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# taz.de -- „Runet“ soll Russlands Internet werden: Der virtuelle Eiserne V…
> Russland will sich vom World Wide Web abkoppeln. Doch das ist technisch
> nicht so einfach – und sicherheitspolitisch riskant.
Bild: Smartphones als Instrument der Opposition: Alexei Nawalnys Anhänger in N…
„Das Internet ist ein CIA-Projekt.“ [1][Diesen Satz sagte Wladimir Putin
2014] – in dem Jahr, in dem Russland völkerrechtswidrig die Krim
annektierte. Man muss ihn im Hinterkopf haben, wenn man über Russlands
Pläne eines „souveränen Internets“ spricht. Auch wenn der Vorläufer des
Internets, das Arpanet, vom US-Verteidigungsministerium entwickelt wurde,
so ist die Idee eines „CIA-Projekts“ doch eine sehr unterkomplexe
Vorstellung einer technischen Infrastruktur, die aus so vielen Servern,
Knoten und Netzwerken besteht, dass nicht mal die NSA mit ihren riesigen
Rechenzentren die Kommunikationsströme vollumfänglich überwachen könnte.
Doch der Satz lässt tief blicken in die Seelenkammer einer Nation, deren
Führung westliche Kommunikationstechnologien schon immer mit Skepsis
betrachtet hat. Der Machthaber im Kreml fürchtet, dass über Datenleitungen
die Ideen von Freiheit und Demokratie ins Land einsickern könnten.
Daher hat das russische Parlament [2][2019 ein Gesetz über ein „souveränes
Internet“ („Runet“)] verabschiedet. Das Gesetz verpflichtet russische
Provider unter anderem, ihren Traffic über nationale Server laufen zu
lassen und lokale Kopien des Domain Name System (DNS) zu erstellen, eine
Art Telefonbuch des Internets. Mit einem eigenen Internet, so das Kalkül,
könnte der Kreml zum einen Inhalte besser überwachen, zum anderen die
kritische Infrastruktur des Landes besser gegen Cyberattacken schützen.
2019 will Russland einen ersten erfolgreichen Test absolviert haben.
Wie ernst die russische Regierung die Sache nimmt, zeigt eine Order des
Digitalministers Andrei Chernenko, die nationale Provider anweist, Java
Script-Code von Webseiten zu entfernen. Das ist ungefähr so, als würde das
Bundesbauministerium Häuslebauern verbieten, Beton zu verwenden. Denn Java
Script ist ein zentraler Baustein von Webseiten. Viele Portale benötigen
die Programmiersprache, um Seiteninhalte korrekt darzustellen – und laden
diese von ausländischen Servern herunter.
## Mehrere Länder versuchen das Internet zu beschneiden
Russland ist nicht das einzige Land, das sich vom World Wide Web abkoppeln
will. Der Iran werkelt an einem [3][landesweiten Intranet], das islamische
Inhalte verbreiten und 2025 fertiggestellt werden soll. China hat eine
[4][digitale Brandmauer („The Great Firewall“)] mit einem gigantischen
Zensurapparat errichtet, der Seiten wie Facebook, Google oder Twitter
blockiert. Und auch in den USA wurde unter Präsident Obama eine Strategie
[5][(„Kill Switch“)] diskutiert, die es dem Staatschef erlauben würde, das
Internet in begründeten Notfällen wie beispielsweise Terroranschlägen
abzuschalten. Doch ein Land kann man nicht einfach vom Internet trennen wie
einen Computer vom Strom, selbst wenn es autoritär regiert wird.
Das World Wide Web ist ein fein gewobenes Netz, das sich durch die
Kapillaren der Öffentlichkeit zieht. Selbst blockierte Seiten wie die
Rechercheplattform Bellingcat lassen sich mit Tools wie einem Virtual
Private Network (VPN) aufrufen, das IP-Adressen verschleiert und den
Datenverkehr über private Server umleitet. In Russland gibt es immer noch
über 3.000 Provider, was eine vollständige staatliche Kontrolle nahezu
unmöglich macht.
Zwar verfügt das Land über nationale Player wie die Suchmaschine Yandex,
den Facebook-Klon VK sowie den E-Mail-Dienst Mail.Ru. Doch die Wirtschaft
hängt, gerade was das Cloud-Geschäft betrifft, sehr von Amazon- und
Google-Diensten ab. Experten bezweifeln, dass Russland ein so hermetisch
abgeriegeltes Internet wie China bauen und aufrechterhalten kann: Die
Staatsführung in Peking gibt jährlich umgerechnet 20 Milliarden Dollar für
Zensurhardware aus – und kontrolliert quasi alle neuralgischen Punkte der
Netzarchitektur. Dafür dürften dem durch Sanktionen belasteten russischen
Staatshaushalt schlicht die finanziellen Mittel fehlen.
Die mit einem unabhängigen Runet angestrebten Souveränitäts- und
Sicherheitsgewinne könnten sich am Ende als Eigentor erweisen. Auf der
einen Seite reduziert sich damit die Schlagkraft von russischen
Cyberangriffen, die häufig über ausländische Server orchestriert werden. So
erfolgte die russische DDoS-Attacke auf Georgien 2008 – eine
Angriffsstrategie, bei der Webseiten mit massenhaft Datenpaketen geflutet
werden – unter anderem über amerikanische Rechner.
Auf der anderen Seite schafft ein isoliertes Netz neue Verwundbarkeiten.
Die renommierte Denkfabrik [6][Atlantic Council schreibt in einem Bericht],
dass ein nationales Domain Name System mehr Angriffspunkte für Hacker
biete. Potenzielle Angreifer könnten Datenpakete, die in einem nationalen
Netzwerk hin- und hergeschickt werden, leichter lokalisieren und abgreifen.
Fakt ist: Das Runet wird das Land weiter isolieren – und die
Fragmentierungstendenzen im Netz (Stichwort „Splinternet“) verstärken.
3 May 2022
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/wladimir-putin-das-internet-ist…
[2] /Zensur-im-russischen-Internet/!5576659
[3] /Internetzensur-im-Iran/!5063585
[4] /Ueberwachung-in-China/!5061962
[5] /Debatte-um-Kill-Switch/!5127430
[6] https://www.atlanticcouncil.org/in-depth-research-reports/issue-brief/reass…
## AUTOREN
Adrian Lobe
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