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# taz.de -- Gutachten könnte Energiewende bremsen: Wetterdienst dreht am Rad
> Der Deutsche Wetterdienst hat Bedenken gegen den Ausbau der Windkraft.
> Windmüller fürchten die Wirkung eines Kieler Gutachtens.
Bild: Vertragen sich nicht immer gut: Windräder und Radaranlagen
Rendsburg taz | Felder, Windräder, in der Nähe rauscht die Autobahn 7.
Ginge es nach Hans-Günther Lüth, würden auf diesen Wiesen im Kreis Segeberg
deutlich mehr Anlagen Strom erzeugen. Doch der Deutsche Wetterdienst (DWD)
hat Bedenken: Er betreibt in der Nähe die Radaranlage Boostedt und
fürchtet, dass die rotierenden Flügel seine Messdaten stören.
[1][Vor Gericht bekam der Windpark recht] – doch nun liegt ein neues
Gutachten vor. Das Papier könnte sich negativ auf das [2][„Osterpaket“ des
Bundeswirtschaftsministeriums] auswirken, mit dem eigentlich der Ausbau
erneuerbarer Energien beschleunigt werden soll.
Seit rund zwölf Jahren kämpft Hans-Günther Lüth gegen den DWD für mehr
Windmühlen. Der Ingenieur leitet im Örtchen Wiemersdorf ein Büro, das
europaweit Photovoltaik- und Windparks plant und entwickelt. Im Kreis
Segeberg ist er Geschäftsführer von Bürgerwindparks in [3][Wiemersdorf] und
Großenaspe.
2010 beschlossen die Verantwortlichen, den Park zu erweitern. Es folgten
Anträge, Gutachten, Prozesse. 2020 urteilte das Verwaltungsgericht
Schleswig zugunsten des Windparks: Die Rotoren würden die Messungen nicht
entscheidend stören. Ein Sieg, doch kein Durchbruch: Immer noch fehlen
Genehmigungen für den Weiterbau. „Ich glaube, der DWD hat seine Position
dem Ministerium gut verkauft“, sagt Lüth.
## Windräder könnten Radarstrahlen stören – aber wie stark?
Der Wetterdienst betreibt ein bundesweites Netz von Radaranlagen. Sie
messen Niederschläge und Wind, melden Unwetter und Starkregen. Ihre Daten
bilden die Basis zahlreicher Vorhersage-Dienste, und sie werden gebraucht,
um vor Katastrophen zu warnen.
Die sausenden Flügel eines Windrads könnten die Radarstrahlen stören, so
steht es in einem Gutachten, das ein Lübecker Fachbüro im Auftrag des grün
geführten Kieler Energiewende- und Umweltministeriums erstellte. Damit
deckt sich dieses Gutachten mit den Argumenten, die der DWD seit Jahren
wiederholt.
Das Papier vom November 2021 untersucht die Radarstation Boostedt und die
umliegenden Windanlagen. Es findet Kompromisse, erschwert aber auch einiges
– so sollen auch Rotoren einbezogen werden, die weiter als 15 Kilometer von
der Radarstation stehen, wenn sie Teil eines Windparks sind. Unter dem
Strich könnten zwar einige Anlagen aufgestellt werden, aber nur halb so
viele, wie möglich wären, sagt Lüth.
Dass die Messungen des DWD wichtig sind, bestreitet der Windpark-Betreiber
nicht. Er hält nur die Argumente für falsch: „In allen Gutachten wird
ständig der Konjunktiv benutzt. Wirklich nachgewiesen sind die Auswirkungen
nicht.“ Hinzu komme: „Windräder beeinflussen die niedrigen Bereiche der
Luftschicht. Niederschlag entsteht viel weiter oben, und was dort entsteht,
kommt auch runter.“ Und: „Droht ein Unwetter, schalten Anlagen aus
technischen Gründen ab – oder könnten abgeschaltet werden, wenn der DWD
eine erste Warnung herausgibt.“
## Ein Gefälligkeitsgutachten?
Doch das neue Gutachten schlägt solche Abschalt-Lösungen nicht vor. Lüth
kritisiert, dass das Papier ausführlich die Argumente des DWD zitiert und
dass das beauftragte Lübecker Büro auf seiner Homepage den Wetterdienst als
„Partner“ nennt. Sein Vorwurf: Das Gutachten sei einseitig. Bei einer
Sitzung sei sogar der Satz eines Ministeriums-Mitarbeiters gefallen, es
solle ein Ergebnis herauskommen, „das dem DWD gefällt“.
Das Ministerium weist den Vorwurf zurück: Der Auftrag sei ausgeschrieben
worden. Es zähle die Expertise. Alle Gutachter nutzten Daten des
Wetterdienstes – und auch Argumente aus früheren Stellungnahmen der
Windparkbetreiber seien eingeflossen, sagt eine Sprecherin auf Anfrage.
Allerdings zitiert das Literaturverzeichnis des Papiers, das der taz
vorliegt, überproportional oft den DWD oder Fachleute, die dort arbeiten.
Auf der Homepage des DWD finden sich Einträge, die auf die negativen Seiten
von Windkraft hinweisen, darunter ein Beitrag mit dem Titel: „Lohnt sich
der ganze Wind?“ In einer [4][Broschüre zum Konflikt zwischen Windkraft und
Radar] baut Wetterdienst-Präsident Gerhard Adrian eine Drohkulisse auf: Die
Gesellschaft müsse sich „entscheiden zwischen dem Schutz der Bevölkerung
und Windenergieanlagen im Umfeld unserer Wetterradare“.
Der DWD ist, ebenso wie die Flugsicherung, eine Unterbehörde des
Bundesverkehrsministeriums, das lange von CSU-Ministern geführt wurde.
„Ohne etwas unterstellen zu wollen: Bayern ist nicht gerade bekannt dafür,
Windkraft zu fördern“, sagt Lüth. Sowohl der DWD als auch die Flugsicherung
erheben häufig Protest, wenn Anlagen geplant werden.
Lüth erwartet nun, dass der DWD das vom Ministerium bezahlte Gutachten
bundesweit verwenden wird, um seine Argumente zu untermauern. Zwar sei es
in manchen Punkten besser als der vorherige Stand: „Natürlich kann man
sagen, die Hälfte sei besser als nichts“, sagt der Windmüller. „Aber
eigentlich können wir als Gesellschaft es uns nicht leisten, dass wir das
Potenzial von Flächen nicht ausschöpfen.“
13 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.topagrar.com/energie/news/verwaltungsgericht-schleswig-staerkt-…
[2] /Mehr-Tempo-bei-der-Energiewende/!5847957
[3] https://windpark-wiemersdorf.de/
[4] https://www.dwd.de/SharedDocs/broschueren/DE/presse/windenergie_kontra_rada…
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Deutscher Wetterdienst
Erneuerbare Energien
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