# taz.de -- Pro & Contra Corona-Maßnahmen: Dürfen die Regeln fallen? | |
> Nach einer Übergangsfrist werden zum April auch in Berlin die meisten | |
> Corona-Regeln fallen. Höchste Zeit oder eine fatale Entscheidung? | |
Bild: Ob Masken oder welche, ist schon bald eine persönliche Entscheidung | |
## Ja | |
Vergangenen Samstag in einer Neuköllner Bar: Es ist gerammelt voll, auch im | |
schmalen Gang zwischen Tresen und Tischen stauen sich die Gäste. Die | |
Atmosphäre ist gelöst, von Corona-Angst nichts zu spüren. Auf dem Weg zur | |
Toilette heißt es dann aber: Maske auf. Das Ritual ist so eingeübt wie | |
sinnlos. Anderswo, etwa in den Clubs, die nach schier endloser Zeit wieder | |
geöffnet sind, wird auf das Pro-forma-Anlegen der Maske gleich gänzlich | |
verzichtet. Und auch auf den Stadientribünen wird längst wieder maskenfrei | |
gesungen. | |
Das faktische Ende der Regelbefolgung zeigt sich umso mehr im Privaten. Für | |
viele ist der Verzicht auf die Geburtstagsparty keine Option mehr. Nach | |
zwei Jahren im Ausnahmezustand giert die Mehrheit der Menschen – die Rede | |
ist ausdrücklich nicht von Pandemieleugner:innen – auf eine Rückkehr | |
zur sozialen Normalität und ist nicht mehr willens, weitere Einschränkungen | |
hinzunehmen. Wozu auch sonst hat man sich dreimal impfen lassen, in vielen | |
Fällen auch schon eine Infektion durchgestanden? | |
Die Gesellschaft hat gelernt, mit dem Virus zu leben und sie hat recht | |
damit. 84,6 Prozent der über 18-Jähringen in Berlin sind doppelt geimpft, | |
fast genauso viele der über 60-Jährigen bereits geboostert. Die meisten | |
Erkrankungen verlaufen leichter, ein immer kleinerer Promilleanteil der | |
Erkrankten landet auf den Intensivstationen, von einer Überlastung des | |
Gesundheitssystems sind wir weit entfernt, vom Zusammenbruch der kritischen | |
Infrastruktur – vor Kurzem noch ein großes Thema – spricht niemand mehr. | |
Dass die Bundespolitik nun nachzieht und den [1][Großteil der | |
Schutzmaßnahmen fallen lässt], ist daher verständlich. Regeln ergeben nur | |
so lange Sinn, wie sie zumindest von der Mehrheit verstanden und befolgt | |
werden. Und ein Ausnahmezustand ist nur zu rechtfertigen, wenn er die | |
zeitlich begrenzte Ausnahme bleibt. Dass anders als vor einem Jahr, als bei | |
einer Inzidenz von 100 allgemeine Panik angesagt war, nun bei Werten von | |
1.500 Gelassenheit herrscht, ist auf die veränderte Situation | |
zurückzuführen, aber auch auf den Gewohnheitseffekt. | |
Wenn nun zur Normalität zurückgekehrt wird, ist das für viele | |
zurückgewonnene Sicherheit: Messen müssen nicht mehr abgesagt werden, | |
Restaurants nicht die nächste Schließung befürchten, Kulturveranstaltungen | |
können wieder normal stattfinden. Einher damit geht aber auch eine | |
Verantwortung: Wer sich krank fühlt oder Kontakt zu Erkrankten hatte, muss | |
auch ohne Quarantäneregeln jedes Ansteckungsrisiko für andere vermeiden. | |
Geht es dennoch so richtig schief, bleibt Berlin die Möglichkeit, als | |
Hotspot wieder verschärfte Regeln zu verhängen. Das Signal dann würde | |
immerhin lauten: Jetzt ist es wieder richtig ernst. Erik Peter | |
Nein | |
Nach einem kurzen Sommer der Freiheit und Lebensfreude 2021 leben wir seit | |
einem Dreivierteljahr wieder so isoliert, wie uns das möglich ist, ohne | |
dabei verrückt zu werden. Wir arbeiten fast ausschließlich im Homeoffice, | |
machen nur die Termine, die wir online nicht machen können, und treffen uns | |
gerade so oft mit unseren Freunden, dass sie noch unsere Freunde bleiben. | |
Unsere 13-jährige Tochter und den 8-jährigen Sohn haben wir dank | |
ausgesetzter Präsenzpflicht auch dann noch aus der Schule genommen, als in | |
unserem Umfeld schon kaum mehr jemand daran dachte. | |
Wir besuchen nur dann mit ihnen Kulturveranstaltungen, wenn sie sich mal | |
wieder beklagen, dass sie nicht einmal mehr wissen, wie Popcorn im Kino | |
schmeckt. Der Grund für all das: Mein Mann ist im Sommer schwer erkrankt. | |
Er hat immer noch mit dieser Krankheit zu tun. Seine Ärzte sagen nicht alle | |
dasselbe. Aber der Tenor ist und bleibt, dass er sich trotz dritter Impfung | |
im Dezember im Moment besser nicht mit dem Coronavirus anstecken sollte. | |
Wir haben das allergrößte Verständnis dafür, dass die Welt nichts mehr | |
wissen will von Corona, dass die Menschen nach zwei harten Jahren endlich | |
zurückmöchten in ihre Normalität – und dass viele erleichtert wären, wenn | |
der Bund beschließt, ab dem 20. März einen Großteil der Corona-Maßnahmen | |
auslaufen zu lassen. | |
Was wir aber nicht verstehen: Angeblich wird das alles auch deshalb | |
beschlossen, weil eine Gesellschaft immer nur eine Krise auf einmal | |
verkraften kann. Gerade vor diesem Hintergrund empfinden wir es als | |
geradezu irrsinnig, so leichte und mühelose Beschränkungen fallen zu lassen | |
wie die Maskenpflicht im Einzelhandel. Es kostet keinen Menschen Mühe, ein- | |
oder zweimal die Woche 20 Minuten im Supermarkt eine Maske zu tragen. Wer | |
Partys wegen begrenzter Personenanzahl splittet, der kann einfach zweimal | |
feiern. Selbst kleine Änderungen in eingeübter Selbstbeschränkung wie diese | |
verbrauchen in Politik und Verwaltung Energie. Und jede noch so kleine | |
Menge Energie wird gerade auf anderen Baustellen wie der Versorgung der | |
Geflüchteten aus der Ukraine dringender gebraucht. | |
Das Virus ist immer noch gefährlich, nicht nur für uns. Wer jetzt plötzlich | |
an mehr Eigenverantwortungen appelliert, der hätte das auch in den letzten | |
beiden Jahren tun können. Wenn Deutschland jetzt trotz steigender | |
Ansteckungszahlen am Freitag weitgehende Lockerungen beschließt, wirkt das | |
auf uns wie ein faules Zugeständnis. Wenn Berlin doch bloß auf die | |
Notbremse treten und sich selbst zum Hotspot erklären könnte, um die | |
schärferen Maßnahmen auch über die Übergangsfrist, die der Bund gewährt, | |
hinaus zu verlängern – dann hätten wir mal das Gefühl, in der besten Stadt | |
der Welt zu leben. Susanne Messmer | |
15 Mar 2022 | |
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[1] /Erneuter-Inzidenz-Hoechstwert/!5841945 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Susanne Messmer | |
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