: Kein Job für die U 60 | |
Der FFF-Aktivist Philipp Wenzel wollte sich als Schatzmeister des HSV | |
bewerben. Er wurde gar nicht erst zur Wahl zugelassen. |