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# taz.de -- 25 Jahre Sammlung Falckenberg: Raumgreifend statt salonverträglich
> Der Hamburger Kunstsammler Harald Falckenberg zeigt zum Jubiläum seiner
> Sammlung in Hamburg-Harburg unkonventionelle Installationskunst.
Bild: Wie eine Geisterbahn im Naturkundemuseum: Olaf Breunings Mixed-Media-Inst…
Hamburg taz | Im zweiten Stock wird es besinnlich. Da hängt nämlich
[1][Martin Kippenbergers skandalumwittertes Kruzifix] an der Wand des
Treppenhauses, ein ans Kreuz genagelter Frosch, der einem den Bildtitel
„Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: der Gesichtsausdruck
beim Nageln“ entgegenzukotzen scheint. Bei der Erstpräsentation 1990
protestierte der Wiener Erzbischof gegen die Skulptur, und noch 2008 gab es
Mahnwachen und Hungerstreiks, als das von einem Tiroler Herrgottschnitzer
nach Kippenbergers Vorgaben gefertigte Werk in Bozen ausgestellt werden
sollte.
Das sind Widerstände, mit denen in Hamburg-Harburg nicht zu rechnen ist: In
der Sammlung Falckenberg gab es schon weitaus schockierendere Kunst zu
sehen als Kippenbergers dann doch eher als mild blasphemischer Herrenwitz
durchgehende Arbeit. Dennoch ist es schön, dass das kleine Exponat
ausgestellt wird, zumal in der Vorweihnachtszeit. Weil „Was ist der
Unterschied …“ als nur leicht in die Dreidimensionalität ragendes Werk gar
nicht wirklich in die Präsentation passt, die sich auf „Installationen aus
25 Jahren Sammlung Falckenberg“ konzentriert und so eine hübsche Irritation
im Ausstellungskonzept darstellt.
Solch eine Irritation hat die Schau nötig. Sammlungspräsentationen sind im
Grunde langweilige Ausstellungen, besonders, wenn sie zu einem Jubiläum
zusammengestellt werden. Das Projekt in Harburg aber sperrt sich gegen die
Konvention, auch weil Falckenbergs Sammlung eher untypisch ist angesichts
des Sammlungsmainstreams der vergangenen Jahre: Einer ihrer zentralen
Bestandteile sind installative Arbeiten.
Die meisten Sammler spezialisieren sich zumindest zu Beginn ihrer
Sammeltätigkeit in der Regel auf Arbeiten, die sich bequem an die Wand
hängen lassen. Nicht so Falckenberg: Der fing Anfang der Neunziger mit dem
Sammeln an, als der Kunstmarkt nur schwach brodelte und zeitgenössische
Kunst häufig für Biennalen und Triennalen produziert wurde.
Und dort gab es wenig „salonverträgliche Kunst“ zu sehen, spöttelt
Falckenberg – Markt und Ausstellungspraxis waren also viel stärker getrennt
als heute. Der Nebeneffekt dieser Konzentration auf Biennalen aber war,
dass die Kunst eigentlich nur dort zu sehen war und nach Ende der
Ausstellung manchmal sogar vernichtet werden musste.
Falckenberg aber musste nichts Salonverträgliches suchen. Er hatte von
Anfang an die Möglichkeit, seine Sammlung adäquat in geräumiger
Gewerbearchitektur zu zeigen, nicht zuletzt durch seine Vernetzung in der
hanseatischen Wirtschaft. Ein Nebeneffekt dieses Unterlaufens des
Mainstreams: Erste Werke konnte Falckenberg recht günstig erwerben. „Ich
habe keine 200, 300 Mark ausgegeben, für grundlegende Arbeiten von Paul
McCarthy und Mike Kelley“, erzählt der heute 76-Jährige.
Zunächst bespielte er das „Pump Haus“ in der Nähe des Hamburger Flughafen…
seit 2001 die Harburger Phoenix-Hallen als Außenstelle des
Ausstellungskomplexes Deichtorhallen auf rund 6.000 Quadratmetern. Einige
raumgreifende Werke sind hier fest installiert, Thomas Hirschhorns
„Bernsteinzimmer“ (1998/99) etwa, oder Jon Kesslers „The Palace at 4 a.m.…
(2005/07), da ist die aktuelle Ausstellung nicht mehr überraschend.
Andere Arbeiten nehmen allerdings durch die Kopplungen aufeinander Bezug:
Nam June Paiks zentral positionierter, popkultursatter „Video Scooter“
(1994) steht im Dialog mit dem meditativen „TV-Buddah“ (1997). Und von dort
führt eine direkte Linie zu Jean-Jacques Lebels Videoinstallation „Les
Avatars de Vénus“ (2009), die unzählige Aktdarstellungen von der
Renaissance bis zur zeitgenössischen Pornografie ineinandermorpht.
Die wenig originelle Form der Sammlungspräsentation wird hier zur
Entdeckungsreise in die eigene Wahrnehmung, die schon bekannte Werke wie
Bjarne Maelgards Affenfick-Skulptur „Apes with Clothes Pile“ (2000) oder
Christoph Schlingensiefs „The African Twin Towers. Stairlift to Heaven“
(2007) immer wieder neu zueinander in Bezug stellt.
Viele der gezeigten Arbeiten pflegen die große Geste, John Bocks
„Quasi-Ich-Isoquantenschar-Kammer“ (1980) etwa, Olaf Breunings
geisterbahnhafte Wildnis-Installation „Apes“ (2001) oder ein riesiges, nur
schwer zu findendes Raumlabyrinth Jonathan Meeses.
Und es fällt nicht nur Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow auf, dass diese
großen Gesten fast ausschließlich von Männern stammen – die Ausstellung hat
einen gewissen Testosteron-Hautgout, worauf Falckenberg die (durchaus
hinterfragbare) These in den Raum stellt, dass die Installationskunst
historisch einfach stärker von Männern geprägt sei, mittlerweile allerdings
ein Umdenken stattfinde. Und, immerhin: Von rund 330 Positionen in seiner
Sammlung stammten 150 von Frauen. Nur dass man sie aktuell eben nicht so
richtig wahrnimmt.
Ja, es gibt Künstlerinnen bei den „Installationen aus 25 Jahren“ – in et…
ein Viertel der 60 hier präsentierten Positionen sind weiblich. Nur
vertreten die dann eben nicht die lauten, schockierenden, lustigen
Standpunkte. Charlotte Poseneske etwa arbeitet mit „Relief Serie B“
(1967–2017) minimalistisch. Cosima von Bonin entwickelt mit „Vorschusstuch
(The Thicket)“ (1998–2003) eine Art referenzgesättigte Handarbeitsästheti…
Und wenn Monica Bonvicini dann tatsächlich im männlichen
Überbietungswettbewerb mitspielen könnte, dann ist ihr sexuell vieldeutiger
„Harness“ (2006) ein wenig unmotiviert in eine Ecke verbannt. Das ist ein
wenig traurig, wenn man sieht, wie stark und wirkungsvoll im Vergleich Paul
McCarthys Wandinstallation „Michael Jackson Red“ (2002) gehängt ist.
Immerhin unterläuft Diana Thater die eigenartig maskuline Präsentation
elegant: Ihre raumgreifende Videoinstallation „Delphine“ (1999) nämlich
überschwemmt alle Sexwitzchen, Pornoästhetiken und Schockeffekte mit
stiller Schönheit. Angesichts der Tatsache, dass Thater auch als
Tierschutzaktivistin bekannt ist, kann man die miteinander
korrespondierenden Videos von leise ihre Runden ziehenden Meeressäugern als
aktivistischen Kitsch abtun, allein: Der Raum, den diese Präsentation
beansprucht, zeigt, dass hier die Kunst etwas will. Etwas, das weit über
die Empathie mit ein paar schwimmenden Wesen hinausgeht.
11 Dec 2019
## LINKS
[1] /Aufregung-wegen-blasphemischer-Kunst/!5565972
## AUTOREN
Falk Schreiber
## TAGS
Deichtorhallen Hamburg
Installation
zeitgenössische Kunst
Harald Falckenberg
Hamburg
Kunstverein Hamburg
zeitgenössische Kunst
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