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# taz.de -- Nina Gregori über Hilfe für Geflüchtete: „Die bisherige Reakti…
> Bei der Aufnahme der Ukrainer:innen sind sich alle EU-Staaten einig,
> sagt die Direktorin der EU-Asylagentur. Eine Umverteilung sei nicht
> geplant.
Bild: In Sicherheit: Eine Ukrainerin mit ihrem Kind erreicht am 1. April die po…
taz: Frau Gregori, rund ein Zehntel aller Ukrainer:innen sind in die EU
geflüchtet – und es könnten noch deutlich mehr werden. Wie muss die EU
darauf reagieren?
Nina Gregori: Die bisherige Reaktion auf die vollkommen neue Situation der
Krise in der Ukraine war erst einmal schnell und gut. Die
Massenzustromrichtlinie wurde sehr schnell aktiviert, erfreulicherweise mit
einem einstimmigen Beschluss. In Migrationsfragen sind die EU-Staaten ja
oft uneins, es gibt da sehr verschiedene Herangehensweisen. Hier war es
anders.
Bislang konzentrieren sich die Ankünfte [1][auf die direkten
Nachbarstaaten]. Auf die Dauer wird das nicht so bleiben können. Was ist zu
tun?
Man muss hier zwei Fälle unterscheiden. Der erste ist die Republik Moldau,
ein Nachbarstaat, der nicht in der EU ist. Dorthin sind bisher etwa 400.000
Menschen geflohen, im Vergleich zur Bevölkerung ist das der höchste Wert
unter den Nachbarstaaten. Elf EU-Staaten haben Moldau insgesamt rund 15.000
Aufnahmeplätze für Ukraineflüchtlinge angeboten. Das ist bisher das
einzige formale Verteilungsverfahren.
Das Gros der Angekommenen ist in den EU-Nachbarstaaten. Aus Polen kamen in
letzter Zeit widersprüchliche Signale, was eine Umverteilung angeht. Wie
ist da die Situation?
Es gibt bislang von keinem EU-Staat eine formale Anfrage für Umverteilung,
weder aus Polen noch aus der Slowakei, Tschechien, Ungarn oder Rumänien.
Natürlich bereiten wir uns aber darauf vor, dass eine formelle Verteilung
innerhalb der EU nötig werden könnte. Die Massenzustromrichtlinie
ermöglicht eine solche Maßnahme rechtlich. Voraussetzung ist, dass ein
Mitgliedstaat das vorschlägt. Die Entscheidung liegt beim Rat.
Die Ankommenden ziehen bisher also nur eigenständig weiter. Wohin?
Ukrainer:innen haben das Recht, sich 90 Tage frei zu bewegen. Die
eigentliche Registrierung findet im Zielland statt. Dort wird eine
Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. An den Zahlen dieser Registrierungen kann
man sehen, wohin die Menschen wirklich wollen. Viele sind etwa nach
Italien, Spanien und auch Griechenland gezogen – an Orte mit einer
ukrainischen Diaspora. Es ist eine De-facto-Verteilung, aber sie wird von
den Menschen selbst betrieben.
Wie wird es sein, wenn bald mehr Menschen kommen, die keine persönlichen
Kontakte in andere EU-Staaten haben?
Wir rechnen damit, dass eine solche zweite Welle bald kommen wird. Wir
brauchen dann wohl mehr Koordination für die Verteilung durch die
EU-Kommission. Bis jetzt gibt es dafür die sogenannte
Solidaritätsplattform.
Wie funktioniert die?
Damit werden die Flüchtlinge aus Moldau in andere EU-Staaten verteilt. Dazu
gibt es wöchentliche Treffen, die die Kommission koordiniert. Daran sind
die Mitgliedstaaten beteiligt, aber auch wir. Schon heute gibt es zwischen
den Mitgliedstaaten bilaterale Vereinbarungen über den Weitertransport. Wir
wollen aber auch bei diesen freiwilligen Kooperationen zu einem
europäischeren Ansatz kommen.
Als EU-Asylbehörde sind Sie für Flüchtlinge zuständig. Die
Ukrainer:innen sind aber keine Asylbewerber. Was heißt das für Ihre
Arbeit?
Das stimmt. Trotzdem haben wir ein Mandat für die Ukrainer:innen. Die
Kommission hat es uns mit dem Beschluss zur Massenzustromrichtlinie
erteilt. Wir sollen unter anderem bei der Registrierung der Ankommenden
helfen. Wir waren in acht Ländern vertreten, bevor die Ukrainekrise
begann. Seit dieser Woche sind wir in Rumänien, Ende des Monats werden wir
in elf Staaten sein. Heute etwa haben wir eine Anfrage der Tschechischen
Republik erhalten.
Was genau tun Sie dort?
In Polen etwa hatten viele, die weiterziehen wollten, keine ausreichenden
Informationen, wie und wohin das möglich ist. Sie fragen sich: Wie werden
wir aufgenommen? Können die Kinder zur Schule gehen? Dabei helfen wir den
Mitgliedstaaten. Wenn es zu einer Verteilung kommt, können wir sicherlich
auf Erfahrungen und Regelungen zurückgreifen, die wir für die
innereuropäische Umverteilung von Asylsuchenden aus Griechenland, Italien
und Malta entwickelt haben.
Manche fürchten, dass die hohe Zahl ankommender Ukrainer:innen
[2][zulasten der Aufnahme anderer Schutz Suchender] geht. Gibt es dafür
Anzeichen?
Nein, nur ein verschwindend geringer Teil der Ukrainer:innen in der EU
stellt einen Asylantrag. Die humanitäre Aufenthaltserlaubnis ist ja
schließlich viel schneller zu bekommen. Nur in fünf EU-Staaten ist die
gleiche Behörde sowohl für die Registrierung der Ukrainer als auch für die
Anträge regulärer Asylbewerber zuständig. Auch die jüngsten Zahlen zeigen,
dass die EU weiterhin ein Raum des Schutzes auch für Verfolgte aus anderen
Regionen ist.
Tatsächlich?
2021 lag die Anerkennungsrate etwa für syrische Antragsteller:innen
bei 72 Prozent, für Afghanen nach der Talibanmachtübernahme bei 92 Prozent.
Und sie liegen auch seit Beginn des Ukrainekriegs sehr hoch. Wir sehen hier
keine Priorisierung, auch nicht, dass der Schutz der einen auf Kosten
des Schutzes der anderen geht. Die Behauptung, Europa verhalte sich
rassistisch, weil es Ukrainer:innen Schutz gewähre und anderen nicht,
trifft nicht zu.
Ein Unterschied ist aber: Die Ukrainer:innen können einfach einreisen,
die anderen [3][sterben auf dem Weg] im Meer.
Da ist eine geografische Realität. Der Krieg in der Ukraine spielt sich
in einem direkten Nachbarland ab, da ist kein Meer dazwischen. Deswegen ist
der Zugang leichter. Die EU ist ein Raum des Schutzes mit einem weltweit
einzigartigen, multinationalen Asylsystem, ein Schutzschirm aus 27 Staaten.
Es ist nicht alles perfekt, aber wir haben das global am besten
funktionierende System. Fliehende können hierherkommen.
Die Tatsache, dass Schutzsuchende aus anderen Regionen auf dem Weg sterben
oder zurückgewiesen werden, ist keine Frage der Geografie, sondern der
Politik. Es gibt massenhaft Pushbacks, es gibt die Kooperation mit der
libyschen Küstenwache.
Es ist für die EU sehr wichtig, sich mit den Ländern auf den Fluchtrouten
zu befassen. Wir als Agentur haben für diese Länder nur das Mandat für
Kapazitätsaufbau und Kooperation mit diesen Regionen. Das ist die externe
Dimension unserer Arbeit, ein sehr wichtiger Teil des
Migrationsmanagements. Er hilft, die Herausforderungen anzugehen, die Sie
ansprechen. Wir wollen, dass die EU ein Raum des Schutzes bleibt. Daran
müssen wir kontinuierlich arbeiten.
10 Apr 2022
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## AUTOREN
Christian Jakob
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EU-Politik
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Migration
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