# taz.de -- Minimal-Art-Ausstellungen im Norden: Gimmicks mit doppeltem Boden | |
> Neues Raumempfinden: In Hamburg und Oldenburg präsentieren Ausstellungen | |
> die Minimal Art der 1960er-Jahre auf unterschiedliche Weise. | |
Bild: Ideen leben weiter: Charlotte Posenenkes „Reliefs Serie C“, entstande… | |
Hamburg taz | Warum sollte man sich heute dafür interessieren? Für eine | |
Kunst, die ihren Zenit vor rund 60 Jahren erreichte und – nach allgemeinem | |
Dafürhalten – auch ziemlich bald wieder überschritten hatte? Die Rede ist | |
vom Minimalismus respektive der Minimal Art, der zurzeit zwei Ausstellungen | |
im Norden gewidmet sind: „Minimal Art Körper im Raum“ im Hamburger | |
Bucerius-Kunst-Forum und „Konstruktiv, Konkret, Minimal. Die Sammlung | |
Hupertz“ im Oldenburger Landesmuseum; ihr Echo hallt dazu noch in einer | |
dritten nach, [1][„Futura. Vermessung der Zeit“] in der Hamburger | |
Kunsthalle. | |
Schon angesichts dieses Zusammentreffens könnte es sich lohnen, sich ihrer | |
anzunehmen, dieser Kunst, die manchmal wirkt, als wolle sie keine sein. | |
Oder wie eine, von der an Kunst nicht allzu sehr Interessierte sagen | |
könnten, sie sei keine. | |
Und hat dieser Rülpser am Ende seine Berechtigung, mehr jedenfalls als bei | |
richtig Technik erfordernden, naturalistischen Schiffsunglücksgemälden oder | |
Marmorfigurengruppen? [2][Nehmen wir Carl Andre], einen ihrer großen, | |
kanonischen Vertreter: Von dem 1935 geborenen Bildhauer liegt jetzt in | |
Hamburg und in Oldenburg je eine Arbeit. Ja, sie liegen: Es sind | |
unbehandelte, also alternde Metallplatten, Andres bevorzugtes Material nach | |
1967. | |
In jenem Jahr stellte er erstmals so aus, dass das Publikum gar nicht | |
anders konnte, als herumzutrampeln auf der Kunst. Für „45 Degrees Swipe“, | |
nun in Hamburg zu sehen, ordnete er sieben Rechtecke an, bei „Bend Smithson | |
(The old Rattler)“ – in Oldenburg ausgelegt – waren es 47 kleinere Dreiec… | |
und ein Quadrat. Andre selbst sprach 1970 von den „Eigenschaften bestimmter | |
Materialien, die sich erschließen, wenn man darauf geht“. Er kam aber auch | |
zu sprechen auf die Möglichkeit, dass wir es mit „Aberglauben“ zu tun haben | |
könnten. | |
Aberglaube – so wie der an eine besondere Aura? Diese vermeintlich so | |
banalen Arbeiten, diese Skulpturen scheinbar bar jeder Virtuosität, die | |
vielleicht an Gimmicks denken lassen, an eine nur sehr kurzlebige | |
Verblüffung: Sie rühren an zentral gewordenen, nicht immer schon ein für | |
allemal beantworteten Fragen; zur Abstraktion und Repräsentation, zum | |
Verhältnis des Objekts zu dem es Betrachtenden, auch zum „Bitte nicht | |
berühren!“-Imperativ, der in eigentlich jedem Ausstellungsraum herrscht. | |
Folgt man den Äußerungen der teils sehr rede-, respektive schreibfreudigen | |
Minimalist:innen, dann wollten sie tatsächlich so einiges infrage stellen | |
vom Bohei, das um die Kunst gemacht wurde und wird. Demokratischer sollte | |
die ihre sein, ja: kommunistisch sogar. | |
„Körper im Raum“ – die Bucerius-Ausstellung, kuratiert von Kathrin | |
Baumstark, Künstlerische Leiterin des Hauses, thematisiert schon im Titel | |
etwas der Minimal Art Wesentliches: Ihre Vertreter:innen mögen | |
großteils aus der Malerei gekommen sein, gingen dann aber, eben, in den | |
Raum, mit Objekten, Strukturen, Installationen, die eine möglichst | |
unmittelbare Erfahrung ermöglichen sollten. Sie bedienten sich dazu | |
Materialien wie Sperrholz, Metall, Neonröhren, also kein bisschen raren | |
Zutaten des sie umgebenden Industriezeitalters. | |
Robert Morris’ unbetiteltes – oder vielmehr „Untitled“ betiteltes? – … | |
von 1974, das nun bei Bucerius zu sehen ist, besteht aus Industriefilz aus | |
einer Autowerkstatt, inklusive „Spuren von Maschinenöl und Schmutz“. Wie | |
dieser dicke graue Stoff lappt und fällt und sich am Boden aufrollt, da | |
spielt immer auch der Zufall mit, die Schwerkraft – ein ganz anderer Ansatz | |
als das Gros der Arbeiten in der Schau mit ihrer regelmäßigen Geometrie, | |
dem Akzent auf Reihung oder Stapelung. | |
Die Hamburger Schau ist die konzentriertere: Sie versammelt weniger als 20 | |
Stücke, also nicht spektakulär viele, teils aber spektakulär große | |
Arbeiten, die daher gar nicht ohne Weiteres überall gezeigt werden könnten; | |
auch, aber nicht nur aus der eigentliche Hochphase, also den 1960ern. Ein | |
Clou ist, dass im Ausstellungsraum auf jeden Text verzichtet wird, auch auf | |
die vermeintlich obligatorischen Schilder am Kunstwerk. Wer wissen will, | |
was er*sie da gerade sieht, kann auf ein kleines, detailliert erklärendes | |
Heftchen zurückgreifen – ein Angebot, kein Diktat. | |
Die Oldenburger Ausstellung, kuratiert von Anna Heinze und Kathleen Löwe, | |
funktioniert anders. Das dortige Augusteum ist ein historisches Gebäude, zu | |
sehen sind dort ansonsten Gemälde, ja: Alte Meister. Nun aber zeigt man | |
rund 100 Arbeiten der Moderne bis zur Gegenwart – und doch immer noch nur | |
einen Teil der Sammlung des Hamburger Ehepaars Stephan und Birgit Hupertz. | |
Darunter sind dann auch wieder Gemälde und Grafiken, nicht nur | |
Dreideimensionales. Von besonderer Schönheit ist auch ein Kleid aus | |
Warhol’schem Suppendosenstoff. | |
Die Hupertz sammeln seit den 1960ern und zwar ganz ausdrücklich | |
Ungegenständliches, das seit den 1920ern entstanden ist. Die Minimalisten | |
setzt die Oldenburger Ausstellung also in Beziehung zu Verwandtem und | |
Korrespondierendem, auch mal Gegenläufigem. Neben Andre finden sich hier | |
noch ein paar Namen wieder, die auch in Hamburg zu sehen sind: Imi Knoebel | |
und Donald Judd, noch so ein Minimalismus-Säulenheiliger. Es ist das dritte | |
Mal überhaupt, dass die Sammlung Hupertz öffentlich gezeigt wird, und von | |
der Oldenburger Vernissage ist überliefert, dass Stephan Hupertz sehr | |
glücklich sein soll mit der Präsentation – vermutlich der letzten zu beider | |
Lebzeiten. | |
Hier wie dort bieten die Häuser Begleitprogramm zu den Austellungen an. In | |
Hamburg dient das auch zum Hinweis darauf, dass [3][die Idee des | |
Minimalismus] Eingang gefunden hat auch [4][in den Tanz] und – vielleicht | |
am bekanntesten – die Musik: In Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater | |
veranstaltete man etwa die Performance „Minimal Action!“, und der Pianist | |
Sebastian Knauer spielte ein Konzert mit Mozart’schen Sonatensätzen und | |
darauf Bezug nehmenden Stücken des, eben, Minimalisten Michael Nyman. | |
Es gibt im Bucerius-Programm aber noch eine Öffnung des Begriffs: Angeboten | |
werden dort auch „Achtsamkeitsführungen“ und Yoga – Minimalismus ist ja | |
längst auch eine Größe in [5][Wellness, Wohnraumgestaltung und überhaupt: | |
Selbstoptimierung]. | |
25 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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