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# taz.de -- Irritierende Kunst in der Kleinststadt: Hinter der Hülle
> Christo? Nicht ganz. Aber dass im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt
> gerade ein Haus eingepackt ist, hat gute Gründe.
Bild: Fragen an die Außenwelt: Zuzanna Czebatuls „The joy of being the cause…
Christo auf dem platten Land? Doch, ja: Sich erinnert zu fühlen ans
weltbekannte Künstler:innenpaar mit den verhüllten
Wahrzeichen-Bauwerken, das ist nachvollziehbar. Denn verhüllt ist seit
Mitte März auch im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt – etwas über
6.000 Einwohner*innen – ein Stück öffentlichen Raums: mit
Baugerüstplane, ohne dass aber auch gebaut würde.
Das Haus der [1][Arthur-Boskamp-Stiftung] hat die Berliner Künstlerin
Zuzanna Czebatul da verpackt, genauer: einen Teil davon und auch den nur
teilweise. Die Christo-Ähnlichkeit endet also auch gleich wieder. „The joy
of being the cause“ steht nun in Schreibschrift groß auf der einen Seite
des „M.1“, so heißt das Gebäude ganz genau.
„M“ steht dabei für „Massiv-Baracke“: [2][Hohenlockstedt war seit dem …
Jahrhundert Militärlager], erst dänisch, dann preußisch, später waren die
SA, Heeressportschüler, aber auch Zwangsarbeiter*innen hier
kaserniert. „Hohenlockstedt“ heißt der Ort erst seit 1956: Damals fand man
„Lockstedter Lager“ irgendwie doch zu belastet – immerhin sitzt mit
Pohl-Boskamp ein bedeutender Pharmakonzern im Ort, da muss man doch an die
Wirkung denken.
Um die Ecke, parallel zur Breiten Straße, die so breit nicht ist, hat
Czebatul wandhoch sechs längliche, rechteckige Strukturen auf die Plane
gezeichnet. Sind das die causes, die Ursachen, von denen der Wandtext
spricht? Wenn ja: Was verursachen sie?
## Exklusivität und Alltag
„Exclusivities – Exklusivitäten“ ist das Ausstellungs- und Diskursprogra…
überschrieben, zu dem die noch bis Anfang Mai zu sehende teilweise
Verhüllung gehört. Es widmet sich „Fragen der Exklusivität“ in einer
„Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen innen und außen, privat und
öffentlich zunehmend verwischen, während soziale, kulturelle und
wirtschaftliche Grenzen an Bedeutung gewinnen“.
Durchaus nicht zuletzt interessiert sich Agnieszka Roguski, seit Anfang
2021 für 18 Monate Kuratorin des Programms, für die Grenzen und Schwellen
im eigenen Betrieb: die Ein- und Ausschlussmechanismen von
Kulturinstitutionen. Und das passt: Einerseits verstärkt die Plane vor den
Fenstern – als deren skizzenhafte Wiedergabe nämlich entpuppen sich die
merkwürdigen Rechtecke – das Trennende: Weil sie da hängt, ist es schwerer,
wenn auch nicht unmöglich, hineinzuschauen in den Ausstellungsraum.
## Unsichtbares sichtbar gemacht
Die temporäre Hülle macht etwas Unsichtbares sichtbar, sie unterstreicht,
dass [3][Kleinststadt und White Cube aneinander grenzen] mögen, sich
berühren, aber doch nicht dasselbe sind. Andererseits: Hauswandgroß richtet
sich diese Kunst an ihre Umgebung, will gesehen werden, ohne dass der ach
so andere Raum betreten werden muss; will vielleicht auch Irritation, eben,
verursachen bei den Betrachter*innen.
Der Raum hinter der Inhalt gewordenen Hülle übrigens ist leer: Es gibt
keine weiteren Exponate, das Publikum ist allein mit sich selbst und mit
seinen Erwartungen. Bleibt der Gegenschuss, der Blick nach draußen:
wiederum getrübt, aber nicht versperrt. Ständig ändert sich das Licht, wenn
der Wind unter die Plane fährt. Diese Bewegung doppelt noch der
Hintergrund: spektakuläre Wolken am holsteinischen Himmel.
10 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.m1-hohenlockstedt.de/de/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lockstedter_Lager_Luftaufnahme_1908.jpg
[3] /Archiv-Suche/!5796356
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Kolumne Großraumdisco
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Kunst im öffentlichen Raum
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Schleswig-Holstein
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Sozialismus
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