| # taz.de -- Zensur im russischen Internet: Netz unter Druck | |
| > In Russland soll ein autarkes Internet aufgebaut werden. Der Duma geht es | |
| > dabei um Unabhängigkeit von den USA – aber nicht nur. | |
| Bild: „Rettet das Internet, rettet Russland“ – viele Russ*innen befürcht… | |
| MOSKAU taz | Das russische Internet soll laufen. Auch wenn im Ausland die | |
| Server ausfallen; auch, wenn Verbindungen gezielt gekappt würden. Das ist | |
| das Ziel eines Gesetzes, das die Duma, das russische Unterhaus, vor zwei | |
| Wochen auf den Weg gebracht hat. Die übergroße Mehrheit stimmte bereits im | |
| ersten Durchgang dafür: mit 334 zu 47 Stimmen. | |
| Hier geht es nicht um das [1][Falschnachrichten-Gesetz von letzter Woche], | |
| das bereits zu einem Aufschrei und Protesten geführt hat. Es geht hier um | |
| die Beschaffenheit des Internets an sich. Durch eine eigene Infrastruktur | |
| soll die Funktion des russischen Internets, des Runets, garantiert werden, | |
| falls der Zugriff auf Server im Ausland unterbrochen sein sollte. Dafür | |
| soll laut Entwurf bis Juli eine neue Behörde eingerichtet werden, das | |
| „Zentrum für Monitoring und Lenkung“. | |
| Moskau befürchtet, dass sich die Beziehungen zu den USA weiter | |
| verschlechtern, und sich das direkt auf den Internetzugriff der Russen | |
| auswirken könnte. Auch wenn die Bedeutung der USA beim globalen | |
| Datenverkehr in den letzten Jahren abgenommen hat: Noch immer befindet sich | |
| die Infrastruktur, die das Internet am Laufen hält, zu großen Teilen in den | |
| Staaten. Das gilt zum Beispiel für diejenigen Server, über die wichtige | |
| Daten wie der internationale Zahlungsverkehr laufen. | |
| Ein russischer Probelauf, der die Abkopplung vom WWW testen soll, ist für | |
| Mitte März geplant. Russland bastelt schon seit Längerem an einem | |
| „souveränen Internet“, das nur noch über eigene Server laufen soll. | |
| Roskomnadzor, Russlands Aufsichtsbehörde für Telekommunikation und | |
| Datenschutz, wird die Server kontrollieren. Auch das neue Monitoringzentrum | |
| untersteht deren Überwachung. | |
| ## Der Kreml ist nervös | |
| Es geht dabei allerdings nicht nur um ein verlässliches Internet, sondern | |
| auch darum, den unüberwachten Transfer von Geldern zu verhindern. „Graue | |
| Schemata“ nennt das die Tageszeitung Iswestija etwas nebulös. Darüber | |
| hinaus spielt für Russland natürlich Informationssicherheit eine Rolle. | |
| Geheimdienstler Wladimir Putin sagte im Gespräch mit Medienvertretern in | |
| Moskau kürzlich, er sei sicher, die USA würden „alles lesen, aufnehmen und | |
| verwerten“. „Warum sollten sie ihre wichtigste Quelle abstellen?“, fragte | |
| der Kremlchef rhetorisch. | |
| Der Kreml ist nervös. Die neuen Technologien setzen den Überwachungsstaat | |
| unter Druck. Auch die eigenen Bürger machen der Regierung zu schaffen. Vor | |
| allem die jungen Russen, die sich vom Fernsehen nicht mehr steuern lassen. | |
| Soldaten dürfen seit Kurzem keine Smartphones oder iPads mehr bei sich | |
| tragen. Denn Selfies der Armeeangehörigen kursierten im Internet. Standorte | |
| und Bewegungen der Einheiten wurden so im Ukrainekrieg ungewollt | |
| offengelegt. | |
| Bis 2012 war das Runet unkontrolliert. Doch dann gingen massenweise Wähler | |
| wegen Wahlbetrugs bei den Dumawahlen auf die Straße. Auch Wladimir Putins | |
| Entscheidung, bei den Präsidentenwahlen noch einmal anzutreten, [2][sorgte | |
| für Proteste]. | |
| Nach den Protesten veränderte sich der Blick der Regierung auf das Netz, | |
| denn das Internet war über Nacht zum Organisator von Massenprotesten | |
| geworden. Das sollte verhindert werden. Provider und Telekom-Anbieter | |
| müssen heute Regierung oder Geheimdienst technische Neuerungen und | |
| Geschäftsvorhaben mitteilen. Kritiker werden behindert und vermeintlich | |
| extremistische Posts entfernt. Die Menschenrechtler von der Moskauer NGO | |
| Agora zählten im Jahr 2018 mehr als 662.000 Eingriffe in die Freiheit der | |
| Nutzer. Als „Eingriffe“ gelten blockierte Seiten, Abmahnungen und | |
| Warnungen. 2017 zählte Agora mit 116.000 Eingriffen noch weitaus weniger. | |
| „Es läuft eindeutig auf Verschärfung hinaus“, meint Damir Gainutdinow, der | |
| seit zehn Jahren für Agora die Daten erhebt. | |
| Darüber hinaus werden jeden Tag 1.300 Websites blockiert, jeden achten Tag | |
| wird ein Nutzer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wie Alexander Judin, | |
| der wegen eines vermeintlichen Terroreintrags sieben Jahre Lagerhaft | |
| erhielt. Judin stammt aus Magadan im Osten Russlands, einer Region, die | |
| offenbar besonders in den Blick genommen wird, mehr als 200 Verletzungen | |
| wurden dort pro 100.000 User geahndet. | |
| Auf der [3][Freiheitsskala von Freedom House] landete Russland von 65 | |
| Staaten auf Platz 53, hinter Thailand und Gambia. | |
| Inzwischen werde modernisiert und ausgebaut, meint der IT-Spezialist Andrei | |
| Soldatow, Autor des Buches „The Red Web: The Kremlin Wars on the Internet“. | |
| Die älteren elektronischen Überwachungsschnittstellen, bekannt als | |
| SORM-Boxen, die den Netz-Verkehr direkt beim Anbieter aufzeichnen und | |
| kontrollieren, werden gegen leistungsstärkere ausgetauscht. Sie können | |
| mittlerweile alles blockieren und filtern, was dem Kreml suspekt ist. Geht | |
| das Gesetz durch – woran niemand zweifelt –, dann wäre jeder Anbieter | |
| verpflichtet, die modernisierten Boxen anzuschließen. | |
| Seit 2015 gibt es zudem Vorbereitungen, damit eine Region oder auch das | |
| ganze Land theoretisch vom Netz genommen werden könnte. In der kleinen | |
| [4][nordkaukasischen Republik Inguschetien] hat es bereits einen Probelauf | |
| gegeben. Im vergangenen Oktober gingen die Einwohner wegen eines | |
| Landstreits aus Protest auf die Straße. Sie wehrten sich gegen eine | |
| Vereinbarung mit dem Nachbarn Tschetschenien, der von der kleinsten | |
| russischen Republik Landabtretungen verlangte. Auch Polizisten schlossen | |
| sich den Demonstranten an. Moskau war beunruhigt. Aktivisten und | |
| Journalisten berichteten, bis die Verbindungen plötzlich verschwanden. Alle | |
| drei in Inguschetien tätigen Mobilfunkunternehmen hatten ihre 3G- und | |
| 4G-Verbindungen auf Wunsch des Geheimdienstes ausgeschaltet, sagt Andrei | |
| Soldatow. Die Livestreams der Reporter brachen ab. Zwei Wochen nahm der | |
| Geheimdienst die Republik auf diese Weise vom Netz. Zwar konnte nicht alles | |
| lückenlos abgeschaltet werden, der Probelauf sei dennoch als Erfolg | |
| gewertet worden, meint Soldatow. | |
| ## Ständig aktualisierte Verbotsliste | |
| Die großen russischen Plattformen wehrten sich anfangs noch gegen den | |
| Geheimdienst. Aber der Widerstand der Suchmaschine Yandex, des Mail-Service | |
| Mail.ru und des sozialen Netzwerks Odnoklassniki ist inzwischen gebrochen. | |
| Auch sie unterstützen mittlerweile die „digitale Souveränität“. | |
| Das heißt, dass Sicherheitsdienste jede Mail abfangen können, wobei sie | |
| allerdings nach wie vor die besonders geschützten HTTPS-Protokolle nicht | |
| entschlüsseln können. Auch die Digitalisierung der Haustechnik erschwere | |
| den direkten Zugriff, meint IT-Experte Soldatow. | |
| Im letzten Jahr scheiterten die Überwacher beim Versuch, den | |
| Messenger-Dienst Telegram zur Öffnung seiner Chats zu zwingen. Nicht immer | |
| wird in Russland ein technisches Verbot lückenlos umgesetzt und befolgt. | |
| Auch Google drohte zunächst Schließung. Das US-Unternehmen gab schließlich | |
| nach und blockierte die Einträge von der „schwarzen Liste“ der | |
| Kontrolleure. Rund 70 Prozent der beanstandeten Sites sperrt Google laut | |
| der Zeitung Wedomosti. Dafür gibt es jeden Tag eine aktualisierte | |
| Verbotsliste. | |
| 14 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kommentar-Fake-News-Gesetz-in-Russland/!5573210 | |
| [2] /Kommentar-Russlands-unter-Putin/!5099124 | |
| [3] https://freedomhouse.org/report/freedom-world/freedom-world-2019/democracy-… | |
| [4] /Opposition-im-Nordkaukasus/!5475444 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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