Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hanne Darboven ausgestellt: Von strenger Schönheit
> Die Welt in den Blick genommen und in einen ganz und gar eigenen Code
> übersetzt: Eine große Ausstellung würdigt die Künstlerin Hanne Darboven.
Bild: Passionierte Sammlerin: Hanne Darboven in ihrem Studio, 1987 oder 88.
Ob sie’s bei einem Mann genauso gemacht hätten? Da ist eine Künstlerin, die
sich konsequent androgyn in Szene setzt: Herrenanzüge, das Haar stets kurz
geschnitten, manchmal auch noch kürzer rasiert. Und dann steht sie auch
noch über Jahre zu nachtschlafender Zeit auf, setzt sich hin und arbeitet,
als andere Kunstschaffende gerade erst von irgendeinem Kneipentresen aus
den Heimweg antreten.
Sie sei stolz darauf, so hat Hanne Darboven sich gern zitieren lassen, im
Sinne von „Arbeit, Gewissen, Pflichterfüllung“ nicht schlechter zu sein,
„als jemand, der eine Straße baut“. Noch so ein gern überlieferter
Splitter: Die 2009 verstorbene Kaffeeröster-Tochter habe sogar den Umgang
mit Nachbarn oder das Telefonat mit Verwandten auf genau umrissene Zeiten
im immer gleichen Tagesablauf begrenzt. Da liegt der gedankliche Schluss
vielleicht wirklich nahe, vom grauen Flanellanzug zur Kontor-Kunst; vom
durchgeregelten Arbeitstag zu einer Kreativität, nicht wild, dafür umso
systematischer. Zu einer Kunst aus Zahlen, immer wieder Zahlen, mal als
Ziffer, mal als Worte ausgeschrieben, mal übersetzt in angeordnete
Kästchen, mal beides.
## Mal eben geurteilt
Dass darüber mal eben geurteilt wird, diese Kunst sei „unsinnlich“ – wie…
Rainer Langhans tat, der zwar kein Experte ist, aber immerhin mal mit
Darboven zur Schule ging: Das wäre einem Mann sicher nicht genau so
widerfahren. Auch scheint die gesamte Rezeptionsgeschichte hindurch der
Griff zur (Beinahe-)Pathologisierung nie fern zu liegen; von „subjektiven,
geradezu manischen Schreibsystemen“ war noch im vergangenen Jahr auch
[1][in der taz zu lesen]. Ist es da eigentlich noch weit bis zur
Beschwörung weiblicher Irrationalität?
In der „Systematik rational“, aber in der „Wirkung irritierend“, so
bezeichnete nun Dirk Luckow, Chef der Hamburger Deichtorhallen, Darbovens
Arbeiten bei der Eröffnung der Ausstellung in der Sammlung Falckenberg im
Hamburger Stadtteil Harburg. An dessen ländlichem Ende, in Rönneburg, lebte
die Künstlerin Jahrzehnte lang, soeben hat dort die noch zu Lebzeiten
gegründete Stiftung ein Dokumentationszentrum geöffnet. Echten
Publikumsverkehr verträgt das ehemalige Atelier keinen, auch wenn Darboven
sich das immer gewünscht hatte: Zu viele Hinterlassenschaften heißt es, zu
viel Gesammeltes, das sich nicht angemessen (und sicher) präsentieren
lasse. Denn Sammlerin war sie ja mindestens so sehr wie protestantisch zu
nennende Arbeitende: Darboven muss aufbewahrt haben, wessen immer sie
habhaft wurde. Ein wenig unklar freilich bleibt, warum genau jetzt eine
solche Würdigung in diesem Umfang? 2015 erst war ja gleich an mehreren
Orten eine große Darboven-Retrospektive gezeigt worden.
Wer die vier Stockwerke umfassende Ausstellung betritt, dem wird sich das
„Rationale“ geradezu aufdrängen: Von der Schönheit der Reihung ließe sich
sprechen angesichts der vielen gleichgroßen und – auf den allerersten Blick
– gleichartig befüllten Bilderrahmen. „Tausende von Jahrhundertdaten“, so
Nicole Krapat von der Hanne-Darboven-Stiftung, brächten diese
Installationen „in eine greifbare Form“, und das In-Form-Bringen von Zeit,
ihre Visualisierung und Übersetzung ins Wort, in Schrift, ins Grafische und
sogar in Musik, das ist die zentrale Idee der Darboven’schen Kunst.
Sie habe „ihren Blick konzentriert auf das Weltgeschehen gerichtet, um es
mit ihrem selbstgeschaffenen, undurchsichtigen Code für die Nachwelt
aufzuzeichnen“: So beschreiben es sehr zutreffend Nina Groß und Raphael
Dillhof in der [2][aktuellen Ausgabe von Lerchenfeld], der Publikation der
Hamburger Kunsthochschule, die ja in den frühen 60er-Jahren auch Darboven
absolviert hat, ehe sie dann für zwei fruchtbare Jahre nach New York ging.
Nehmen wir die Arbeit „Kinder der Welt“, die in Hamburg nun ein ganzes
Stockwerk einnimmt: ein Versuch, angesichts von Mauerfall und „Wende“ das
20. Jahrhundert komplett zu erfassen; vom 1. 1. 1900 (von Darboven
übersetzt in 1 + 1 + 00 = 2), bis zum 31. 12. 1999 (31 + 12 + 199 = 242):
zunächst in Bildern, die immer auch Zahlen enthalten, Quersummen nämlich;
daraus abgeleitet dann Darbovens Musik für Bläserquartett, die in diesen
Räumen auch zu hören ist.
## In Beziehung gesetzt
Spannend sei es gewesen, so Luckow, durch den Falckenberg’schen
Sammlungsbestand zu gehen und nach „Anknüpfungspunkten“ zu suchen. So wird
Darboven nun in mehrfacher Hinsicht in Beziehung gesetzt: Da sind
einerseits echte Korrespondenzen – Briefe und Postkarten, geschrieben und
erhalten zwischen 1966 und 1975. Interessanter aber noch sind die
Beziehungen zur Kunst anderer: In einem Raum treffen da etwa die Kästchen
in Darbovens „Sechs Bücher über 1968“ auf eine 1970 fertiggestellte Plast…
von Sol LeWitt, der aus den Kästchen dann Würfel macht, und Gerhard
Richters „9 Objekte“ (1969), in denen wiederum ganz unmögliche, an MC
Eschers unendliche Treppen erinnernde Lattenkonstruktionen auftauchen.
Rang hat „die leidenschaftlichste Konzeptkünstlerin, die es bis dato gibt“,
so Florentine Gallwas von der Stiftung, ja nicht zuletzt im Ausland. Eine
Ausstellungskooperation mit der „Reina Sofia“ in Madrid scheiterte jetzt
aber Luckow zufolge, weil die Hamburger Seite die Darboven’schen
Archivalien nicht einfach ein- und anderswo wieder auspacken wollten – „das
Authentische abzubauen, um Authentizität herzustellen“, wie Luckow es
nennt, „macht in unseren Augen nicht wirklich Sinn“.
Hanne Darboven, „Gepackte Zeit“: bis 3. September, Hamburg, Sammlung
Falckenberg; geöffnet jeweils am 1. Sonntag im Monat, 12 bis 17 Uhr (sonst
nur [3][nach Vereinbarung]); von 14 bis 17 Uhr geöffnet ist dann auch das
neue Dokumentationszentrum der Hanne-Darboven-Stiftung (Am Burgberg 26)
2 May 2017
## LINKS
[1] /!5304489
[2] http://www.hfbk-hamburg.de/fileadmin/user_upload/newsletter/archiv/2017/ler…
[3] http://deichtorhallen.de/index.php?id=382
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Bildende Kunst
Deichtorhallen Hamburg
zeitgenössische Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Minimal-Art-Ausstellungen im Norden: Gimmicks mit doppeltem Boden
Neues Raumempfinden: In Hamburg und Oldenburg präsentieren Ausstellungen
die Minimal Art der 1960er-Jahre auf unterschiedliche Weise.
25 Jahre Sammlung Falckenberg: Raumgreifend statt salonverträglich
Der Hamburger Kunstsammler Harald Falckenberg zeigt zum Jubiläum seiner
Sammlung in Hamburg-Harburg unkonventionelle Installationskunst.
Hochschule für bildende Künstler in Hamburg feiert 250-Jähriges: Das freundl…
An der HfBK hat Otto Waalkes ebenso studiert wie Jonathan Meese, das
Beatles-Mitglied Stuart Sutcliffe und der RAF-Terrorist Holger Meins.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.