# taz.de -- Kürzungen im Berliner Haushalt: Kein Geld für queere Bildung | |
> Die Bildungsverwaltung will queeren Projekten im nächsten Haushalt die | |
> Mittel kürzen. Passt das zu den Zielen der rot-rot-grünen Koalition? | |
Bild: Berlin soll Regenbogenhauptstadt bleiben, steht im rot-rot-grünen Koalit… | |
BERLIN taz | Es war ein vielversprechendes queerpolitisches Programm, das | |
die rot-grüne-rote Landesregierung im Dezember in ihrem | |
[1][Koalitionsvertrag] vorgestellt hatte: Damit Berlin | |
„Regenbogenhauptstadt“ bleibt, wolle man die Initiative geschlechtliche und | |
sexuelle Vielfalt (IGSV) „ausbauen und verankern“ und Fachstellen für | |
queere und intersektionale Bildung stärken. | |
Wie ernst gemeint politische Vorhaben wirklich sind, zeigt sich auch darin, | |
wie viel Geld eine Regierung für ihre Umsetzung auszugeben bereit ist. Im | |
Juni will das Abgeordnetenhaus den Haushalt für 2022 und 2023 | |
verabschieden. Aktuell sieht es so aus, als müssten sich ausgerechnet | |
Antidiskriminierungsprojekte in Bildungseinrichtungen auf drastische | |
Kürzungen einstellen. So sieht es der [2][Haushaltsentwurf der | |
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie] vor. | |
Betroffen sind unter anderem die Projekte, die im Rahmen der IGSV | |
finanziert werden. Dazu gehören Queer@school, die Initiative | |
Intersektionale Pädagogik (i-Päd) und Queer History Month. Bisher hat die | |
Bildungsverwaltung sie jährlich mit insgesamt 100.000 Euro gefördert, für | |
den anstehenden Doppelhaushalt sind nur noch 80.000 Euro pro Jahr | |
vorgesehen. Vollständig gestrichen werden sollen unter anderem ein eigener | |
Titel der i-Päd-Kompetenzstelle (150.000 Euro), die Förderung der Berliner | |
Aidshilfe (120.000 Euro) und die Unterstützung für die sexualpädagogische | |
Arbeit des BiKo e. V. (100.000 Euro). | |
## Hohe Nachfrage nach queeren Bildungsangeboten | |
„Ich bin selbst in einem kleinen Dorf aufgewachsen, in dem | |
Queerfeindlichkeit ein großes Problem war. So ein Workshop, wie wir sie | |
geben, hätte da unglaublich geholfen“, sagt Lara Hansen, Mitarbeiterin bei | |
Queer@School. Gemeinsam mit anderen queeren Ehrenamtlichen im Alter von 19 | |
bis 27 gibt die Studentin im sogenannten Peer-to-Peer-Prinzip an Schulen | |
und Jugendeinrichtungen Workshops zu geschlechtlicher und sexueller | |
Vielfalt. Ziel ist, Diskriminierung vorzubeugen, einen geschützten Raum für | |
Fragen zu bieten und Schüler*innen zu ermutigen. „Wenn ich in die | |
Schulen gehe, sehe ich, wie viele mit ihrer Sexualität kämpfen“, sagt | |
Hansen, „und dass in einigen Klassenräumen einfach noch Queerfeindlichkeit | |
herrscht.“ | |
Die Nachfrage ist hoch: „Wir kriegen jedes Jahr um die 80 Anfragen, rund 40 | |
Workshops können wir dann auch tatsächlich anbieten“, sagt Marie | |
Springborn, Projekt- und Bildungsreferent*in bei Queer@School. Sie ist | |
eine*r von zwei hauptamtlichen Mitarbeiter*innen des Projekts, die | |
Aufträge koordinieren, Verwaltungsaufgaben übernehmen und sich mit um die | |
Workshopentwicklung kümmern. Mit der drohenden Mittelkürzung stehen beide | |
Arbeitsplätze auf dem Spiel – und damit das Fortbestehen des gesamten | |
Projekts. | |
Auch i-Päd hat bis zum Abschluss der Haushaltsverhandlungen keine | |
finanzielle Sicherheit. i-Päd sensibilisiert Lehrende und pädagogisches | |
Fachpersonal in Schulungen zu Diskriminierung – unter anderem im Auftrag | |
der Senatsverwaltung für Bildung: „Wir bekommen von derselben | |
Bildungsverwaltung, die uns jetzt Gelder streicht, Anfragen, ihr | |
schulpraktisches Seminar fortzubilden. Das ist wirklich paradox“, sagt | |
Edwin Greve, Mitarbeiter des Projekts. | |
## Ein Bruch des Koalitionsvertrages? | |
Von den Sparmaßnahmen ist die Kompetenzstelle gleich doppelt betroffen: | |
i-Päd finanziert sich über IGSV-Fördergelder und einen eigens | |
eingerichteten Fördertopf der Bildungsverwaltung über 150.000 Euro | |
jährlich. Sebastian Walter, Sprecher für Queer- und Haushaltspolitik der | |
Berliner Grünen, hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam | |
mit [3][Bettina Jarasch] dafür eingesetzt, dass i-Päd diesen eigenen Titel | |
bekommt. Ziel war, dass die Initiative genügend Ressourcen hat, um | |
nachhaltige Strukturen in Bildungseinrichtungen zu fördern, statt nur | |
punktuell Workshops zu geben: So konnte i-Päd Arbeitsgruppen an Schulen | |
aufbauen und Antidiskriminierungsbeauftragte einsetzen. | |
Diese längerfristigen Maßnahmen sollen nun nicht mehr stattfinden. | |
Sebastian Walter sagt, er hoffe nicht, „dass das auch eine politische | |
Aussage ist“. Ein Bruch des Koalitionsvertrages wären die Sparmaßnahmen | |
allemal. | |
Bis Mitte des Jahres arbeiten Queer@School und i-Päd nun mit reduzierten | |
Mitteln und ohne langfristige Perspektive: Die Bildungsverwaltung hat | |
beiden Projekten im Rahmen der vorläufigen Haushaltswirtschaft nur noch bis | |
Juni Fördergelder zugesichert. Warum gleich mehrere | |
Antidiskriminierungsprojekte im kommenden Haushalt kein oder deutlich | |
weniger Geld bekommen sollen, will die Senatsverwaltung auf Nachfrage der | |
taz wegen der laufenden Verhandlungen nicht beantworten. Gegenüber i-Päd | |
soll sie die Sparmaßnahmen mit den [4][Auswirkungen der Coronapandemie] | |
begründet haben, will sich Edwin Greve erinnern. | |
## i-Päd hofft auf den Bildungsausschuss | |
„Es ist sehr auffällig, dass im Bildungsbereich vor allem bei wichtigen | |
queerpolitischen Projekten der Rotstift angesetzt worden ist“, sagt Claudia | |
Engelmann (Linke). Sie sitzt im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses, | |
der am 31.März über den Haushaltsentwurf berät, und hat mehrere | |
Berichtsaufträge an die Senatsverwaltung gestellt, um zu erfahren, warum | |
ausgerechnet diese Mittel gekürzt werden sollen: „Da wird Corona als | |
Begründung nicht ausreichen.“ | |
Am 23. Juni soll das Parlament den Doppelhaushalt verabschieden. Edwin | |
Greve ist vorsichtig optimistisch, dass die Kürzungen verhindert werden | |
können: „Das ist jetzt genau die Zeit, um das Ruder noch einmal | |
rumzureißen.“ | |
30 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rot-gruen-roter-Koalitionsvertrag/!5815671 | |
[2] https://www.parlament-berlin.de/adosservice/19/Haupt/vorgang/h19-0200-Anlag… | |
[3] /Senatorin-Jarasch-ueber-gruenen-Stadtumbau/!5833830 | |
[4] /Finanzpolitik-in-Berlin/!5833818 | |
## AUTOREN | |
Johanna Jürgens | |
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