| # taz.de -- Streit um Ostermärsche: Auf der Suche nach Konsens | |
| > 2.000 Menschen kommen zum Ostermarsch in Hamburg, auch anderswo im Norden | |
| > wurde demonstriert. Immer wieder strittig: Was hilft im Ukraine-Krieg? | |
| Bild: Trotz aller Konflikte im Vorfeld: Den Krieg beenden wollten alle auf dem … | |
| Hamburg taz | Offenen Streit gibt es nur einmal: als ein Mann in gelber | |
| Daunenjacke mit einem Pappschild auftaucht, auf dem Putin mit Hitler-Bart | |
| zu sehen ist. „Ami go home“, ruft jemand und der Mann in gelb verschwindet | |
| unter Protest in den hinteren Reihen auf dem Hamburger Spielbudenplatz. | |
| Knapp 2.000 Leute haben sich dort zum jährlichen Ostermarsch versammelt. Um | |
| kurz vor eins schwebt eine weißhaarige Frau auf der Rolltreppe der U-Bahn | |
| nach oben, in der Hand ein Schild „Omas gegen rechts“. | |
| Hinter einem Banner der Marxistisch-Leninistischen Partei steht ein | |
| grauhaariger Sänger, „Kein Volk der Welt lässt sich das gefallen“, singt | |
| er, „wer hoch hinauf steigt, wird sehr tief fallen“. Hinten rechts auf dem | |
| Platz haben sich die Jüngeren versammelt, mit den Fahnen der | |
| Sozialistischen Jugend Deutschlands und einem Transparent, auf dem steht: | |
| „Wir wollen Frieden. Nein zur Aufrüstung. Deutschland raus aus der Nato“. | |
| Ringsum laufen die Tourist:innen, die vergebens den Halbweltglamour der | |
| Reeperbahn suchen, die Sonne scheint und eine Frau verteilt Flyer für ein | |
| Straßenfest: diesem Ostermarsch fehlt alles Dramatische, dabei hat er | |
| eigentlich alle Voraussetzungen dafür. Denn schon im [1][Vorfeld war Streit | |
| darüber ausgebrochen], wie der Krieg in der Ukraine zu deuten sei. Zum Ende | |
| des Krieges riefen alle Beteiligten auf – aber die Unterschiede in den | |
| Formulierungen waren vielsagend. | |
| Das Hamburger Forum, das alljährlich den Ostermarsch organisiert, hatte | |
| „alle an diesem Krieg Beteiligten zu einem sofortigen Waffenstillstand“ | |
| [2][aufgefordert]. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) | |
| hatte dagegen in einem [3][eigenen Aufruf] gleich eingangs den | |
| „Angriffskrieg Russlands“ angeprangert und der [4][Deutsche | |
| Gewerkschaftsbund (DGB)] ganz ähnlich Russland einen „völkerrechtswidrigen | |
| Angriff“ und „unendliches Leid“ vorgeworfen. | |
| ## Die neue Friedenswegung | |
| Was ist Konsens auf einer Demo von etwa 2.000 Leuten? Lässt sich hier | |
| herausfinden, wie die neue Friedensbewegung, die ein Redner des Hamburger | |
| Forum gleich mehrmals fordert, aussehen soll? Geht man nach dem, was die | |
| Redner:innen fordern, dann ist man sich einig darin, dass es falsch ist, | |
| Waffen an die Ukraine zu liefern, dass man stattdessen auf diplomatische | |
| Bemühungen setzen muss und sich nicht in den imperialistischen Machtkampf | |
| zwischen Russland einerseits und den USA und der Nato andererseits | |
| einspannen lassen dürfe. | |
| Und noch etwas, was bei einigen Redner:innen auftaucht: das Gefühl, eine | |
| Wahrheit zu formulieren, die von der Mehrheit nicht gehört oder | |
| totgeschwiegen wird. Putin fühle sich zu Recht so, als „setze ihm die Nato | |
| das Messer an den Hals“, sagt jemand vom Hamburger Forum. Es folgt weder | |
| Beifall noch Protest: ist das Konsens? | |
| Ein Sprecher auf dem Wagen der „Jugend gegen Krieg“ erklärt, dass es | |
| „erstaunlich sei, wie viele kühlen Kopf bewahrten“, wenn die großen | |
| Zeitungen ständig weitere Maßnahmen im Ukraine-Krieg forderten. Aber auch | |
| das: ein anderer Sprecher auf dem Jugend-Wagen verlangt den sofortigen | |
| Abzug Russlands aus der Ukraine. | |
| Der Konsens, so scheint es, liegt darin, was nicht zu tun ist: keine | |
| Waffenlieferungen, kein Aufrüsten in Europa, keine Zugeständnisse an die | |
| Nato. Und was soll passieren, um den Krieg zu stoppen? Diplomatie, so heißt | |
| es, denn Waffen hätten noch nie einen Krieg beendet. Und eine Gruppe wird | |
| immer wieder genannt: die Arbeiter:innen, aus denen heraus neue Anstöße | |
| kommen könnten. Und konkreter: die Hafenarbeiter:innen, die in Genua | |
| Waffenexporte blockiert haben. | |
| ## Putin als „Befreier“ | |
| Nicht nur in Hamburg, auch in anderen Städten war die Ausrichtung der | |
| Ostermärsche strittig. In Flensburg wurde der Ostermarsch unmittelbar vor | |
| Beginn vom evangelischen Kirchenkreis Schleswig-Flensburg wieder abgesagt. | |
| Das Demo-Bündnis, dem auch Die Linke, Die Grünen und die DKP angehörten, | |
| habe sich im Vorwege darauf geeinigt, auf Parteifahnen zu verzichten, hieß | |
| es. Entgegen der Absprachen seien dann jedoch Banner mitgeführt worden, die | |
| die Abschaffung der Bundeswehr oder den Austritt aus der Nato forderten. | |
| Zudem sei der russische Präsident Putin als „Befreier“ tituliert worden. | |
| Pröpstin Rebecca Lenz und Stadtpastor Johannes Ahrens hätten die | |
| Betreffenden vergeblich gebeten, auf die entsprechenden Banner zu | |
| verzichten und daraufhin gemeinsam entschieden, die Veranstaltung für | |
| beendet zu erklären. | |
| In Bremen zählten die Veranstalter:innen gut 1.100 Menschen bei einer | |
| Kundgebung unter dem Motto „Krieg und Rüstung lösen keine Probleme!“ Im | |
| Zeichen des Krieges dürfe es keine Aufrüstung geben, sagte der Sprecher des | |
| Bremer Friedensforums, Ekkehard Lentz. Das Friedensforum lehne | |
| Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ab, sagte Lentz. „Wir fordern die | |
| Bundesregierung zur Vermittlung auf, statt zur Verschärfung des Krieges.“ | |
| In der evangelischen Kirche dagegen finden sich Stimmen, die | |
| Waffenlieferungen vertretbar finden. Bremens leitender evangelischer | |
| Theologe Bernd Kuschnerus sieht angesichts des Krieges in der Ukraine in | |
| Waffengewalt „das äußerste Mittel“, um Menschen zu schützen. „Das ist … | |
| eine Entscheidung des Gewissens und ein Abwägen der Vernunft. Auch die | |
| Verweigerung von Waffenlieferungen würde uns nicht vor Schuld bewahren“, | |
| schrieb der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche in der | |
| Osterausgabe der „Bremer Kirchenzeitung“. Auch der Hildesheimer katholische | |
| Bischof Heiner Wilmer hält im Krieg Russlands gegen die Ukraine | |
| Waffengewalt zur Gegenwehr als letztes Mittel für gerechtfertigt: „Dass die | |
| Ukrainer ihr Land verteidigen, ist völlig legitim.“ | |
| In Hannover versammelten sich nach Angaben der Polizei und der | |
| Veranstalter:innen rund 750 Teilnehmende. In Oldenburg kamen laut | |
| Polizeiangaben rund 300 Demonstrierende zusammen, in Göttingen in der | |
| Spitze bis zu 170. In Osnabrück sprachen die Veranstalter:innen von | |
| gut 100 Teilnehmenden und später etwa 50 Radfahrer:innen bei einer | |
| Friedensfahrt. | |
| ## Gegen Militarisierung | |
| Zu den Demos hatten zahlreiche Initiativen, Parteien, Gewerkschaften und | |
| Vertreter:innen der Kirchen aufgerufen. In den Kundgebungsbeiträgen | |
| wurde vor allem gegen die Militarisierung im Ukraine-Konflikt protestiert, | |
| hieß es von der Informationsstelle Ostermarsch. Waffenlieferungen würden | |
| nur den Krieg verlängern. Nötig sei es, auf beide Seiten Druck auszuüben, | |
| um in Verhandlungen eine Einigung zu finden. | |
| In Unterlüß zogen den Angaben der Veranstalter:innen zufolge rund 100 | |
| Demonstrierende nach einer Kundgebung vor das Gelände des Rüstungskonzerns | |
| Rheinmetall. Der Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerkes in | |
| Niedersachsen, Michael Thiel, sprach mit Blick auf die Ukraine von einem | |
| Dilemma. „Auf der einen Seite müssen wir uns deutlich und klar gegen jede | |
| Rüstung und Aufrüstung zu Wort melden“, sagte er. „Auf der anderen Seite | |
| können wir nicht einfach zusehen, wie Menschen entrechtet, getötet oder um | |
| ihre Heimat gebracht werden durch einen eindeutigen Bruch des | |
| Völkerrechtes.“ | |
| Der Gewerkschaftsfunktionär Heinz-Dieter Braun sagte, Rheinmetall könne | |
| auch erfolgreich zivile Produkte bauen, etwa für das Gesundheitswesen oder | |
| für erneuerbare Energien. Aber das Unternehmen wolle offenbar vom 100 | |
| Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr profitieren. So | |
| müssten die Pflege, ein gesundes Klima und der Kampf gegen die Armut | |
| warten, kritisierte er. | |
| [5][Bundesweit] wurde in knapp 80 Städten demonstriert, in Niedersachsen | |
| fanden nach Angaben des Netzwerkes Friedenskooperative 15 Kundgebungen, | |
| Mahnwachen und Demos statt – in Braunschweig oder Wilhelmshaven ebenso wie | |
| in Hameln oder Osterholz-Scharmbeck. In Schleswig-Holstein wurde unter | |
| anderem in Kiel, Lübeck und Wedel demonstriert. Dabei sei der Zulauf nach | |
| Angaben der Initiator:innen größer gewesen als zuletzt. | |
| Mit Material von dpa | |
| 18 Apr 2022 | |
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| [1] /Relativierung-des-Ukraine-Kriegs/!5845283 | |
| [2] http://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/ff0c0fe2f571aec4… | |
| [3] https://vvn-bda.de/schluss-mit-dem-krieg-gegen-die-ukraine-aufruf-der-vvn-b… | |
| [4] https://www.dgb.de/themen/++co++6cc45846-b4b0-11ec-8de2-001a4a160123 | |
| [5] /Ostermaersche-in-Deutschland/!5849381 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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