Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Steinmeier unerwünscht in Kiew: Auf das Kanzleramt kommt es an
> Die Ausladung des Bundespräsidenten sorgt in Berlin für Ärger.
> Gleichzeitig häufen sich jene Stimmen, die mehr Waffen an die Ukraine
> liefern wollen.
Bild: Sichtlich enttäuscht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch…
Berlin taz | SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist kein Mann scharfer Worte.
Er tritt, für einen Spitzenpolitiker ungewöhnlich, fast immer verbindlich
und zugewandt auf. Auch im Bundestag kontert er Angriffe meist milde und
sachlich. Doch nach der demonstrativen Ausladung von Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier aus Kiew platzte dem SPD-Mann der Kragen.
Er erwarte, dass „alle demokratischen Parteien unser Staatsoberhaupt vor
ungerechtfertigten Angriffen schützen“. Und weiter: „Bei allem Verständnis
für die existentielle Bedrohung der Ukraine durch den russischen Einmarsch
erwarte ich, dass sich ukrainische Repräsentanten an ein Mindestmaß
diplomatischer Gepflogenheiten halten und sich nicht ungebührlich in die
Innenpolitik unseres Landes einmischen.“
Das richtet sich gegen den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der sich
weit mehr Kritik an deutschen Politikern erlauben kann als je ein Diplomat
zuvor. Denn Deutschland hat angesichts der Terrors der russischen Armee ein
schlechtes Gewissen. Hätten auch die USA vor dem 24. Februar, so wie
Deutschland, keine Waffen an Kiew geliefert – die Ukraine wäre schon ein
russisch beherrschter Satrapenstaat.
Steinmeier gilt vielen in der Ukraine als Gesicht der
[1][russlandfreundlichen Politik]. Doch die Ausladung des Bundespräsidenten
hat in der politischen Klasse in Berlin unisono für Verärgerung gesorgt, in
unterschiedlichen Graden. Außenministerin Annalena Baerbock erklärte knapp,
sie hätte Steinmeiers Reise „für sinnvoll gehalten“. Deutlicher äußerte
sich FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, der die Ausladung für „sehr
unglücklich“ hält.
## Selenski will Druck auf Scholz ausüben
Als die Nachricht von dem diplomatischen Affront Richtung Berlin kam, war
Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des verteidigungspolitischen
Ausschusses des Bundestags, dort, wo Steinmeier nicht hindarf – in der
Ukraine, genauer gesagt in Lwiw. Die FDP-Politikerin war zusammen mit
SPD-Mann Michael Roth (Auswärtiger Ausschuss) und dem Grünen Toni Hofreiter
(Europaauschuss) in die Westukraine gereist.
Das Ziel der drei Ausschussvorsitzenden, die alle die deutsche
Zurückhaltung bei Waffenlieferungen kritisieren: Sie wollten beim Treffen
mit ukrainischen Parlamentariern ein Signal setzen, dass Berlin mehr tun
wird. Mit den ukrainischen Kollegen, so Strack- Zimmermann, habe man die
Ausladung nicht groß besprochen. Der Eindruck der FDP-Frau: Die vier
Rada-Abgeordneten waren ähnlich irritiert über Selenskis Affront wie
Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali. Der
erklärte: wichtig sei die „gemeinsame Front gegen die russische Invasion“ …
und kein Streit zwischen Kiew und Berlin.
Der rüde diplomatische Fußtritt aus Kiew richtet sich nicht nur gegen
Steinmeier. Er ist ein nassforscher Versuch, Druck auf Kanzler Scholz zu
machen, den Selenski gleichzeitig nach Kiew einlud. Die Ukraine will mit
allen Mitteln erreichen, dass Berlin mehr tut. Ein Ölembargo hält man in
der Ukraine für ganz schnell machbar. Öl ist der größte Devisenbringer für
Moskau. Und es geht um schwere Waffen, Schützen – und Kampfpanzer. Kanzler
Olaf Scholz (SPD) ist bei dem Thema sehr zurückhaltend. Doch angesichts der
grauenhaften Bilder des russischen Terrors wird es zusehends schwieriger,
diese Position zu halten.
Der Grüne Toni Hofreiter sagte dazu: „Unsere Minister drängen darauf, mehr
Waffen zu liefern. Wir wissen nicht, warum Scholz so lange zögert.“
Hofreiter hält ein schnelles Ölembargo, das die Ukraine will, für machbar.
Das sei in zwei Wochen umsetzbar. Das umstrittene und für die deutsche
Wirtschaft schmerzhafte sofortige Gasembargo habe bei den Diskussionen in
Lwiw indes keine große Rolle gespielt – ebenso wenig wie eine
Flugsverbotszone. Will sagen: Die Politiker in der Ukraine ticken rational
und verstehen, wie die deutsche Politik tickt – ein Eindruck, den Selenskis
Ausladung des Bundespräsidenten nicht unbedingt vermittelte.
## 100 Schützenpanzer von Rheinmetall
Die Debatte um Waffenlieferungen fokussiert sich auf 100 alte
Schützenpanzer, die Rheinmetall liefern will. Das ist eher unterkomplex.
Denn es würde Zeit brauchen, bis das ukrainische Militär diese Panzer
einsetzen kann. Die Angaben, wie lange, schwanken irritierenderweise
zwischen mehreren Wochen (Waffenlieferungsbefürworter) und drei Jahren
(Waffenlieferungsskeptiker).
Sicher ist, was schnell hilft: das Modell Slowakei. Die vermachte der
Ukraine ein altes sowjetisches Flugabwehrsystem, das unter anderem von
Deutschland mit modernen Waffen ersetzt wurde. Das soll jetzt die Blaupause
für die rasche Militärhilfe an Kiew sein: sowjetische, sofort einsatzfähige
Waffen liefern und die durch neue westliche Waffen in den Lieferstaaten
ersetzen.
Mittelfristig müsse man auch schwere, westliche Waffen an die Ukraine
liefern und zudem ukrainisches Militär auf Nato-Gebiet ausbilden, so Roth,
Hofreiter und Strack-Zimmermann. Das Gegenargument, dass der Westen sich
damit [2][gefährlich Richtung Kriegsbeteiligung] bewege, will niemand der
drei gelten lassen. Das sei ein Argument, um nichts zu tun.
Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hat zwei konkrete Forderungen: „Wir
müssen dringend auch schwere Waffen liefern. Und das muss im Kanzleramt
koordiniert werden“. Nur so sei ein reibungsloser Ablauf zwischen
Verteidigungsministerium, Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium
gesichert. Will sagen: Auf das Kanzleramt kommt es an.
13 Apr 2022
## LINKS
[1] /Steinmeiers-Selbstkritik/!5846071
[2] /Panzerhaubitzen-fuer-Kiew/!5848373
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Frank-Walter Steinmeier
Wolodymyr Selenskij
Waffenlieferung
GNS
Kolumne Grauzone
Frank-Walter Steinmeier
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Russische Propaganda: Purer Hohn für den Journalismus
Marina Owsjannikowa hatte im russischen Fernsehen protestiert. Nun arbeitet
sie für die Zeitung „Welt“ und stellt damit den unabhängigen Journalismus
in Frage.
Affront gegen Steinmeier: In Kiew nicht erwünscht
Man kann die Wut in Kiew auf die deutsche Russlandpolitik verstehen. Aber
klug ist die demonstrative Ausladung von Steinmeier nicht.
Folteropfer in der Ukraine: „In meinem Kopf war nur noch Nebel“
Als russische Soldaten die Stadt Irpin besetzten, flüchtete Wjatscheslaw
Pritulenko erst in den Keller des Elternhauses – und wurde dann fast
ermordet.
Osteuropa-Expertin zu Russlandpolitik: „Russland ist nicht unser Nachbar“
Lange war das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ein gutes.
Franziska Davies erklärt, warum die Interessen von Ostmitteleuropa
vergessen wurden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.